Feminismus, Kulturarbeit und Patriarchat

Wer bist Du und wie und mit wem wirst Du sein (wollen)? Im Sammelband „Play Gender“ beschreiben linke Menschen ihre Pläne, Projekte, ihr Durchkommen und Scheitern im „Spiel“ mit dem Geschlecht und mit ihren Erfahrungen mit dem Geschlechterregime – und das ist und war nicht immer ein Vergnügen.

Sexismus ist eine alle Lebenssphären betreffende Ideologie und Praxis. Auch der kritische Kulturbereich ist davon betroffen. Die Herausgeber*innen wollen mit ihrem Buch zu „linker Praxis – Feminismus – Kulturarbeit“ (so der Band „Play Gender“ im Untertitel) historische und aktuelle Perspektiven von und Beispiele für Strategien gegen Sexismus und Diskriminierung aufzeigen.

Meist stehen die Situation und die Strategien von Frauen und Lesben im Mittelpunkt, aber auch queer-feministische Initiativen von Männern* kommen vor, was angesichts einer anhaltend aktuellen, auch gewaltförmigen Schwulenfeindlichkeit und der Tatsache, dass „sensibler Mann“ immer eher ein Schimpfwort ist, mehr als gerechtfertigt ist.

In Artikeln, Interviews, Dokumenten und mehreren Roundtable-Gesprächen geht es unter anderem um Netzfeminismus, (Musik-)Journalismus, Comic- und Dokumentarfilmproduktionen oder Theater und Tanz unter prekären Bedingungen. Weitere, mehr an einem Ereignis festzumachende Praktiken sind Ladyfeste, feministisches DJ-ing, Slutwalks oder das „Macker Massaker“ im Autonomen Zentrum Mülheim an der Ruhr. Ein wichtiger Beitrag schreibt die Geschichte der linksradikalen und profeministischen Männerbewegung der letzten 25 Jahre. Den historischen Blick greift auch ein Beitrag auf, in dem Teile des anonymen Herausgeber*innenkollektivs des 2013 erschienen Fantifa-Buches über die feministische Organisierung in der Antifa der 1990er Jahre berichten. Eine Autorin aus dem „Conne Island“ schreibt über die internen Strukturen und Debatten dieses über Leipzig hinaus relevanten linksradikalen Polit- und Kulturzentrums.

Sehr ernüchternde Erkenntnisse enthält ein Beitrag der AG Queerfeminismus der Interventionistischen Linken (IL) Berlin. Diese stellt in einer Selbstbefragung fest, dass auch in der (radikalen) Linken Erschöpfung, Krankheit (und Kinder) weiterhin individualisiert würden, viele sich mehr Kollektivität wünschen, diese aber nicht realisieren (können). Der Text stammt allerdings aus 2012/2013 und seitdem hat sich die Situation womöglich etwas gebessert, nicht zuletzt durch die stärkere Thematisierung von Care-Arbeit.

Engagiert und organisiert wird sich an vielen Orten und zu vielen Themen. Das zeigt diese Textsammlung. Und genau das motiviert, weiterzugehen, Allianzen zu schmieden und Neues zu entdecken. Ein Wort sei aber zum Titel des Buches ergänzt: „Play Gender“ – was bedeutet das? Für wen? Nun mag es zwar richtig sein, mit Geschlechterrollen zu spielen (und das ein solches Herangehen auch gut tut und voranbringend sein kann, zeigen einige Beiträge), aber ein „Spiel“ ist das Geschlechterregime definitiv nicht. Es weist jeden Tag Chancen zu, und nimmt sie anderen, nicht zuletzt auf dem Arbeitsmarkt, der im Hintergrund Thema des Buches ist.

Bernd Hüttner

Fiona Sara Schmidt/Torsten Nagel/Jonas Engelmann (Hrsg.)

Play Gender. Linke Praxis – Feminismus – Kulturarbeit

Ventil Verlag, Mainz 2016, 246 S., 18 EUR.