Kampf ums Wohnen:

Wem gehört die Stadt?

Bundespräsident Steinmeier hat in seiner Rede bei der Hauptversammlung des Deutschen Städtetags am 5. Juni 2019 in Dortmund erklärt, Wohnen sei ein „menschliches Grundbedürfnis“. Damit hat er zweifellos Recht. Und es ist sogar noch mehr: Wohnen ist auch ein in der „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“ (Art. 25) verbrieftes Grundrecht! Besonders gut ist es um dieses Recht derzeit allerdings nicht bestellt.

Individuell einklagbar ist das Recht auf Wohnen ohnehin nicht und bei vielen Stadtbewohner*innen wächst angesichts immer weiter steigender Mieten die Sorge, ob sie ihr Bedürfnis nach angemessenem und bezahlbarem Wohnraum jetzt und in absehbarer Zukunft überhaupt noch befriedigen können. Inzwischen hat aber auch in der Gesellschaft die Unruhe spürbar zugenommen. Steinmeier warnt in seiner Rede davor, dass die Städte zum „sozialen Kampfplatz um das Wohnen“ werden könnten. Seine Warnung kommt allerdings zu spät: Der Kampf ums Wohnen ist in den Städten längst in vollem Gange! Begonnen haben diesen Kampf aber nicht die Stadtbewohner*innen, die im Unterschied zu anderen Ländern in Deutschland mehrheitlich Mieter*innen sind! Begonnen haben ihn Investor*innen, die den Immobilien- und Wohnungsmarkt vor allem seit der Finanzkrise von 2008 als bevorzugtes Ziel für anlagesuchendes Kapital entdeckt haben und mit ihren spekulativen Wetten Grundstückspreise und Mieten ständig weiter in die Höhe treiben. Seit Jahren klagt die Finanzwirtschaft über einen „Anlagenotstand“: Investor*innen haben Probleme, für das angehäufte Kapital noch rentierliche Anlageobjekte zu finden. Vor allem seit der Finanzkrise ist eine zunehmende Flucht in scheinbar sicheres Betongold zu verzeichnen, das – so jedenfalls die Hoffnung der Investor*innen – hohe Renditen und Jahr für Jahr ohne eigenes Zutun einen sicheren Wertzuwachs verspricht! Die Aufhebung der Wohnungsgemeinnützigkeit 1988 und die in den 1990er Jahren in großem Stil vollzogene Privatisierung öffentlicher Wohnungsbestände haben den Boden bereitet, auf dem nun große Wohnungsunternehmen wie Vonovia, LEG, Deutsche Wohnen und andere im Interesse ihrer Aktionär*innen agieren. Im Jahr 2018 ist in Deutschland doppelt soviel Geld in Immobilien geflossen, wie zehn Jahre zuvor, schätzungsweise über 300 Mrd. Euro. Allein in Düsseldorf waren es knapp 4,8 Mrd. Euro. In Nordrhein-Westfalen weist der Immobilienmarkt der Landeshauptstadt die höchsten Preise auf. Während die Grundstückspreise in Düsseldorf von Mitte der 1990er Jahre bis 2008 noch relativ stabil waren, gingen sie nach der Finanzkrise durch die Decke: Der Grundstücksmarktbericht der Stadt Düsseldorf verzeichnet von 2008 bis 2018 einen Anstieg der Grundstückspreise um 60 bis 70 Prozent!

Preistreiber Immobilienspekulation

Die Immobilienwirtschaft und ihre politische Lobby erklären immer wieder, Grund für den Preisauftrieb bei Grundstücken und Mieten sei, dass die Stadt Düsseldorf so attraktiv sei und deswegen so viele Menschen zuwandern würden. Zu viel Nachfrage bei zu wenig Angebot – Marktwirtschaft eben. Aber was ist an dieser Erklärung wirklich dran? Die Einwohnerzahl Düsseldorfs hat im Jahrzehnt nach der Finanzkrise in der Tat zugenommen, allerdings nur um rund 10 Prozent. Damit lässt sich der im selben Zeitraum um ein Mehrfaches stärkere Anstieg der Immobilienpreise kaum erklären! Der Grundstücksmarktbericht der Stadt stellt deswegen auch nüchtern fest: Zwischen steigenden Preisen auf dem Grundstücksmarkt und Bevölkerungszunahme gibt es keinen signifikanten Zusammenhang! Ganz offensichtlich treiben andere Faktoren als die reale Nachfrage die Preise für Immobilien, auch für Mietwohnungen, nach oben. Ein Indiz dafür ist die Entkoppelung von Grundstückspreisen und den Erträgen, die sich auf diesen Grundstücken erwirtschaften lassen. Zu den Hauptpreistreibern auf dem Immobilienmarkt zählt derzeit das spekulative Verhalten von Investor*innen, die auf immer weiter steigende Preise wetten!

Wenn aber nicht in erster Linie die reale Nachfrage, sondern das spekulative Kalkül von Investor*innen die Preise treibt, verliert auch die ständig vorgebrachte Standardlösung, man müsse vor allem das Angebot vergrößern („Bauen, Bauen, Bauen“) an Überzeugungskraft. Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Natürlich muss mehr gebaut werden, um den ja tatsächlich existierenden Wohnungsfehlbestand auszugleichen. In Düsseldorf sind in den letzten Jahren rund 1.000 Wohnungen pro Jahr weniger gebaut worden als eigentlich nötig gewesen wären. Es werden in der Tat zu wenig Wohnungen gebaut, die sich ein Großteil der Wohnungssuchenden auch leisten kann. Aber eifrig gebaut wird durchaus, wie schon ein oberflächlicher Blick beim Rundgang durch die innerstädtischen Quartiere Düsseldorfs zeigt. Unter marktwirtschaftlichen Bedingungen bedeutet „Bauen“ aber in erster Linie „teuer Bauen“. Die Folge: Es wird vielfach am Bedarf vorbei gebaut. Es entstehen vor allem hochpreisige Eigentums- und Mietwohnungen, teure Mikro-Appartements und bei weitem mehr Hotels als selbst die Branchenlobby für nötig hält!

Aber auch preisgedämpfte Mietwohnungen, die das städtische Handlungskonzept Wohnen bei Neubauprojekten neben Sozialwohnungen verlangt, sind mit 9,60 Euro/m2 für viele schon nicht mehr erschwinglich, von freifinanzierten Neubauwohnungen ganz zu schweigen. Die Anzahl der Sozialwohnungen ist demgegenüber in Düsseldorf seit 2008 kontinuierlich gesunken, im Jahr 2017 unterlagen nur noch 4,5 Prozent aller Wohnungen einer Sozialbindung. Es mangelt also nicht einfach an Wohnungen, es mangelt an bezahlbaren Wohnungen! Gleichzeitig stehen in Düsseldorf aber auch schätzungsweise 10.000 bis 13.000 Wohnungen leer! Viele dieser Wohnungen könnten sofort vermietet werden, teilweise werden sie aber von Eigentümer*innen, die auf steigende Preise spekulieren, dem Markt entzogen.

Die Stadt: Wohnort nur noch für Reiche?

Die von Investor*innen und Spekulant*innen auf dem Immobilienmarkt in Gang gesetzte Preisspirale macht städtisches Wohnen selbst für Durchschnittsverdienende zunehmend unmöglich. Renditeorientierte Vermieter*innen, insbesondere die großen Wohnungsunternehmen, versuchen bei jeder Neuvermietung sowohl bei Neubauten wie auch bei Vermietungen im Bestand das spekulativ hochgetriebene Marktpotenzial bis an die Grenze des gerade noch Möglichen auszureizen. Bestandsmieten werden darüber hinaus auch durch die Umlage von überzogenen Modernisierungskosten weiter in die Höhe getrieben. Darin und nicht in den Debatten über mögliche Enteignungen oder einen Mietpreisstopp, wie von einigen Kommentator*innen behauptet wird (z.B. Frankfurter Allgemeine Zeitung 15.6.2019), liegt die Gefahr der Spaltung der Gesellschaft. In Düsseldorf ist im Jahr 2018 die ohnehin schon hohe Durchschnittsmiete nochmals um 5 Prozent gestiegen, viele Haushalte müssen bereits deutlich mehr als 30 Prozent ihres Einkommens für die Miete ausgeben. Wenn dieser Entwicklung nicht Einhalt geboten wird, werden sich in Zukunft nur noch Menschen mit überdurchschnittlichen Einkommen, Wohlhabende und Reiche die Stadt als Wohnort leisten können. Die Folge wäre eine massive Verdrängung von Bevölkerungsgruppen mit geringeren Einkommen und eine Zerstörung gewachsener sozialer und kultureller Strukturen insbesondere in den innenstadtnahen Quartieren.

Man kann durchaus den Eindruck gewinnen, dass eine solche Entwicklung von manchen Akteur*innen in Politik und Wirtschaft gar nicht als Problem gesehen wird, vielleicht sogar gewollt ist, mindestens aber billigend in Kauf genommen wird. Der ehemalige Oberbürgermeisters Elbers (CDU) hatte schon vor Jahren erklärt, Düsseldorf sei keine Stadt, die für billiges Wohnen bekannt werden würde. Seine Aussage, dass diejenigen, die sich die hohen Mieten in der Stadt nicht leisten können, halt ins Umland ziehen sollten, haben wir noch gut im Ohr (vgl. Rheinische Post 12.12.2011). So ähnlich hören sich heute auch die Expert*innen des Immobilienunternehmens Jones Lang LaSalle (JLL) an: Nach ihrer Meinung kann eben nicht jede*r dort wohnen, wo er*sie das gern möchte, weil städtischer Raum, welch neue Erkenntnis, halt begrenzt sei (vgl. RP 7.6.2019). Aber wer entscheidet dann darüber, wer wo wohnen darf? Nach Lage der Dinge wird das wohl der Geldbeutel sein. Diese Logik bringt die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ treffend auf den Punkt: „Es gibt kein Grundrecht auf billige Miete mitten in der Großstadt.“ (FAZ 9.4.2019) Ein Grundrecht auf städtisches Wohnen nur für Reiche gibt es aber auch nicht. Wenn Wohnen ein Grundbedürfnis und ein Grundrecht ist, dann gilt es für alle. Dann müssen auch alle Zugang zu bezahlbarem Wohnraum in der Stadt haben!

Der Widerstand formiert sich

Inzwischen formiert sich der Widerstand gegen den Preis- und Mietenwahnsinn auf den Immobilienmärkten, die Proteststimmen sind nicht mehr zu überhören. Nachdem es bereits einzelne größere Demonstrationen gegen die Preisexplosion auf dem Wohnungsmarkt z.B. in München, Frankfurt am Main, Berlin und Hamburg gegeben hatte, gingen am 6. April 2019 in zahlreichen deutschen Städten, darunter auch in Köln, mehrere zehntausend Menschen gegen Mietenwahnsinn und Verdrängung aus innerstädtischen Quartieren auf die Straße.

Am selben Tag startete die Berliner Initiative „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“ ihr Volksbegehren. Ganz unabhängig vom Ausgang des Vorhabens hat die Berliner Initiative schon jetzt mit der Forderung nach Enteignung von großen Wohnungsunternehmen ganz offensichtlich einen wunden Punkt getroffen. Das muss man jedenfalls aus den aufgeregten, teilweise fast schon hysterischen medialen und politischen Reaktionen schließen. Sie hat nämlich die Frage des privaten Eigentums an Grund und Boden wieder auf die politische Agenda gesetzt! Besonders beunruhigen muss die Immobilienwirtschaft und ihre politische Lobby dabei, dass nach Umfragen eine Mehrheit der Berliner*innen das Anliegen der Enteignungsinitiative unterstützt!

Auch in Düsseldorf regt sich Widerstand gegen den Wahnsinn auf dem Immobilien- und Wohnungsmarkt. Am Vorabend des 1. Mai folgten über 500 Menschen dem Aufruf des Aktionsbündnisses „Für eine rebellische Stadt“ und demonstrierten gegen Ausgrenzung und Verdrängung, gegen den Ausverkauf der Stadt, gegen steigende Mieten und für bezahlbaren Wohnraum. Und weil der Markt das Problem der Wohnraumversorgung für alle offensichtlich nicht lösen kann, hat sich nun in Düsseldorf ein breites „Bündnis für bezahlbaren Wohnraum“ konstituiert, in dem sich verschiedene Stadtteilinitiativen, politische Organisationen und Einzelpersonen zusammengeschlossen haben. Das Bündnis will es nicht dabei bewenden lassen, den schlechten Zustand auf dem Wohnungsmarkt nur zu beklagen. Gesucht werden konkrete Lösungen für das Wohnungs- und Mietenproblem. Aber damit sich politisch „oben“ etwas bewegt, ist es unbedingt erforderlich, auch gesellschaftlichen Druck „von unten“ zu entfalten.

Wie man sich erfolgreich gegen eine*n Vermieter*in zur Wehr setzen kann, haben die Mieter*innen im Haus Bunsenstraße 12 in der Düsseldorfer Friedrichstadt schon ganz konkret gezeigt. Nach dem Verkauf des Hauses an die Firma Lodde Immobilien sollte die Miete nach zwei schon zuvor erfolgten Mieterhöhungen nun erneut steigen. Aber die Bewohner*innen des Hauses haben sich zusammengetan und mit Hilfe des Mietervereins gemeinsam Gegenwehr geleistet: Der Eigentümer musste die Mieterhöhung zurücknehmen und erklärte schließlich alles als „Versehen“. Lodde Immobilien gehören noch weitere Wohnhäuser in Düsseldorf, und inzwischen haben sich die Mieter*innen dieser Häuser mit Unterstützung des „Bündnisses für bezahlbaren Wohnraum“ zu einer ersten Mieter*innenversammlung getroffen. Es ist eine wichtige, gar nicht hoch genug einzuschätzende Erfahrung, dass man als betroffene*r Mieter*in den Eigentümer*innen nicht allein gegenüber steht, dass man sich gemeinsam und auch mit Erfolg wehren kann.

Die Politik hat auf kommunaler Ebene, aber darüber hinaus auch auf Landes- und Bundesebene, durchaus Handlungsmöglichkeiten: Spekulation lässt sich eindämmen, wenn kommunaler Grund und Boden grundsätzlich in öffentlicher Hand verbleibt und sein Bestand durch konsequente Nutzung des Vorkaufsrechts noch erweitert wird. Spekulationsgewinne können abgeschöpft werden, die Erteilung von Baurecht lässt sich an strikte Auflagen binden. Die Zweckentfremdung von Wohnraum kann verhindert, Luxussanierungen und Verdrängung durch Gentrifizierung können durch den Erlass von Milieuschutzsatzungen zwar nicht völlig unterbunden, aber doch erheblich behindert werden. Auf Landesebene könnte als Sofortmaßnahme ein Mietenstopp erlassen werden. Grundsätzlich ist anzustreben, dass Bau und Vermietung von Wohnungen wieder gemeinnützig durch Kommunen und Genossenschaften erfolgen. Dies sind nur einige Beispiele für Handlungsmöglichkeiten der Politik. Damit daraus aber auch konkrete Maßnahmen werden, müssen wir selbst für den nötigen politischen Druck von unten sorgen.

Dieses Ziel verfolgt das „Bündnis für bezahlbaren Wohnraum“, das am Mittwoch, den 3. Juli 2019 zu seiner ersten öffentlichen Veranstaltung in die Oberbilker Christuskirche eingeladen hat. In fünf Arbeitsgruppen wird erörtert, was man gegen steigende Mieten, leerstehende Wohnungen, Verdrängung durch Luxussanierungen und Gentrifizierung tun kann. Soviel steht jedenfalls schon jetzt fest: Investor*innenen, die auf der Jagd nach maximaler Rendite sind und Spekulant*innen, die mit ihren Wetten auf immer höhere Immobilienpreise auch die Mieten ständig weiter nach oben treiben, werden sich in Düsseldorf auf wachsenden Widerstand einstellen müssen.

Veranstaltung: Oberbilker Christuskirche, 3.7.
Helmut Schneider, Düsseldorf, Stadtgeograph
Runder Tisch Oberbilk
Bündnis für bezahlbaren Wohnraum