Ernsthaft: Ohne uns?

Am 13.12.2018 hatte der Parlamentarische Untersuchungsausschuss (PUA) „Kleve“ im Landtag von Nordrhein-Westfalen seine erste, konstituierende Sitzung.

Mit dem – inzwischen nicht mehr allzu glaubhaft überzeugenden – ernsthaften Plan, Aufklärung zu den Umständen der widerrechtlichen Inhaftierung und des Brandtodes von Amad Ahmad in der Justizvollzugsanstalt Kleve im September 2018 zu schaffen, kamen die Parlamentarier*innen unter Vorsitz der CDU seitdem in bislang sechs Sitzungen zusammen, um Polizist*innen, Brandgutachter*innen, Vertreter*innen der involvierten Staatsanwaltschaften sowie politisch Verantwortliche zu hören und deren Akten auszuwerten. Am Ende soll ein klares Bild dazu entstehen, warum im Spätsommer 2018 der syrische Geflüchtete Amad Ahmad ohne rechtliche Grundlage zunächst über Wochen inhaftiert wurde, wie im September 2018 dann in seiner Zelle ein Brand entstand, wer einen etwaigen Notruf aus der Zelle nicht gehört oder nicht beachtet hat und warum Amad Ahmad letztlich sterben musste. Gestorben an seinen schweren Verletzungen, die er sich beim Brand zuzog in einer Zelle, in der er nach geltendem Recht gar nicht hätte inhaftiert sein dürften. Es sind etliche Fragen offen (TERZ 03.19). Solange nichts anderes bekannt ist, steht zu vermuten, dass mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit etliche Beteiligte in Justizvollzug, Polizeiarbeit und Justiz Schuld auf sich geladen haben dürften. Anders ist die tödliche Geschichte Amad Ahmads nicht zu erklären. Wie etwa konnte es zu der vermeintlichen „Verwechslung“ von Amad Ahmad kommen, den die Polizei in Kleve nach Rücksprache mit der Staatsanwaltschaft Hamburg für einen anderen hielt – angeblich wegen der Namensähnlichkeit. Was hat es mit der naheliegenden und technisch verifizierbaren Vermutung auf sich, dass Datenmaterial zu den beiden, angeblich verwechselten Personen nachträglich manipuliert wurde? Was wussten Justizminister Peter Biesenbach und Innenminster Herbert Reul (beide CDU) wann über die Inhaftierungs- und Todesumstände?

Exklusiv, warum?

Nahezu unter dem Radar der Öffentlichkeit – lediglich zwei, drei Zeitungen berichteten bislang über den „PUA“ – hat der Untersuchungsausschuss im Frühjahr mit der Befragung von Zeug*innen begonnen. Wo aber ein Aufschrei zu erwarten gewesen wäre, herrscht erschreckende Stille: Der Ausschuss hat und wird seine Arbeit bis auf weiteres unter Ausschluss der Öffentlichkeit verrichten. Staatsanwält*innen und Polizeibeamt*innen hätten sich – mit Verweis auf laufende Ermittlungsverfahren – geweigert, unter Anwesenheit der Öffentlichkeit im Ausschuss Rede und Antwort zu stehen. Und konnten sich offenbar durchsetzen. Auch wenn die Vertreter*innen der Opposition im Ausschuss nach eigenen Angaben alles versuchen wollen, um die Zeug*innen-Vernehmungen in öffentlicher Runde weiterzuführen, hat sich für den Augenblick an diesem „exklusiven“ Zustand nichts geändert. So erklärten zwei SPD-Mitglieder des Ausschusses – Sven Wolf als Sprecher ‚seiner‘ Ausschuss-Fraktion sowie Andreas Kossiski, zugleich stellvertretender Ausschussvorsitzender – auf Nachfrage von Journalistinnen und Journalisten der unabhängigen Rechercheplattform „NSU-Watch NRW“, selbst überhaupt nicht einverstanden zu sein mit dem Ausschluss der Öffentlichkeit aus den Anhörungs- und Vernehmungssitzungen. Von ihrem Elan, sich dafür einzusetzen zu wollen, dass das anders wird, ist in der Umsetzung jedoch nichts zu spüren. Die nächste Sitzung des PUA ist weiterhin als „nichtöffentlich“ eingestuft. Wenn am 2.7.2019 um 15 Uhr also Polizeihauptkommissar (PHK) S. befragt wird, erfährt die Öffentlichkeit nichts darüber, was dessen Aufgabe gewesen ist, was er beobachtet hat, wo er Amad Ahmad überhaupt begegnete und was der Polizeibeamte zur Sache zu sagen hat.

Der Ausschussvorsitzende Jörg Geerlings (CDU) oder das Ausschussbüro haben auf Nachfrage, wie der PUA sich im weiteren Verlauf zur Öffentlichkeit verhalten will (es sind von Juli bis Ende des Jahres noch acht Sitzungstermine anberaumt, über weitere Termine für 2020 wird bereits beraten) oder auf welcher Rechtsgrundlage der Ausschuss unter Ausschluss der Öffentlichkeit zusammenkommt, bislang nicht reagiert. Offiziell schweigt der Ausschuss sich also aus – und schafft stattdessen Fakten.

Aufklärung ohne Interesse

Zu interessieren scheint das aber ohnehin niemanden. Jenseits der kurzfristig aufblitzenden Presseberichte anlässlich der Entscheidung, die Öffentlichkeit auszuschließen, fehlt beinahe jede auch noch so leiseste Form kritischer Berichterstattung über dieses ausschließende Prozedere. Das Fernsehmagazin Monitor berichtete zwar über die Ungereimtheiten im „Fall Amad A.“, hält mit scharf kritischen Positionen zu den Verantwortlichkeiten für den Tod Amad Ahmads nicht hinterm Berg. Aber der PUA?

Es wäre ein fatales Signal, wenn der Untersuchungsausschuss nicht Gegenstand kritischer Berichterstattung wäre. Ein Fehler, wenn die Politiker*innen, die sich das Feigenblatt eines Untersuchungsausschusses anheften möchten, in ihrem vermeintlichen „Aufklärungsinteresse“ für die Öffentlichkeit unsichtbar blieben in ihrem Tun. Der Ausschuss muss darum öffentlich tagen, sonst können sich auch SPD und Grüne ihr Engagement sparen – Engagement, dass von CDU, FDP und AfD ohnehin nicht zu erwarten ist. „Institutioneller Rassismus war schon im Untersuchungsausschuss zum sogenannten NSU im Landtag von NRW für viele Ausschussmitglieder etwa der heutigen Landesregierungskoalitionsparteien kein Thema. Sie hätten davon im NSU-Ausschuss nichts entdecken können“, sagt NSU-Watch NRW im Gespräch mit der TERZ. „Aber das ist absolut realitätsfern. Im Gegenteil: Das Problem heißt Rassismus – auch in den Behörden, bei der Polizei und Justiz“. Die Initiative NSU-Watch NRW hat der TERZ gegenüber angekündigt, den PUA nicht aus den Augen zu lassen. Ganz ohne kritische Nachfragen wird der Untersuchungsausschuss zum Tod von Amad Ahmad also nicht arbeiten können. Das sind wir Amad Ahmad schuldig!

Als nächste Termine für die Sitzungen des „PUA Kleve“ sind angekündigt:
09.07. 14 Uhr
24.09. 14 Uhr

Ob die Sitzungen öffentlich sein werden, ist immer erst sehr kurzfristig herauszufinden in den Tagesordnungen zu den jeweiligen Sitzungen, die der Landtag auf seiner Homepage veröffentlicht (https://www.landtag.nrw.de/home/parlament-wahlen/ausschusse-und-gremien/untersuchungsausschusse/untersuchungsausschuss-3)