TERZ 12.11 – BEWEGUNG
OccupyDuesseldorf – wie war das noch, wie ist das, wie wird das noch werden?
So drei Wochen vor dem 1. Weltrevolutionstag, der von einer spanischen Bewegung für den 15.10.2011 ausgerufen war, klingelte etwas in meinem Fratzebuch-Postfach und eine Anfrage einer "Occupy"-, einer "Echte Demokratie Jetzt"-, einer "Global Revolution"-Bewegung fand sich dort, ob wir im "Nimmerland" Räumlichkeiten für ein Orga-Treffen zur Verfügung stellen könnten.
Das erste Treffen kam, und die Teilnehmer_innen waren erfrischend unterschiedlich in Alter, biografischen Hintergründen und (un-) politische Haltung, und doch letztlich so einig in den Wünschen und der viel zitierten Empörung. Ich war dann gar nicht lange bei diesem Treffen, war aber froh über meine Entscheidung, der Gruppe die Möglichkeit geboten zu haben, die Planung für die Demo in unseren Räumen durchzuführen.
Nadine, die Initiatorin der OccupyDuesseldorf-Bewegung, hatte mich besonders beeindruckt. Eine junge Frau ohne große Gesten, aber mit wild-bescheidenem Enthusiasmus, die beeindruckt von ihren Erfahrungen mit den Camps in Spanien und in Berlin eine Entscheidung getroffen hatte. Sie wollte auch in NRW ein Occupy-Camp gründen, einfach so. Sie begann im sozialen Netzwerk Fratzebuch Aufrufe für eine Demo zu platzieren und hatte durch ihre leidenschaftliche Begeisterung in kurzer Zeit ein paar Mitstreiter_innen gewonnen. Von einem Camp redete erstmal keiner. Nach dem ersten Treffen kam das Zweite. Ich hörte dort erstmals von der Camp-Idee. Ich war fasziniert, hatte aber überhaupt nicht vor, daran teilzunehmen. Nadine und die anderen hatten letztlich aber doch schon einen Funken in mir entfacht und trotz meiner vielen Baustellen floss nun auch nach und nach immer mehr Engagement in die Vorbereitungen für die Demo. Wir verabredeten uns zwei Tage vor der Demo, um Banner, Plakate und Flyer zu gestalten. Vor allem die Stimmung, die von hoher Motivation getragene Gruppendynamik, steckte mich an. Die beteiligten Menschen suchten sich alle Aufgaben selbst und arbeiteten diese ab und auch ich fand mich ganz schnell in der Planung für Sound und einer eigenen Bannergestaltung wieder, ohne mich großartig angetrieben zu fühlen: Es war durch die vielen Gespräche in dieser Planungsgruppe zu einer Selbstverständlichkeit geworden. Die Zeit war gekommen, teilzuhaben an etwas erkennbar Neuem und, wie wir uns gegenseitig immer wieder versicherten, an etwas Großem, Globalem. Neben dem Thrill des weltweiten Widerstands war wohl auch mein größter Antrieb die völlige Abwesenheit von politischen Dogmen und Zwängen. Hier hatten sich, wie in anderen Occupy-Städten auch, Menschen gefunden, ohne Parteibuch, ohne Ideologie, sondern mit einer völlig anderen Herangehensweise.
Vor allem herrschaftsfreie Strukturen waren und sind Konsens, niemand von uns will ein System der Unterdrückung, der Herrschaft, der Autoritäten. Diese Übereinkunft von so vielen unterschiedlichen Menschen hat mich völlig in den Bann gezogen. Also zog ich am 15.10.2011 mit der OccupyDuesseldorf-Demo aus und war begeistert von dem Echo auf den Aufruf. Über 2.500 Demonstrant_innen waren gekommen und Düsseldorf hatte seine erste "Echte Demokratie Jetzt"-Lektion erhalten. Am Graf-Adolf-Platz war die Abschlusskundgebung und bis zum frühen Abend gab es die Möglichkeit für die Teilnehmer_innen der Demo, am "Open Mic" teilzuhaben, eine Art "Speakers Corner", eine Mitsprachegelegenheit für jedermensch. Dort konnten wir sehen, dass es bei vielen Menschen ein tiefes Bedürfnis gibt, die eigene Empörung zu artikulieren, ohne sich direkt einer Partei, einer Initiative oder ähnlichem anschließen zu müssen. Die Hemmschwelle war weg, die Menschen waren unter sich und redeten frei von Schranken und Klassen. Ein Unternehmer beklagte die Geschäftpolitik der Banken, die fatalen Auswirkungen der Zockermentalität auf den Mittelstand, viele beklagten die sozialen Missstände und die soziale Ungerechtigkeit in unserem System, andere sprachen über weltweite Ausbeutung, Sklaverei und Völkermord, so viele Themen mit dem einen Konsens: Wir wollen dieses System der Ungerechtigkeit, der Missachtung der Menschenrechte nicht mehr hinnehmen. Eine tolle Veranstaltung.
Wie kam es dann zum Camp? Die Demo wurde von uns aufgelöst und eine Handvoll Occupy-Aktivist_innen stand nun vor der Frage: Was tun? Es wurde schnell klar, nur diese Demo kann es nicht gewesen sein. Im Vorfeld wurden ja schon Plätze in Düsseldorf auf die Tauglichkeit für ein Camp abgeklopft, jemand hatte bei der Johanneskirche am Martin-Luther-Platz erfragt, ob von Seiten der Gemeinde Vorbehalte gegen ein Camp zu erwarten seien, und die Antwort war ermutigend gewesen. Dieser Platz war also die erste Wahl, zumal dort in Wurfweite die Deutsche Bundesbank und die Börse ihre Niederlassungen haben. Ein kleines Grüppchen von ca. zehn Menschen machte sich auf und ich, ja, ich entschied mich erst in diesem Augenblick dafür, dort auch ein Zelt aufzubauen. Wir hatten keine Ahnung, wie erfolgreich die Besetzung des Platzes sein würde, aber wir zogen einfach mal dorthin und bauten einen Pavillon, einen Infotisch mit all unseren Materialien und Bannern, Plakaten und vier oder fünf Zelte auf und harrten der Dinge, die kommen würden. Wir meldeten ca. zehn Minuten vor der Errichtung des Camps dieses dann als Fortführung der Kundgebung an. Wie genau die Verhandlungen mit der Polizeidirektion dann abliefen, kann ich nicht rekonstruieren, es war aber, wie die ganze Zeit bis dato, ein Klima zwischen OccupyDuesseldorf und den Ordnungskräften, das geprägt war und ist von Kooperationsbereitschaft auf beiden Seiten. Das hat mich nachhaltig fasziniert, da ich von der Polizei, durch meine Biografie bedingt, bisher ein eher ambivalentes Bild hatte. Gorleben sowie der G8-Gipfel in Rostock waren meine letzten Berührungspunkte mit der Staatsmacht gewesen, und diese waren nicht immer erfreulich.
Da hab ich nun viel geschrieben, wie ich auszog, der Bewegung zu folgen und die Seiten sind schon pickepackevoll. Der Vollständigkeit halber berichte ich nun noch kuz, warum ich wieder aus dem Camp ausgezogen bin. Nach fünf Wochen habe ich mich nicht mehr im Camp-Alltag wiedergefunden, denn wie in jeder Gruppe bildeten sich leider auch hier Hierarchien und Machtstrukturen, die ich jedoch radikal ablehne. Ich denke, diese Phase wird im inneren Diskurs schnell überwunden sein, daran kann ich aber aufgrund meiner impulsiven und leidenschaftlichen Herangehensweise nicht teilhaben. Wenn diese Phase überwunden ist, bin ich bereit, mein Zelt wieder aufzustellen und die Monate Januar und Februar dort auszuharren. Da ich aktuell ins Wendland reise (die Regionalgruppe Düsseldorf von Robin Wood ist eine weitere Heimat meiner politischen Arbeit geworden), bin ich eh blockiert, denke aber viel über die OccupyDuesseldorf-Sache nach; so organisiere ich mit vielen Helfer_innen ein konsumkritisches Volxküchenevent am 24.12.2011, welches vor allem den Gedanken des "Occupy Your Mind", des "revolutioniere Deinen Geist", in den Mittelpunkt stellen wird.
Mein Auszug vom Camp geht also nahtlos in den nächsten Auszug zum Robin-Wood-Camp nach Gorleben in den nächsten Auszug aus alten Gewohnheiten in den nächsten Auszug in eine bessere Welt über. Als wie wenn mensch sonst nix zu donn hätt, wie...?
HANNO
Die seit nunmehr vier Jahren eskalierende Krise bringt einiges durcheinander. Auch das Bewusstsein der Bürger_innen bleibt davon nicht verschont. An den Alltag der kapitalistischen Ordnung gewöhnt, verstehen viele die Welt nicht mehr, wenn die beste aller Welten es zur Krise des gesamten Systems bringt und ein gigantisches Zerstörungswerk anrichtet. Vor diesem Hintergrund hat sich eine Protestbewegung formiert, die vom Zentrum des globalen Finanzgeschäfts ausgehend inzwischen auch in Deutschland von sich reden macht: "Occupy Wall Street ... Berlin, Frankfurt, Hamburg!"
In ihrer "Deklaration" listet die Bewegung eine unendliche Zahl an Schäden auf, die der Menschheit angetan werden:
Worauf will diese unendliche Ansammlung beliebiger Beschwerden hinaus? Soll das für die Entdeckung stehen, dass das System des Profits dafür verantwortlich ist, dass die Lebensinteressen der Menschen unter die Räder kommen?
Das wäre ein gründliches Missverständnis der Bewegung. Denn die angeführten Untaten verstehen sich als eine Art Sammelklage, in die sich jede_r mit einem verletzten Interesse einreihen kann. Welcher Art dieses Interesse ist, welchem Standpunkt es entspringt – das ist völlig gleichgültig. Ob jemand für Pressefreiheit eintritt oder für gerechte Lohnverhandlungen, für gleichberechtigte Homosexualität am Arbeitsplatz oder für das Menschenrecht auf Bildung: Alle wie auch immer verschiedenen und gegensätzlichen Anliegen sind willkommen, weil sie nur dazu dienen, eine umfassende Betroffenheit sinnfällig zu machen, die von einem Übeltäter kommt – "SIE"!
Mehr ist für dieses ebenso abstrakte wie absurde Weltbild nicht drin. Es bezieht seine Nahrung bloß aus einer Tatsache, die von der Bewegung zum Inbegriff der Allgemeinheit gemacht wird: Dass die Menschen durch das kapitalistische System nicht wenig Schaden erleiden, zeichnet sie in der Sicht der "Empörten" als das große Kollektiv der irgendwie Geschädigten aus. Das ganze menschliche Panoptikum der kapitalistischen Konkurrenz – von Lehrer_innen bis zu Rechtsanwält_innen, von Arbeiter_innen bis zu Konsument_innen – aufgelöst in ein "vereintes Volk" der "99%", an dessen gemeinsamer Betroffenheit das üble Werk der "1%" zu besichtigen ist. In dieser Fiktion eines über die Allgemeinheit und zu deren Schaden wirkenden Subjekts sehen die Besetzer_innen der Banken- und Börsenplätze das ungute System am Wirken: So als wäre die Gesellschaft im Kapitalismus eine externe Größe, die mit ihm nur durch den "Eigennutz", die "Profitgier" und die "Unterdrückung" der "1%" schlechte Bekanntschaft macht.
Ihrer Beschwerde verschafft die "Occupy Wall Street"-Bewegung öffentlich Luft. Sie besetzt die Plätze und Straßen, an denen der Kontrast zwischen der Allgemeinheit und der absoluten Randexistenz der "1%" am besten sichtbar ist. Das soll ihr Protest nämlich sein: Ein lebendiges Gegenbild mit dem Ziel, das sich in aller Öffentlichkeit zeigt und aufstellt. Und das geht dann voll und ganz in Aktionen des Gemeinsinns auf, mit denen die Bewegung demonstriert, dass sie für alles offen ist, was sich ihrer Gemeinschaft anschließen will. Wenn dann einer der Herren aus den Geldhäusern ihr munteres Mahnmal besucht, einen Kaffee spendiert und ein paar nette Worte verliert, dann ist die Welt des entgleisten Kapitalismus für die Camper_innen schon auf dem Weg zur Besserung. Was der Mann treibt, wenn er dann wieder an seinen Arbeitsplatz geht und das große Geld um den Globus bewegt, auf dass es mehr wird – wen interessiert das denn!
Jetzt sagen wir einfach mal: Das sollte aber interessieren, damit man nicht in die Lage einer deutschen Anhängerin von "Occupy Wall Street" kommt:
"Ich blicke überhaupt nicht mehr durch, obwohl ich Wirtschaftswissenschaften studiere."
Einmal abgesehen von der Frage, ob das Studium ausgerechnet der Wirtschaftswissenschaft eine Hilfestellung für den sicheren Blick auf das Krisengeschehen bietet.
Was da seit nunmehr vier Jahren mit allen Eskalationsstufen abläuft, ist ja wirklich nicht ganz einfach zu erklären. Anfangen lässt sich mit der Bereinigung des modernen Krisenbewusstseins, das in der falschen Empörung der "Occupy Wall Street…"-Bewegung steckt.
HENRICI