Der Knast geht, das System bleibt!

Seit dem 15. November 2011 ist der Frauen-Abschiebeknast auf der Grünstraße in Neuss geschlossen. 18 Jahre lang war hier die letzte Station für Tausende von Frauen, bevor sie gegen ihren Willen abgeschoben wurden. 18 Jahre lang gab es Proteste gegen den Knast und die europäische Asylpolitik, deren Ziel es nie war und ist, Menschen in Not Hilfe und ein Leben in Würde und Sicherheit zu gewähren, sondern sie zu illegalisieren, auszubeuten und abzuschieben.

Erfolgreich waren diese Proteste allerdings nicht, denn der Knast wurde nicht geschlossen, weil sich irgendetwas im Umgang mit den Migrant_innen verbessert hätte. Im Gegenteil: Die Türen des Knastes auf der Neusser Grünstraße bleiben nur zu, weil die Abschottung Europas so erfolgreich ist, dass es kaum noch jemandem gelingt, die Grenzen zu überwinden und Asyl zu beantragen. Die Frauen, die bis zu dem Tag der Schließung auf der Grünstraße gefangen gehalten worden, sind nun in die JVA Büren verlegt worden.

Die Stille, die in Zukunft in dem großen Knastgebäude herrscht, ist deshalb nichts anderes als die Totenstille über den Gräbern der mehr als 10.000 Menschen, die in den vergangenen zwanzig Jahren bei dem Versuch gestorben sind, Europa zu erreichen. Sie ist die Stille über den Gräbern ebenso all jener Menschen, die sich vor oder nach ihrer Abschiebung aus Verzweiflung getötet haben. Sie ist auch das Schweigen in den Kehlen all jener, die es allen Widrigkeiten zum Trotz nach Europa geschafft haben, um den Preis, hier ein Schattendasein als Illegale zu führen.

Für alle bedeutet dies ein Leben ohne Rechte, ohne Zugang zu Gesundheit, Sicherheit und Bildung. Für betroffene Frauen bedeutet es zudem ein Leben als billige und gefügige Arbeitskräfte in Bordellen, in der Kinderbetreuung, als Putzhilfe oder in der Pflege. Frei verfügbar, rechtlos und extrem billig, stehen sie dem Arbeitsmarkt zur Verfügung und sind wehr- und schutzlos der Willkür ihrer Arbeitgeber_innen ausgeliefert.

Dies ist keineswegs zufällige Folge, sondern profitabler Nebeneffekt der restriktiven europäischen Politik gegenüber schutzbedürftigen Frauen. Das zeigt schon der Umstand, dass bei der Verfolgung in erster Linie die entrechteten Migrant_innen im Fokus der Behörden stehen und keineswegs die Netzwerke von Schleppern, Zuhälter_innen und anderen Profiteur_innen der Illegalisierung.

Weitgehend risikolos lässt sich so Gewinn erzielen aus der rechtlosen Lage von Frauen, die sich aus vielerlei Gründen für die Flucht nach Europa entschieden haben: Genitalverstümmelung, Zwangsprostitution oder Zwangsverheiratung gehören zu den zentralen Motiven der Frauen, denen in ihren Herkunftsländern oft jeglicher Zugang zu Bildung, ja zu jedweder Form selbstbestimmten Lebens verwehrt bleibt. Als Angehörige ethnisch oder religiös verfolgter Minderheiten, als Lesben oder politische Aktivist_innen verfolgt, oder vor Kriegen geflohen, nicht selten auch vor den Folgen der wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Zerstörungen, die internationale Konzerne beim systematischen Ressourcenraub in aller Welt hinterlassen.

Fortsetzung folgt

Auch wenn der Abschiebeknast nun geschlossen ist, soll und wird sich an der Situation der illegalisierten Frauen nichts ändern nach dem Willen derer, die die Verantwortung tragen für die europäische Abschottungs- und Anti-Asylpolitik. Nach wie vor soll Europa "geschützt" werden vor dem Ansturm jener, die sich in der großen Hoffnung auf ein menschenwürdiges Leben auf den Weg machen.

Anders als bei Aktionen gegen Nazis, zu denen sich Menschen verschiedenster politischer Richtungen zusammenfinden, etwa bei der Blockade von Nazi-Demonstrationen oder dem Protest gegen Veranstaltungen von NPD, "Autonomen Nationalisten" oder Rechtspopulisten, stehen Menschen, die aktiv Abschiebungen verhindern wollen, die so genannte "Illegale" unterstützen oder einfach nur gegen Abschiebung demonstrieren, oftmals allein auf weiter Flur.

Dabei ist der Protest gegen solche Anti-Asylpolitik auch innerhalb der "linken Szene" oft eher zurückhaltend: Bei weitem nicht so intensiv wie die sogenannte Anti-Nazi-Arbeit wird das Thema staatlicher Rassismus diskutiert und behandelt. Und jenseits dieses Kreises werden Diskussionen zur Asylpolitik schnell kontrovers. Die einen haben sich mit den bereits vorhandenen Migrant_innen arrangiert, wollen aber keine neuen mehr. Die anderen wollen nur die hereinlassen, die nachweisbar in ihrem Herkunftsland politisch verfolgt werden. Diejenigen, die "nur" ihre Überlebenschancen auf Kosten europäischer Staatsbürger_innen verbessern wollen, sollen dagegen draußen bleiben. Dritte wiederum arbeiten an der Verbesserung des Kapitalismus, so dass die Menschen gar nicht auf die Idee kommen, nach Europa zu flüchten und lieber "ihrer eigenen Nation" zur wirtschaftlichen Sicherheit verhelfen.

Dass Menschen sämtlicher politischer Facetten gemeinsam gegen Nazis demonstrieren und im gleichen Zug die tagtägliche Abschiebepraxis ignorieren, hinnehmen oder legitimieren, scheint nicht verwunderlich. Beides – "gegen Nazis sein" und die Asylpolitik gerechtfertigt heißen – dient dem Schutz der bürgerlichen Rechte. Dient der Sicherstellung des eigenen, "freiheitlichen" Nationalgefühls. Dient dem Erhalt der bürgerlichen Gesellschaft.

Doch Staat, Nation und Kapitalismus, die Säulen unserer Gesellschaft, reproduzieren sowohl den Wunsch nach einer "neuen Volksgemeinschaft" als auch die Idee, Menschen nach ihrer Verwertbarkeit auszusortieren.

Ohne die Überwindung der bürgerlichen Gesellschaft werden auch Nazis weiterhin ihre stumpfsinnigen Ideen in die Welt hinaus tragen und Menschen abgeschoben werden.

Auch wenn der Neusser Abschiebeknast nun nach 18 Jahren geschlossen wurde, geht die tagtägliche rassistische Abschiebepraxis, für die die Menschen, die diese Gesellschaft legitimieren, in tiefster Verantwortung stehen, weiter.

Solidarisch zeigen wir uns mit allen davon betroffenen Menschen. Ganz egal, ob sie aus ihren Herkunftsregionen geflohen sind oder sich aus freien Stücken dazu entschieden haben, in der EU zu leben. Genau deshalb werden wir in Neuss auch weiterhin gegen staatlichen Rassismus, Kapitalismus und bürgerliche Ignoranz demonstrieren.

AKTIONSBÜNDNIS FÜR GLOBALE BEWEGUNGSFREIHEIT

Infos zum Thema:
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Demo 03.12.2011 Neuss, 16:00 Uhr Hbf