filmDer wiedergefundene Proust

Marcel Prousts "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit" auf die Leinwand zu bringen, ist ein lang gehegter Autorenfilm-Traum. Visconti und Losey hatten ihn, Schlöndorff realisierte und profanisierte ihn und Raúl Ruiz machte ihn jetzt mit "Die wiedergefundene Zeit" auf traumwandlerische Weise wahr.

Der in Frankreich lebende chilenische Filmemacher Raúl Ruiz findet einen ganz eigenen Zugang zum Proust-Epos. Er entwickelt eine neue Erzählstruktur, fügt Szenen hinzu, entwirft mitunter surreale Tableaus und bleibt dabei dem Geist des Romans doch treu. Vom Ende her - der Chilene Ruiz begann einst seine "Recherche"-Lektüre mit dem zuerst ins Spanische übersetzten letzten Teil "Die wiedergefundene Zeit" - schlägt er eine erzählerische Bresche durch das monumentale Werk. Um eine Soirée und eine 12 Jahre später stattfindende Zusammenkunft des illustren Kreises der Hoch-Aristrokratie herum gruppiert der Regisseur die Erinnerungen, die der Erzähler Proust mit den dort anwesenden Personen verbindet. Durch so unterschiedlicher Medien wie wiedererkannte Gesichter, Bücher, alte Musikstücke oder den Klang eines Löffels beim Umrühren einer Tasse Tee, der bruchlos in ein Zuggeräusch übergeht, beschwört Raúl Ruiz die Sommerfrische im Seebad Balbec, die Zeit mit den früheren Mädchenblüten Albertine und Gilberte, die erste Begegnung mit der späteren Odette Swann und die fremde, seltsame Welt des Baron Charlus' erneut herauf.

Wie durch einen Schleier betrachtet wirken die großen Gesellschaften der Rahmenhandlung. Doch nicht nur mittels dieses Kunstgriffs schafft Ruiz es, die Bilder der jeweiligen Roman-Gegenwarten sich nicht scharf einbrennen zu lassen, sondern sie durchlässig zu machen für den Angriff der Vergangenheit auf die übrige Zeit. Mal zeigt er ein- und dieselbe Szene zweimal, mal friert er die Personen zu einem Stilleben ein, dann wieder rückt er sie auf ihren Stuhlreihen lautlos im Saal umher. Auch die Episoden aus der Vergangenheit haben nicht mehr Schwerkraft. Alles wirkt flüchtig und ohne dramatische Höhepunkte, zugleich aber zwingend. Zuallererst ist das ein Verdienst der SchauspielerInnen. John Malkovich als Baron de Charlus, Cathérine Deneuve als Odette und Edith Scob als Oriane de Guermantes haben keine großen Entfaltungsmöglichkeiten, schaffen es jedoch von Beginn an, den Figuren Prägnanz zu geben. So hält Raúl Ruiz das Ganze in der Schwebe und kommt damit dem Ansinnen Prousts recht nahe: Den Prozess des Erinnerns zu thema-tisieren und im Schreiben selbst, das die verlorene Zeit vor dem Vergessen rettet, den Schlüssel zum Happy End zu finden.