100. Geburtstag von Gustav Gründgens

Als "Riesen", ja als "Theaterriesen" feierte die Rheinische Post den in Düsseldorf geborenen Gustav Gründgens. Ein "genialer Schauspieler" sei er gewesen, ein "legendärer Darsteller", ein "brillanter Regisseur", ein "unvergleichlicher Intendant", ja ein "Idealintendant", gar ein "Jahrhundert-Künstler", eben ein "Gigant" (22.12.99). Weil aber das alternative Terminblättchen Biograph ja gar nicht freiwillig gleichgeschaltet ist, nennt es den Giganten "Theater-Gigant", einen "der größten Schauspieler des Jahrhunderts" (Jan. 00). Und etwas anderes als solche peinlichen Lobeshymnen hat der ehemalige Herr Präsidialrat der Reichstheaterkammer auch gar nicht verdient. Wie ihren größten Bühnenriesen, so feiert die offiziöse Zeitung der Stadt auch die Kunstform, die Gründ-gens repräsentiert, das Theater. Dieses sei ein "Heiliger Krug", ein "Tempel", zu dem die Zuschauer "wallfahrteten" (RP 22.12.99). Um die Gründe für solche Verklärung einer Kunstform weiß die Geschichtswissenschaft. Weil die im 19. Jahrhundert zu spät gekommenen Deutschen auf keine revolutionären politischen und technischen Leistungen verweisen konnten, weder auf die freie Republik, noch auf die Dampfmaschine, deshalb kompensierten sie ihren daraus resultierenden psychotischen Minderwertigkeitskomplex mittels der penetranten Verehrung ihrer "Dichter und Denker", betonten gegen die bürgerliche Zivilisation ihre Kultur, nannten sich nicht Nationalstaat, sondern Kulturnation. War Kultur in Paris eine Selbstverständlichkeit, Theater in London ein Ort der Aufklärung und der Unterhaltung, so wurde Theater in Deutschland mit einer mystischen Aura umgeben, ein heiliger Ort, ein nationaler Kulturtempel, den man mit verklärten Augen betrat. Und auch die Nazis hatten keine andere Vorstellung von Theater, betrachteten sie doch dieses "als eine Art nationalen Gottesdienst", (Blubacher, Gustav Gründgens S.53) Einen "heiligen Raum" sah auch Gründ--gens im Theater (ebd.).

Die Wahrheit zeigt sich, wenn die Dinge auf die Spitze getrieben werden, und die Wahrheit über Gustav Gründ-gens zeigte sich 1933. Der Weltkrieg I-Freiwillige, der eigentlich der Linken zugerechnet wurde, ging nicht ins Exil. Der ehrgeizige Salonbolschewist blieb und diente sich aus wohl unterschiedlichen Gründen der neuen Macht an: Erfolgssucht, Karrierismus, vielleicht auch aufgrund der naiven Vorstellung, das neue Regime werde sich nicht lange halten, und es gelte das Theater "über diese Spanne der Torheit hinüberzuretten" (Briefe S. 359). Vor allem aber war es die "Lust am riskanten Spiel" mit der Macht (Blubacher S. 39), der Reiz am "Tanz auf dem Vulkan" (Gründgens-Film), eben genau jenes "abenteuerliche Programm selbstgefälliger Unverantwortlichkeit", das Gustav Gründgens kennzeichnete (Dietrich Kuhlbrodt, Jungle World 52/99). Gründgens wurde 1934 Intendant des Staatsschau-spiels von Hermann Görings Gnaden, ging bei dem ein und aus, hatte Unterredungen mit Joseph Goebbels, bat um Audienz bei Adolf Hitler. Mehrfach gab es auch Konflikte, der Homosexuelle Gründgens reichte seinen Rücktritt ein, 1936 ging er sogar in die Schweiz und spielte Exil, doch er schaff-te den Absprung nicht, kehrte wieder zurück. In solchen zugespitzten Situationen zeigte sich, Gründ-gens blieb der Theater-mann des 3. Reiches. Schon 1934 war Gründgens zum Arisierungsgewinnler geworden, er beauftragte den Gruppenführer der SA, Gerd Voß, mit den Kaufverhandlungen für das Zeese-ner Schloß der jüdischen Familie Goldschmidt. Der Preis "machte gerade mal die Hälfte des festgelegten Einheitswertes" aus. Die Goldschmidts sprechen von einem "klassischen Fall von Arisierung" und klagten nach dem Anschluß der DDR in Konkurrenz mit dem Gründgens-Erben auf Rückgabe des Besitzes (taz 14.3.97). Trotz solcher Eindeutigkeiten will Gründ-gens nichts mit dem 3. Reich zu tun gehabt haben wollen, war nach 1945 sogar "der Versuchung erlegen, sich als Widerstandskämpfer zu sehen" (Michalzik, Gustav Gründgens S.176). Ja, so war der Gustav, so wie Degenhardts Horsti Schmandhoff: "Wendevirtuose, Imagewechsler, eleganter Durch-kommer": Erst am 7.11.35 mit Goethes Egmont eine "geschlossene Festvorstellung für Hitler, die Regierung und die Mitglieder des diplomatischen Corps" geben (Blubacher S. 54), dann in dem anti-britischen Propagandafilm Eine Frau ohne Bedeutung auftreten, sich zum "Affen der Macht" machen, den "Clown zur Zerstreuung der Mörder" geben (Klaus Mann, Mephisto), die Kunst- und Kulturfassade aufpolieren helfen, hinter der Deutschland den millionenfachen Massenmord vorbereiten konnte und hinterher mit nichts etwas zu tun gehabt haben wollen, weil man auch einigen geholfen hat, manchem das Leben gerettet. Es war eben ein "artistischer Tanz auf dem Hochseil ... Sein Sicherheitsnetz war sein Verständnis von Theater ... : die festlich entrückte Gegenwelt zum Alltag. An diesen von aller politischen und gesellschaftlichen Wirklichkeit abgehobenen Theater-Sonntag glaubte Gründgens zeitlebens." (RP 22.12.99) Daß Gründgens ein "Widerstandskämpfer gegen den Hitlerstil" gewesen sei, ist eine Legende. Fritz Kortner hat diese seine Aussage noch auf der gleichen Seite selbst relativiert: auch Gründgens "konnte nicht verhindern, daß der (braune, d.Vrf.) Zeitgeist das Theater penetrierte (Aller Tage Abend S. 375). Außerdem haben die Nazis eben schnell begriffen, daß für das Funktionieren ihres Regimes von Nutzen war, den Menschen wenigstens eine kleine Nische jenseits aller Propaganda zu lassen - dem Proleten sein Fußballänderspiel, obwohl die Nationalelf zum Verdruß der Nazis viel zu häufig verlor, anderen eine kleine Nische für den eigentlich jüdisch-vernegerten Jazz und dem ewigen deutschen Bildungsspießer eben sein klassisches werktreues Theater, welches der Gründgens dann auch prompt lieferte - jedenfalls so lange bis die Rote Armee ihn an weiteren Lieferungen hinderte. Die ist zwar leider heute weg, aber die Schrecklich nette Familie der Amis hält die gemeingefährlichen Theaterdeutschen ja immer noch in Schach, Peggy Bundy: "Theater? Stampfen da nicht diese beschissenen Riesenwalküren auf der Bühne rum!"

KAROL ZELENT