Stammtischsprüche aus der Wissenschaft

Kinder sind zu verwöhnt

Der Leiter des Neusser Katholischen (!) Jugendamtes und Erziehungswissenschaftler, Dr. Albert Wunsch, hat ein Buch mit dem Titel "Die Verwöhnungsfalle" geschrieben. Leider sind seine auf 240 Seiten verteilten Stammtischsprüche erst im März erhältlich. Damit aber unsere Neugierde ein wenig befriedigt wird, hat uns die Neuss-Grevenbroicher Zeitung am Heiligen Dreikönigstag einen heißen Tipp gegeben. Schon im Oktober 1998 veröffentlichte Dr. Wunsch in "Die Zeit" (hört sich furchtbar an, soll aber richtig sein) Nr. 41 einige Kostproben seiner Gedankenblitze:

"Jeglicher Wollensäußerung im Moment zu entsprechen heißt auch, Auseinandersetzung zu vermeiden und Anspruchsdenken zu fördern. Was, wenn mal wirklich eine Durststrecke ansteht, wenn es Entbehrung kostet, ein Ziel zu erreichen? In dauernder Bedürfnisbe-frie-digung heranwachsende Kinder werden panisch reagieren. Der Verzicht wird als persönlicher Angriff erlebt, dem mit Aggression begegnet wird."

Und wie geht's weiter?

"Arbeitsunwillige Sozialhilfeempfänger wie Schein-Arbeitslose verteidigen vehement ihren 'Leistungsanspruch', die Verpflichtung zum eigenen Engagement lehnen sie brüsk ab."

Und wo endet die Geschichte?

"Aufgeweichte Jammergestalten, ideenlos, frustriert, ohne Kraft, Mut und Zukunftsperspektive gibt es schon genug. Damit kann weder die Verantwortung für die nachwachsende Generation übernommen noch der Wirtschaftsstandort Deutschland abgesichert werden."

Unser Vorschlag: Der Wunsch-Doktor kann doch mal in Pskow die Suppenküche besuchen. Dort findet er die unselbständig gehaltenen Ex-Sowjetbürger, die als "aufgeweichte Jammergestalten" apathisch auf ihr Süppchen warten. Nur eins sind die bestimmt nicht: aggressiv! Schön wär's!


Nachrichten aus Pskow

Gulaschkapitalismus?

Alljährlich zu Zeiten von Väterchen Frost erreichen den Neusser Bürger schlimme Nachrichten aus der russischen Partnerstadt Pskow. Dort haben nämlich zwei Neusser, Käte und Friedrich Halbach, eine Suppenküche eingerichtet. Sie versorgt 400 Erwachsene und 75 Kinder mit einer täglichen Speisung.

Was die beiden Neusser Wohltäter zu berichten haben, ist erschreckend:

"Die Preise steigen beständig, alle sind auf sich selber allein gestellt, jeder überlebt, wie er kann. (...) Die Industrie liegt nach wie vor am Boden, die Stadt hat kein Geld, die Löhne wurden nur bis einschließlich April gezahlt, nur die Renten kamen diesmal pünktlich. Die Not ist gestiegen, das Existenzminimum wurde mit 745 Rubel angegeben, die Durchschnittsrente lag bei 450 Rubel, 6.000 Rentner erhalten geringere Renten. Medizin ist nicht mehr kostenlos, die Preise sind zum Teil über 100 Prozent gestiegen, 19.089 Menschen waren im August im sozialen Zentrum als bedürftig registriert, sie hatten weniger als 170 Rubel Einkommen pro Person." (Neuss-Grevenbroicher Zeitung, 7.1.00)

Russische Perspektiven

Auch der hartnäckigste Kommunistenhasser muss zugeben, dass derartige Verhältnisse in der Sowjetunion wohl kaum anzutreffen waren.

Der Niedergang der sowjetisch-russischen Ökonomie begann mit dem Erneuerungsprogramm unter Gorbatschow, der mit der Einführung marktwirtschaftlicher Methoden und Ziele die Wirtschaft auf Vordermann bringen wollte. Es wurde der "gesunde" Geschäftssinn, aus Geld mehr Geld zu machen, frei gesetzt. Nur hatte die Sache einen Haken: Das vorfindliche Inventar eignete sich nicht zum Geldmachen. Und das lag nicht an der berühmten "Mangelwirtschaft" - schließlich konnte die eine Weltmacht ausrüsten, die dem Vorzeigestaat des Kapitalismus Paroli bieten konnte, und die es sogar schaffte, die gesamte Bevölkerung einigermaßen bescheiden zu versorgen.

Auch Milliardenkredite vom IWF erzielten nicht die gewünschten Resultate, sondern brachten der russischen Staatselite eher den Vorwurf der Veruntreuung der Gelder ein.

Dass die IWF-Kredite nicht der Versorgung der Bevölkerung dienen, liegt auf der Hand. Aber selbst eine Ankurbelung der Wirtschaft durch diese Gelder findet in naher und ferner Zukunft nicht statt.

Der amerikanische Finanzminister Summers, schwer unter Beschuß, dass die ganzen guten US-Kredite doch nur einem Verbrechernest in den Rachen geworfen worden wären, tritt den Beweis an, dass die Kredite sich dennoch sehr wohl gelohnt haben - allerdings gelohnt in einer Form, die mit Geld gar nichts mehr zu tun hat, sondern nur mit politischer und militärischer Macht, die Rußland nicht zuletzt dank der Hilfe dieser Kredite aufgegeben hat:

"Niemand, weder hier in den USA und sicherlich erst recht nicht in Rußland, kann mit der Entwicklung in Rußland in den vergangenen 10 Jahren zufrieden sein. Das Wachstum stagnierte, die Korruption beherrschte alles und eine Marktwirtschaft auf der Basis von Recht und Ordnung wurde nicht geschaffen... Auf der anderen Seite zeigt der Rückblick aber auch, dass Rußland in vielerlei Hinsicht heute ein ganz anderes Land ist als vor einem Jahrzehnt ...

Mehr als 70% des Ertrags der russischen Ökonomie erwirtschaftet das Privateigentum. Damit ist das kommunistische System im wesentlichen aufgelöst und die staatlichen Hebel zur zentralistischen Bevormundung sind weitgehend außer Kraft gesetzt worden." (zitiert nach "Gegenstandpunkt" in Lora München vom 4.10.99)

Dumm gelaufen, liebe Pskower, ihr seid halt die Opfer des Sieges des Kapitalismus über den Kommunismus.