TERZ 02.01 – RECHTER RAND
Tatort München, 13.1., 1.10 Uhr: Vor der als Neonazitreffpunkt bekannten Münchener Gaststätte "Burg Trausitz" wird ein 31jähriger Grieche von der 17jährigen Arnsbergerin Maria Anna von Papen rassistisch angepöbelt und angegriffen. Als er sich wehrt, stürzen sich fünf neonazistische Skinheads auf ihn, schlagen ihn zu Boden und treten mit schweren Schuhwerk auf ihn ein. Augenzeugen zufolge soll von Papen hierbei "Der Kanacke soll nicht überleben" gebrüllt haben. Es sei gezielt gegen den Kopf des Opfers getreten worden. Zwei zufällig des Weges kommende Türken schreiten ohne zu zögern ein und organisieren anschließend aus einem türkischen Lokal Verstärkung. Gemeinsam gelingt es, trotz der sie angreifenden und währenddessen auf 20 Personen angewachsenen Neonazihorde zu bewirken, daß von Arthemios T. abgelassen und dieser nicht lebensgefährlich verletzt oder gar getötet wird, sondern mit einem Nasenbeinbruch, einer Augenverletzung, schweren Prellungen und einem Schock davon kommt. Die zwischenzeitlich eingetroffene Polizei nimmt vor Ort und im Rahmen einer sich anschließenden Fahndung 18 Neonazis fest. Weiteren Neonazis, die mit insgesamt 60 Personen den Geburtstag des Münchener Neonazikaders Reiner Mehr, Betreiber der Homepage des "Nationalen Widerstands Bayern" und eines weiteren "Kameraden" feierten, gelingt die Flucht durch den Hinterausgang der Gaststätte.
Zwischenzeitlich ist gegen 14 Täter Haftbefehl ergangen; gegen von Papen, ihren geflüchteten Freund Christoph Schulte (19) aus dem sauerländischen Plettenberg und einen 18jährigen aus Bayern wegen versuchten Mordes, gegen die anderen wegen gefährlicher Körperverletzung. Münchens Poli-zei-sprecher Wenger zeigte sich als würdiger Vertreter des "anständigen" Münchens: "Wer mit Stiefeln ins Gesicht tritt, nimmt den Tod in Kauf". Da dieses aus "niederen Beweggründen" geschehen sei, handele es sich um einen versuchten Mord. Das Landeskriminalamt Bayern setzte für Hinweise, die zur Ergreifung von Schulte führen eine Belohnung in Höhe von 5.000 DM aus, die zwischenzeitlich auf 30.000 DM erhöht wurde, um auch Neonazis einen "attraktiven Anreiz" zu geben, Schultes Aufenthaltsort zu verraten. Bis Redaktionsschluß ist es jedoch trotz dieser ungewöhnlich hohen Belohnung, internationalem Haftbefehl und "Aktenzeichen xy"-Fahndung nicht gelungen, Schulte festzunehmen. Laut SZ vom 26.1. hat sich Schulte zwischenzeitlich in Münster rechtlichen Beistand organisiert. Daß er sich in Kürze der Polizei stellen werde, wollte Rechtsanwältin Andrea Hager jedoch "weder bestätigen noch dementieren".
Trotz seines noch jungen Alters gehört Schulte bereits zum erweiterten Kreis der "Führungskameraden" der militant-neonazistischen "Freien Kameradschaften" in NRW. Und auch für die NPD ist er aktiv, was nicht zuletzt durch seine Kommunalwahlkandidatur 1999 im Märkischen Kreis belegt ist. Seit 1997 ist Schulte auf nahezu jeder bundes- und landesweiten neonazistischen Demonstration anzutreffen. Er gehört dem "Nationalen Widerstand Hagen/Lüdenscheid" an, zu deren Kadern u.a. der Hagener Ronald Guziewski und der Lüdenscheider NPD'ler Axel Schoppmann zählen. Sehr enge Kontakte pflegt er zur "Sauerländer Aktionsfront", zur Siegener "Kameradschaft 2/130", zur "Ruhrpottkame-rad-schaft Dortmund/Witten", zur niederländischen "Nederlandse Volks-Unie" (NVU) sowie zur "Kameradschaft Dortmund" und zur Dortmunder "Borussenfront". Der einschlägig vorbestrafte und als brutaler Schläger bekannte Schulte tritt seit dem letzten Jahr als Ordner auf Demonstrationen auf, so zum Beispiel auch am 28.10. in Düsseldorf. Bei den Aufmärschen am 21.10. in Dortmund und 9.12. in Köln gehörte er sogar dem Organisatorenteam um den Demoanmelder Christian Worch aus Hamburg an. Hier agierte es allerdings lediglich als Handlanger, der die Befehle des Hamburger Führers Christian Worch ausführte. Genügend Unterstützung bei der Flucht dürfte Schulte bei derartigen Kontakten sicher sein. Während sich der "Nationale Widerstand Hagen Lüdenscheid" noch damit zufrieden gibt, darüber zu jammern, daß "unser Kamerad Christoph" einer "Hasskampagne" zum Opfer gefallen sei, gehen andere Neonazis bereits in die Offensive: Im Internet wurden bereits Fotos von fünf der Personen veröffentlicht, die Arthemios T. vermutlich das Leben gerettet haben.
Nicht nur die Spuren von Schulte und von Papen, im übrigen die Enkelin von Hitlers Steigbügelhalter und Vizekanzler Franz von Papen, führen nach NRW. Ebenfalls anwesend auf der vom neonazistischen "Freizeitverein Isar 96 e.V." organisierten Münchener Geburtstagsparty waren Aktivisten des bayrischen "Aktionsbüro Nationaler Widerstand Freilassing". "Kameradschaftsführer" dieser Gruppe ist der aus Geldern stammende Norman Bordin, der nach seinem Umzug 1997 nach Velbert das "Nationale Forum Niederberg" (NFN) aufbaute, das eng mit der "Kameradschaft Düsseldorf" zusammenarbeitete und sich dem Spektrum der "Freien Kameradschaften" zurechnete. Im NFN organisierten sich hauptsächlich Neonazis, die bereits seit Jahren aktiv waren, teilweise sogar lokale Funktionen bei der 1995 verbotenen FAP inne hatten, wie z.B. der Velberter Michael Räupke, der gemeinsam mit Bordin das NFN leitete. Angegliedert an das NFN ist der hauptsächlich aus neonazistischen Skinheads bestehende Velberter "Siepensturm", gegen den im letzten Jahr wegen Bildung einer "kriminellen Vereinigung" ermittelt wurde. Aktivisten dieser Gruppe waren an diversen neonazistischen Angriffen und auch an dem Brandanschlag auf ein Flüchtlingswohnheim in der Wuppertaler Kreuzstraße im Sommer letzten Jahres beteiligt. Nach Streitigkeiten um die "Kamerad-schaftsführung" zerfiel das NFN Anfang 1999, Norman Bordin brach seine Zelte ab, zog zurück nach Geldern und anschließend nach Freilassing. Seitdem ist das NFN im Gegensatz zum "Siepensturm" nicht mehr öffentlich in Erscheinung getreten. Die NFN-Aktivisten sind allerdings nach wie vor in der Szene aktiv. Bei einem der langjährigen Aktivisten, Volker Schemaitat aus Velbert, wurde letztes Jahr in seiner Wohnung sogar scharfe Panzerfaustzusatzmunition gefunden, ein Fund, der der Öffentlichkeit bis heute vom zuständigen Polizeilichen Staatsschutz Düsseldorf und von der Velberter Polizei vorenthalten wurde. Der heutige Aufenthaltsort von Schemaitat ist unbekannt.
Nicht lange nach Bordins Umzug nach Freilassing trat das "Aktionsbüro Nationaler Widerstand Freilassing" an die Öffentlichkeit und organisierte sogar für den 5.8.2000 in Freilassing eine Demonstration unter dem Motto "Stoppt die EU-Diktatur - Solidarität mit Österreich!", die allerdings verboten wurde.
Der heute 24jährige Bordin ist seit Anfang der neunziger Jahre in der Neonazi-Szene aktiv. Bereits 1993 wurde er von AntifaschistInnen als 17-jähriger in Dortmund gesichtet, als er an einer verbotenen Gründungsveranstaltung des nordrhein-westfälischen Landesverbands der "Deutschen Nationalisten" (DN) teilnehmen wollte. Seit Jahren arbeitet er eng mit dem Duisburger "Kameradschaftsführer" Michael Thiel zusammen und pflegt zudem gute Kontakte zum Düsseldorfer "Kameradschaftsführer" Sven Skoda. Bordin zählt heute nach Einschätzung des bayrischen Landeskriminalamts zu den "Schwergewichten in der bundesrepublikanischen Neonazi-Szene der militanten freien Kameradschaften." Er ist ebenfalls involviert in die Struktur des "Kampfbund Deutscher Sozialisten" (KDS).
Es verwundert letztendlich also nicht, daß nordrhein-westfälische Neonazis an einer Party in München teilnahmen. Kontakte gibt es reichlich, die nicht zuletzt bei Demonstrationen, wie zuletzt beim NPD-Aufmarsch in München, und bei kulturellen Events aufgefrischt und gefestigt werden. Die guten Kontakte zwischen bayrischen und nordrhein-westfälischen Neonazis stellen für den Chef des bayrischen Verfassungsschutz Gerhard Forster einen Hauptgrund für den "Vorfall" am 13.1. dar. Forster in einem Interview mit der "Welt" zu dem Angriff auf Arthemios T.: "Auffällig ist ..., daß die Gewalt grade dann ausbrach, als in der Gruppe zusätzlich Ortsfremde dabei waren." "Fremde" sind in Bayern eben unbeliebt, in diesem Fall einmal auch Neonazis.
Stand der Informationen: 26.01.2001
Sieben Prozeßtage hatte es bedurft bis zum Urteil im Prozeß vor dem Wuppertaler Landgericht. Angeklagt waren sieben Neonazis, die am 9. Juli letzten Jahres in Wuppertal gemeinsam mit mindestens acht Mittätern bewaffnet eine 15köpfige Kundgebung der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes am Mahnmal der Gedenkstätte des ehemaligen KZ in der Kemna überfallen hatten.
"Im Gegensatz zur Demokratie von Weimar ist die unsrige wehrhaft", plädierte Staatsanwalt Heinrichs und forderte Haftstrafen zwischen 21 Monaten und dreieinhalb Jahren ohne Bewährung. Man habe den "Linksterrorismus" in die Knie gezwungen und werde nun auch "den rechten in den Griff bekommen". Die wegen besonders schweren Landfriedensbruchs, schwerer Körperverletzung und Sprengung einer Veranstaltung Angeklagten wurden am 9.1. letztendlich zu Haftstrafen zwischen acht und 27 Monaten verurteilt. Die zwölf- und achtmonatigen Haftstrafen gegen den Wuppertaler NPD-Ortsverbandsvorsitzenden Maik Hilgert und seinen Beisitzer Andreas Stahlschmidt wurden hierbei vier Jahre zur Bewährung ausgesetzt, da diese nicht aktiv in das Geschehen eingegriffen hätten. Der mehrfach einschlägig vorbestrafte NPD'ler Axel Boris Hausweiler, der sich vor Gericht als Aussteiger präsentiert und seine Mitangeklagten schwer belastet hatte, kam mit einem Jahr ohne Bewährung, aber Aussetzung seines Haftbefehls davon. Der stellvertretende JN-Landesvorsitzende Nico Wedding aus Duisburg sowie die Wuppertaler Ronny Plexnies und Thomas Haarhaus, die Kundgebungsteilnehmer, darunter auch über 80-jährige Zeitzeugen, mit faustgroßen Steinen beworfen und mit Schlagstöcken geschlagen hatten, wurden zu 18-monatigen Haftstrafen verurteilt. Als Initiator und Organisator der Aktion sah das Gericht das 25jährige NPD-Landesvorstandsmitglied Thorsten Crämer an. Dieser wird seiner Partei nun zwei Jahre und drei Monate lang nicht zur Verfügung stehen. Bis zum Schluß hatte Crämers Anwalt, der stellvertretende NPD-Bundesvorsitzende Hans-Günter Eisenecker, versucht, das drohende Urteil und politischen Schaden von der NPD abzuwenden. Gewalt sei für Crämer etwas "völlig Persönlichkeitsfremdes", so Eisenecker. Aufgrund der permanenten Bedrohung seines Mandanten durch "Autonome" habe sein Mandant am 9. Juli weitere Angriffe befürchtet und deshalb die Kundgebung am Mahnmal observieren wollen, um gegebenenfalls Schutzmaßnahmen einleiten zu können. Crämer sei an dem Tag aufgrund der negativen Erlebnisse derartig in seiner "psychischen Konstellation geschwächt" gewesen, daß er gar nicht bemerkt hätte, daß ein Teil der Gruppe offensichtlich Ambitionen hatte, gewalttätig vorzugehen. Die Sache sei ihm "aus dem Ruder gelaufen", da er von einem Teil der Gruppe nicht als Führungsperson anerkannt worden sei. Dieser Darstellung der Ereignisse konnte sich Richter Wilfried Keiluweit nicht anschließen. Es habe im Gegenteil ein "Zusammenwirken von gewaltbereiten Funktionären der NPD und gewalttätigen Skinheads" gegeben, die von Crämer zum Zwecke eines brutalen Angriffs zusammengeführt worden seien. Der Vertreter der Nebenklage, Rechtsanwalt Prietzel-Düwel, zeigte sich mit dem Prozeßverlauf zufrieden. Es sei nicht zuletzt gelungen, öffentlich wahrnehmbar auf lokale neonazistische Netzwerke und auf die von ihnen ausgehende Gefahr hinzuweisen.
Nachdem bereits am 29.11. drei jugendliche und heranwachsende Mittäter zu siebenmonatigen Bewährungsstrafen verurteilt wurden, sind bislang zehn Täter zur Rechenschaft gezogen worden. Das abgetrennte Verfahren gegen den stellvertretenden Wuppertaler NPD-Kreisvorsitzenden Nobert Wölk, der nach Auffassung von Staatsanwaltschaft und Nebenklage gemeinsam mit Crämer den Angriff geleitet hat, beginnt am 7. Februar. Die restlichen vier oder fünf Tatbeteiligten befinden sich aber nach wie vor auf freien Fuß. Zwei tatverdächtige Mitglieder der JN Duisburg, deren JN-Mitgliedsausweise am Tatort in Weddings PKW gefunden wurden, können sich auf Alibis von Duisburger JN-Funktionären stützen.
ROLF KREHLE, WUPPERTAL
(ERSCHIENEN IN DER "JUNGE WELT" VOM 11.1.2001)