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Alternativen in the 21th century: Global Governance & politische Ökologie?

In der Diskussion um angebliche Alternativen zur neoliberalen Globalisierung steht das sog. Global Governance-Konzept allerorten hoch im Kurs. Frei übersetzt kann der Begriff als globale oder internationale Strukturpolitik verstanden werden, bei der auf das Zusammenwirken von Regierungen, internationalen und supranationalen Institutionen sowie Nichtregierungsakteuren auf internationaler, nationaler und lokaler Ebene als gesellschaftlicher Kontrollinstanz zum kapitalorientierten Globalisierungsprozeß gesetzt wird. Global Governance ist -ähnlich dem Begriff der Globalisierung - zu einem weitestgehend unreflektiertem Modewort avanciert, dessen sich neben den diversen NGO´s sowohl rot/grün orientierte Reformstrategen als auch privatkapitalistische "global players" konzeptionell bedienen. Entgegen landläufiger Verkürzungen hat der Begriff an sich nichts mit Kapitalismuskritik oder Systemüberwindung zu tun. Er ist vielmehr ein Sammelbegriff für regulierungspolitische Versuche, den globalisierten Kapitalismus irgendwie einigermaßen demokratisch-reformerisch steuern zu können. Entstanden aus den entwicklungspolitischen Debatten der 80er Jahre hat er sich im Umfeld der Grünen als Begriff für den Versuch der Schaffung einer "solidarischen und ökologischen Weltwirtschaft" durchgesetzt und feiert nun seine Durchsetzung in der ent-wicklungspolitischen Diskussion

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Die Autoren des vorliegenden Bandes unterziehen das (unklare) Konzept der Global Governance einer grundsätzlichen und ausführlichen Kritik. Obwohl sie aus dem Umfeld der Nicht-Regierungs-Organisation Weltwirtschaft, Ökologie & Entwicklung (WEED) kommen, bedeutet dieser Umstand nicht, dass sie sich mit ihrer Analyse im systemkonformen Mainstream entwicklungspolitischer NGO's bewegen. Geschult durch regulationstheoretischen Schulen des französischen Neomarxismus analysieren sie das Konzept der Global Governance als weitgehend systemkonforme Adaption kapitalistischer Realpolitik, die sich gesellschaftlichen und internationalen Macht- und Herrschaftsstrukturen gegenüber als blind erweist. Der linksradikalen LeserInnen-schaft zeigen sie damit zwar nicht den Weg zur revolutionären Umgestaltung der Verhältnisse auf, aber eine fundierte Kritik realpolitischer Politikansätze ist ja auch schon einiges wert in diesen traurigen Zeiten, oder?

Mit einem der "Väter" regulationstheoretischer Erneuerungen marxistischen Denkens verhält es sich ähnlich, denn auch Alain Lipietz - ein linkes Fossil der französischen Grünen - spricht in seinem Essay nicht von revolutionären Utopien, sondern von der Notwendigkeit der Entfaltung einer "politischen Ökologie" im kapitalistischen Hier & Jetzt. Doch Lipietz ist kein "Joschka" auf Intellektuellen-Niveau, sondern begreift sich immer noch als marxistisch: Mit Rekurs auf Althusser und die französische Regulationsschule versucht er durch die Verknüpfung von ökonomischen und ökologischen Anforderungen ein ökologisch-solidarisches Politikmodell zu entwickeln, das sozialökologische Alternativen zu den globalisierten Kapital- und Politikverhältnissen aufweisen kann. In der Tat stellen die als Spätfolgen des "fordistischen Entwicklungsmodells" interpretierten und hergeleiteten globalen Probleme Anforderungen an neue Formen internationalistischer Politik. Denn neben der Renaissance des Nationalismus ist eine "Internationalisierung" der politischen Regulationsverhältnisse im gesamteuropäischen wie auch im weltweiten Kontext zu konstatieren: EU, NATO und WTO sind internationale Gremien kapitalistischer Weltpolitik, die nicht mehr nach rein nationalstaatlichen Mustern funktionieren und neue Formen kapitalistischer Regulierung darstellen.

Beide Neuerscheinungen helfen, hierbei Fakten zu erfassen, Entwicklungen zu verstehen und sich kritisch mit den Grenzen und Möglichkeiten alternativer Interventionen auseinanderzusetzen.

AL C.

Brand/Brunnengräber/ Schrader/Stock/Wahl:
Global Governance.
Alternative zur neoliberalen Globalisierung?
Verlag Westfälisches Dampfboot
2000, 203 S., 29,80 DM

Alain Lipietz:
Die große Transformation des 21. Jahrhunderts.
Ein Entwurf der politischen Ökologie.
Verlag Westfälisches Dampfboot
2000, 192 S., 29,80 DM


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Auschwitz und die Linke

Obwohl der Marxismus die bedeutendste Form emanzipatorischen Denkens in der Moderne darstellt, erwies er sich als unfähig, den Völkermord an den Juden in dessen Bedeutung zu erfassen. Die meisten Theoretiker der Linken sahen im Faschismus lediglich eine extreme Spielart kapitalistischer Herrschaft und vernachlässigten die Bedeutung von Rassismus und Antisemitismus als Relikte der Vergangenheit. Enzo Traverso, marxistischer Politologe und Historiker mit trotzkistischer Prägung ist Professor an der Universität der Picardie in Amiens; der hiesigen Linken dürfte er durch Artikel in der "jungle world" oder durch Aufsätze in Publikationen der berliner "jour fixe initiative". Traverso setzt mit der Neuerscheinung "Nach Auschwitz" an der Fragestellung an, welche Anforderungen der "Zivilisationsbruch Auschwitz" an die Neubestimmung des Marxismus stellt. Auschwitz als Synonym für die nazistische Vernichtungspolitik ist für Traverso Ausdruck des 20. Jahrhunderts als dem Zeitalter der Barbarei. Die berühmte Parole der Revolutionärin Rosa Luxemburg, "Sozialismus oder Barbarei" müsse laut Traverso nach Auschwitz anders gedacht werden, da Auschwitz selbst schon die Barbarei war. In Anlehnung an postmoderne Linke wie Zygmunt Baumann und TotalitarismustheroretikerInnen wie Hannah Arendt interpretiert Traverso daher die Barbarei als immanenten Ausdruck der Moderne. Hier setzt die Kritik von Teilen der sich als antideutsch verstehenden Linken an den Ausführungen Traversos an, die - wie Tjark Kunstreich in der Zeitschrift Konkret (12/2000) - ihm vorwerfen, die Totalitarismustheorie für die Linke hoffähig zu machen. Durch seine vergleichende Heranziehung des stalinistischen Lagersystems sowie Hiroshimas zur Kennzeichnung der epochalen Barbarei geriere Traverso - so der unterschwellige Vorwurf -zu einem Shoah-Relativierer von links. Gefüttert wird dieser Vorwurf durch Traversos Kritik an der monokausalen Analyse Daniel J. Goldhagens, dessen Diskussionsauslösungen Traverso in der Neuerscheinung ein eigenes Kapitel widmet, sowie seinen Hinweisen auf die universelle und damit nicht bloß rein deutsche Wirkungsmächtigkeit des Antisemitismus. Da wird Rechtsabweichung gewittert., die von anderen Protagonisten der einzigen und wahren Lehre begierig und unreflektiert aufgenommen werden. Der "bahamas"-Redakteur Justus Wertmüller beispielsweise ließ es sich nicht nehmen, Kunstreichs Kritik in einem "jungle world"-Beitrag (24.1.01) zusammenhanglos wiederzukäuen und an Traversos Analysen als "seminaristische Bemühungen... im Geist des modischen Antitotalitarismus" zu geißeln. Ärgerlich an solcherlei Formen von "Enttarnungen" ist die Tatsache, dass im innerlinken Ringen um den ersten Platz im Aufarbeiten linker Irrungen der Gegenstand der Kritik manchmal nur Mittel zum Zweck der eigenen Profilierung darstellt. Denn Traverso vollzieht in seiner Neuerscheinung genau das Gegenteil einer Auschwitz-Relativierung oder eines rechtsgewendeten Wie-deraufgusses der Totali-tarismustheorie unter kapitalkompatiblen Vorzeichen: In "Nach Auschwitz" finden wir detaillierte Auseinandersetzungen mit der Blindheit linker Intellektueller gegenüber der Shoah; ein ganzes Kapitel widmet sich dem neuen Antikommunismus a la Nolte Furet und Courtois und eindeutig wird die Singularität des industriell organisierten Völkermordes an den Juden als Ausgangspunkt für die Erneuerung marxistischen Denkens betont. Die Kritik der um den ersten Platz als "härteste Kritiker Deutschlands" Ringenden (so eine Reklame in "Konkret" zu einer Bucherscheinung Elsässers") geht in diesem Fall daher schlicht an ihrem Gegenstand vorbei. Allerdings nimmt Traverso auch positiv Bezug auf antizionistische Linke und widmet sein Werk seinem Lehrer Ernst Mandel, den er als "nicht-jüdischen Juden" kennzeichnet. Scheinbar macht ihn dies sowie seine offenen Benennungen innerjüdischer Auseinandersetzungen und Debatten allerdings schon verdächtig bei bestimmten linken Kritikern. Angesichts der Geschichte der deutschen Linken im Umgang mit Antizionismus und Antisemitismus ist sicherlich radikale Kritik erforderlich. Um eine solche, dringend erforderliche Kritik jedoch nutzbar zu machen für eine Reformulierung eines linken Internationalismus, darf sie nicht stehenbleiben in der Kritik fataler Denkmuster und sich auch keine neuen Denkverbote setzen. Traverso bietet mit seiner Neuerscheinung im ISP-Verlag einen intelligent formulierten Fundus zur Aufarbeitung linker Geschichte im Kontext zur sog. Judenfrage, zur Aufarbeitung von Rassismus und Antisemitismus sowie anregende Gedankenansätze zur Neuformulierung linker Denkansätze unter dem Vorzeichen der Barbarei im 20. Jahrhundert. Seine gut lesbaren sowie interessant pointierten Rückblicke auf die Analysen bedeutender linker Intellektueller geben einen guten Einblick in deren Denken regen an zur Vertiefung und Neubetrachtung - summa summarum ein empfehlenswerter Einstieg in die Debatte "Auschwitz und die Linke"!

AL C.

Enzo Traverso: Nach Auschwitz.
Die Linke und die Aufarbeitung
des NS-Völkermords, Neuer ISP-Verlag 2000, 220 S.,29,80 DM


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MOVIEMIENTOS: EINE GESCHICHTE DES LATEIN-AMERIKANISCHEN FILMS

Manchmal gibt es Bücher über Filme, die nicht nur Inhalte und Intentionen auf erstklassige Weise kompakt und komplex vermitteln können, sondern dazu noch die historischen und politischen Verhältnisse und sozialen Befindlichkeiten eines ganzen Landes. Die Berliner Filmemacherin und Journalistin hat genau so ein Buch geschrieben: mit MOVIEMIENTOS ist ihr das bislang beste, deutschsprachige Kompendium zum lateinamerikanischen Film gelungen. Auf über 300 Seiten im Grossformat findet sich eine durch über 300 Fotos unterstützte fundierte Filmgeschichte des lateinamerikanischen Kontinents, durch die viele dortige gesellschaftliche Bewegungen, Verschiebungen und Frag-mentierungen anhand von Filmgeschichte wie in einem Brennglas einer aufgeklärten Zeitreise überdeutlich werden. Bremme beginnt mit den "rebellischen Anfängen" des neuen lateinamerikanischen Films in den 60ern, als z.B. Filmer wie Fernando Birri, Nelson Pereira, Ruy Guerra oder Glauber Rocha Hoffnungsträger einer kulturpolitische Bewegung dieser Jahre waren. Ethnische, nationale und linke Ikonografien, zeit-gemässe Dokumentarfilmansätze, die Suche nach den politischen Verhältnissen im Privaten sowie die Geschlechterverhältnisse und der weibliche Blick im Kapitel "Die Frau, die keinem gehört" - stets wird das Filmmaterial in den politischen Kontext gestellt, in dem es entstand, wobei die Analyse keineswegs streng am materialistischen Boden bleibt: Grenzüberschreitungen und Transformationen werden ausgiebig beleuchtet und bis in ihre aktuellsten Formen untersucht. Überhaupt besticht das Buch durch seine Aktualität: durch Filme wie Walter Salles Sozialmelodram "Central do Brasil" oder Tomás Gutiérrez Komödie "Fresa y chocolate" ist in letzter Zeit ein breites Publikum "wieder einmal" auf den lateinamerikanischen Film aufmerksam geworden, Wim Wenders "Buena Vista Social Club" ist dann die Spitze einer oft eurozentristisch geprägten "Connaisseur-Sicht", die in Bremmes Buch im Kapitel "Der fremde Blick auf Lateinamerika" ausführlich behandelt wird - Alan Parkers Film mit Evita "Madonna" Peron von 1996 ist ein noch derberes Beispiel dafür. Doch Bremme, eine gut recherchierende Filmkritikerin, belässt es eben nicht bei der Oberfläche: das als vorerst definitives Nachschlagkompendium taugliche Buch mit grossem Register taugt darüber hinaus zur Aufbereitung von Diskursen, die auch auf weitere globale "Diaspora"-Kulturphänomene übertragbar sind. Ein unverzichtbares Standardwerk zur aktuellen Kulturanalyse, dessen kritische und professionell fundierte Schreibweise sowohl begeistert wie auch zur stetigen Reflexion anregt.

MARCUS

Bettina Bremme: MOVIE-mientos Der lateinamerikanische Film:
Streiflichter von unterwegs 318 Seiten, fest gebunden, Grossformat, 316 Fotos im Kunstdruck.
49,80 DM, mit Film- und RegisseurInnenregister, ISBN 3-89657-603-8, Schmetterling Verlag