Altes im neuen Gewand

Sollte nicht einstmals eine Erleichterung der Integration ausländischer Mitbürger erfolgen? Redete nicht unser Ex-Grüner und der heutige SPD-Innenminister Otto Schily von einem "Integrationsangebot" für die hier lebenden und zu einem großen Teil hier geborenen "Ausländer"? Von einer Reform, ja sogar von einer Revolution wurde da geschwafelt. Und was ist das Ergebnis, wenn man mal das "neue" Staatsangehörigkeitsgesetz liest?

Die Verhinderung des Möglichen

Sehen wir uns die Umsetzung der Revolution an. Sofort fällt auf, daß die Einbürgerungsgebühren von 100,- DM auf 500,- DM angehoben wurden (Bundesministerium des Inneren). Nachdem man acht Jahre brav in Deutschland gelebt hat, in die Rentenkasse, Krankenkasse, Arbeitslosenversicherung und andere "soziale" Vereinigungen eingezahlt hat und sich auch weiterhin in einem geregelten Beschäftigungsverhältnis befindet, darf man sich gegen 500,- DM einen deutschen Paß abholen. Nur wie soll man nachweisen, daß der Arbeitsplatz, den man gerade hat, auch noch die nächsten Jahre bestehen bleibt. Falls man nicht gerade beim Staat oder bei der Kirche beschäftigt ist, wird das heutzutage etwas schwierig. Doch das ist noch nicht alles. Man muß nachweisen, daß man die deutsche Sprache beherrscht, indem man eine Prüfung macht, die von jedem Bundesland beliebig ausgerichtet werden kann. Weiterhin muß man sich zur "Freiheitlich demokratischen Grundordnung" bekennen. Was das sein soll, weiß keiner so genau.

Bürokratische und andere Hindernisse auf dem Weg zur Einbürgerung ohne Ende. Nur eins ist wirklich klar, die Dienstleistung am Bürger läßt sich unser Staat teuer bezahlen. Großartige Leistung, Herr Innenminister, besser hätten es die Republikaner auch nicht machen können. Wenn das die reformierte Ansicht des modernen Deutschlands ist, läßt das Böses für die Zukunft erahnen. Ausnahmeregeln über Ausnahmeregeln, die es am Ende jedem erlauben, das Staatsangehörigkeitsrecht je nach Belieben der sich gerade an der Regierung befindlichen politischen Richtung, mal so und mal so auszulegen. Soviel zur Rechtssicherheit.

Sozial-Festung Europa?

Und wie sieht das Resultat der "Revolution" im Alltag aus? Genauere Zahlen über Einbürgerungen in Deutschland zu erhalten ist schwierig. Hat die Bezirksregierung Düsseldorf 1997 6.000 von 16.600 Einbürgerungsanträgen stattgegeben, waren es im ersten Halbjahr 1998 noch 790 von 1.300 Anträgen (Pressemitteilung der Bezirksregierung). Seit dem 01.01.1998 ist nicht mehr ausschließlich die Bezirksregierung für die Einbürgerung zuständig, sondern vor allem die Kommune. Da fragt man sich doch, woher die Kommunen von heute auf morgen das qualifizierte Personal haben, um über die Anträge zu entscheiden und wieviele Anträge bei den Kommunen eingegangen sind. Bei den ständigen Klagen über die Belastungen der Kommunen kann man sich kaum vorstellen, daß die Anträge auf Einbürgerung zügig und im Sinne der Betroffenen erledigt werden.

Schließlich laufen selbst eingebürgerte "Ausländer" Gefahr, wieder die Vereinsmitgliedskarte zu verlieren, wenn sie sich unbotmäßig politisch betätigen.

Bleibt abzuwarten, wie sich die Einbürgerungsverfahren von "zahmen" Ausländern in den nächsten Jahren entwickeln.

Nach dem "StAG" § 36 wird ab dem 01.01.2000 präzise Buch geführt, wer, wann, wo und warum eingebürgert wurde. Diese Erhebungen für die Bundesstatistik ermöglichen auch eine genau Kontrolle unserer Vorzeigedeutschen nicht-"arischer" Abstammung. Erste Jubelmeldungen der Bezirksregierung sprechen von 640 Einbürgerungsanträgen in den ersten zwei Monaten des neuen Jahrtausends, 2,5 mal so viele wie im Vergleichszeitraum des Vorjahres (Pressemitteilung der Bezirksregierung 14.02.2000). Wieviele Anträge endgültig abgelehnt werden, steht noch nicht fest. Immerhin waren es in den vergangenen Jahren 50 bis 70 Prozent der gestellten Anträge.

Diskriminierend ist auch die Kontrolle durch unsere "Sozial"-Gesetzgebung. Aus der Verwaltungsvorschrift: "Der Bezug von Hilfe zum Lebensunterhalt (Sozialhilfe) oder Arbeitslosenhilfe bzw. der entsprechende Anspruch schließt die Einbürgerung aus." Na endlich mal eine verständliche Verordnung ohne Wenn und Aber. Es geht weiter: "Dieses gilt auch, wenn der Einbürgerungsbewerber den Umstand, der ihn zur Inanspruchnahme dieser Leistung berechtigt, nicht zu vertreten hat." Anders ausgedrückt: Acht Jahre lang arbeiten und die Klappe halten, wenn man "Deutscher" werden möchte. Und dann hat man noch nicht einmal eine Garantie, daß man auch wirklich aufgenommen wird. Stehen doch noch die Prüfungen zur Deutschtauglichkeit bevor.

Irrfahrten eines neuen Exodus?

Und was geschieht mit denjenigen, die untauglich für unser neoliberales Wirtschaftssystem sind? Mit all jenen, die nicht in unser weltoffenes, tolerantes und modernes Deutschland passen? Mit denen unser Sozialstaat nicht fertig wird, wo unsere Leistungsgesellschaft in puncto Mitmenschlichkeit versagt? An denen unser Staat nichts verdienen kann? Neuen Plänen der sozialdemokratischen Regierung zufolge werden unter Umständen noch massivere Methoden bei der Rückführung von unliebsamen Ausländern in Erwägung gezogen (Der Spiegel 4/2000). Das weckt Erinnerungen an eine andere Epoche, in der die Regierungspartei ebenfalls das Wort "sozial" im Namen führte. Erinnerung an Menschen, die zunächst durch dieses Regime als unerwünscht betrachtet und dann zur Auswanderung genötigt wurden. Heute benutzt man Flugzeuge, damals waren es Dampfer. Menschen auf Schiffen, die schon damals von toleranten, weltoffenen demokratischen Staaten zu hören bekamen: "Es tut uns leid, doch hier können sie nicht an Land gehen. Das Boot ist voll."

Wem jetzt noch zum Feiern zumute ist, kann dieses zusammen mit anderen Volksgenossen machen. Also dann, auf das neue Deutschland: Helau!

Zum Punkt Reform und Revolution durch das neue Staatsangehörigkeitsgesetz bleibt anzumerken, daß auch noch im neuen Staatsangehörigkeitsgesetz von "Reichsdienst", "Reichskanzler" oder "Reichskasse" in einem kaum verständlichen Bürokraten- und Rechtsverdreher-Deutsch geredet wird. Kann es da sein, daß die Regierung vielleicht mal wieder etwas nicht mitbekommen hat? (Staatsangehörigkeitsgesetz StAG § 13, § 15 und § 25) In den Geschichtsbüchern kann man nachlesen, daß sich die Sache mit dem Deutschen Reich 1945 - hoffentlich für immer - erledigt hat. Bleibt abzuwarten, ob ein solch peinlicher Mangel an historischem Wissen bei der nächsten Bildungsreform auch für Politiker beseitigt wird. Praktisch dürfte es schwierig werden, dem "Reichskanzler" als letzter Entscheidungsinstanz einen Einbürgerungsantrag vorzulegen! Oder hat da unser SPD-Bundeskanzler ganz neue Ambitionen entwickelt?
PS: Um Stellungnahmen des Reichskanzlers und Informationen der Reichsbehörden hat sich der Autor vergeblich bemüht. Sollte jemand die Adressen dieser Regierungsstellen herausfinden, wäre es hilfreich, sie an uns weiterzuleiten - schon aus purem Interesse an immer "neuen" Regierungseinrichtungen.