Kabale im Schauspielhaus

In der Rheinischen Post wurde im Februar mit der Forderung Joachim Erwins, man solle doch bitte mehr Klassiker auf die Bühne bringen und die dann auch mit zeitgenössischen Kostümen klassisch inszenieren, eine Debatte eröffnet, bei der das Düsseldorfer Schauspielhaus im Kreuzfeuer der Kritik stand.

Danach forderte die RP ihre LeserInnen auf, Stellung zu beziehen, was diese zum Anlaß nahmen, mal ordentlich ihren Frust gegen modernes Theater und provokante Inszenierungen herauszulassen.

Die durchschnittlich 60jährigen LeserInnen gaben dem OB Recht und wetterten gegen "Fäkaliensprache" auf der Bühne, beklagten die Tatsache, daß "Nackte die Szene bevölkern", daß "hervorragende Regisseure in Düsseldorf nichts gelten: Fall Gründ-gens" und forderten, "rigoros alle Zuschüsse (zu) streichen, dann muß man sich dort besinnen und die Stücke so spielen wie sie waren". (RP vom 4. 2. 2000)

Wie das Schauspielhaus zu dieser deutlichen Kritik steht, erklärt Frank Raddatz, Dramaturg und Autor des Stücks über Gustav Gründ-gens, "Alles Theater", der Terz in einem Interview.

TERZ Was sagen Sie zu der Debatte, die von Joachim Erwin begonnen und dann von Lesern und und Schreibern in der Rheinischen Post weitergeführt wurde, und in der beklagt wird, daß im Düsseldorfer Schauspielhaus zu wenig Klassiker aufgeführt werden - und wenn, diese dann zu modern inszeniert werden?
Raddatz Das ist eine sehr merkwürdige Debatte, denn hier im Schauspielhaus werden ja viele Klassiker gezeigt, von daher kann man sich über die Unkenntnis der Sachlage nur verwundert die Augen reiben.

TERZ Wie erklären Sie sich dann die Kritik?
Raddatz Diese Debatte hat vor zehn, fünfzehn Jahren begonnen, und ich glaube, daß die Leute danach einfach nicht mehr ins Theater gegangen sind. Von daher bezieht sich diese Kritik gar nicht auf das aktuelle Programm des Schauspielhauses, denn wir haben ja mit Maria Stuart, Effi Briest oder dem Menschenfeind- um nur einige zu nennen - - äußerst beliebte Klassiker im Programm.

TERZ Glauben Sie, daß auch Joachim Erwin das Schauspielhaus kritisiert, ohne wirklich oft in Ihrem Theater gewesen zu sein, also ohne eine wirkliche Beurteilungsgrundlage zu haben?
Raddatz Das ist ja das Fatale an dieser Kampagne. Denn wie gesagt geht seine Kritik, Klassiker wiedererkennen zu wollen, an der Realität vorbei, denn unsere Klassiker laufen sehr gut.

TERZ Wie kommt Erwin dann zu solchen Aussagen?
Raddatz Ich denke, daß er sich nach der Wahl erst einmal profilieren will. Mit solchen populistischen Thesen kommt man eben schnell in die Medien und findet Gehör bei solchen Leuten, die sich in den achtziger Jahren von modernen Theaterformen abgewandt haben.

TERZ Sollte sich das Theater einer solchen Kritik von außen beugen?
Raddatz Beugen sollte es sich nicht, aber es sollte sich ihr stellen. Interessant ist dabei, daß so eine Diskussion öffentlich geführt wird, auch wenn sie an der Realität vorbei geht, denn so wird dem Theater ein großer Stellenwert beigemessen. Es wird so wieder zu dem Ort, an dem öffentliche Debatten geführt werden, was ja eigentlich einmal seine Funktion war.

TERZ Ist das Düsseldorfer Publikum mit seinem Ruf nach Altbewährtem spießiger, oder sind einfach nur die falschen Leute zu Wort gekommen?
Raddatz Die moderneren Stücke, die ein jüngeres Publikum anziehen, wie zum Beispiel die Tap Dogs, sind bisher siebzig oder achtzig mal gespielt worden und immer ausverkauft gewesen, was ja nur bedeuten kann, daß sich diese Leute an der Debatte gar nicht beteiligt haben. Stücke wie die Salome werden von den Kritikern geliebt, sprechen aber nicht so viele Zuschauer an.

TERZ Trotzdem gehen Leute zwischen 20 und 30 eher weniger ins Theater. Was macht das Schauspielhaus, um dem entgegenzusteuern?
Raddatz Wir versuchen, mit dem Theatersalon junge Leute in die Theaterszene zu integrieren. Da wird an der Uni Theater gemacht und hier im Schauspielhaus aufgeführt. Leider muß man sagen, daß die Uni in Düsseldorf selbst wenig integriert ist. Es gibt wenig Studentencafés, man bemerkt die Universität im öffentlichen Leben wenig. Da besteht überhaupt das Problem: Wie kann man diese riesige Studierendenschaft in das innerstädtische Leben integrieren? Für diejenigen, die eine neue Konzeption von Theater erwarten, ist wahrscheinlich auch das neue Forum Freies Theater der Ort.

TERZ Wieviel Freiheit sollte sich ein Regisseur bei der Inszenierung eines Klassikers nehmen: Sollte er nah an der Vorlage bleiben oder freier arbeiten?
Raddatz Hier muß man aufpassen, daß eine Inszenierung, die nah am Text bleibt, keine Bebilderung von Reclam-Heften wird, wie es oft, wenn es nicht gefällt, im Publikum heißt.

TERZ An welchen Texten arbeiten Sie lieber, an klassischen oder modernen?
Raddatz Man kann das nicht so klar trennen. In der Kunst gibt es keine Zeit, also kann man nicht sagen, daß klassische Stücke besser sind als moderne. Die klassischen Texte zeichnen sich ja dadurch aus, daß sie heute noch genauso lebendig sind wie zu der Zeit, als sie geschrieben wurden und daß sie auf die gegenwärtigen Verhältnisse bezogen werden können. Die modernen Autoren sind auch ohne die Klassiker gar nicht denkbar. Was wäre zum Beispiel Heiner Müller ohne Shakespeare?

TERZ Ein anderes Thema: Sie haben anläßlich des Gründgens-Geburtstags in dem Stück "Alles Theater" kritisch das Leben des Theatermannes beleuchtet. Inwiefern sehen Sie, daß Gründgens zu seinem Geburtstag rehabilitiert wird, daß die Stadt ihn jetzt zu seinem Geburtstag aufs Podest hebt und seine Mitläufervergangenheit im 3. Reich verschweigt?
Raddatz Das finde ich ´ne sehr gute Frage. Denn genau das ist ja der Fall. Hiesige Pressereaktionen auf mein Stück gingen in diese Richtung. Da war dann von Schlammschlacht gegen Gründgens die Rede. Hier geht es um eine kritische Auseinandersetzung mit einem der umstrittensten Theatermenschen des 20. Jahrhunderts, der mit dem Teufel an einem Tisch gesessen hat. Man kann Gründgens gar nicht gerecht werden, wenn man das ausblendet.

TERZ Herr Raddatz, vielen Dank für das Gespräch.