Klassiker für alle, die sie verstehen können!

Eine Erwiderung auf den Artikel anläßlich des 100. Geburtstages Gustav Gründgens´ in der letzten Terz und einen Hinweis an Herrn Erwin: Klassiker, die als solche zu erkennen sind, können auch unbequem sein!

Soviel vorweg: Nicht erst seit Klaus Manns mutigem und leider bis 1980 verbotenem Werk Mephisto ist bekannt, daß Gustaf Gründgens ein Mitläufer der Nationalsozialisten war, der sich dadurch an ihren Verbrechen mitschuldig gemacht hat.

Die Stimmen, die der jetzigen Intendanz des Düsseldorfer Schauspielhauses einen Gustav Gründgens vorhalten (RP vom 4.2.), beweisen, daß hier leider immer noch Aufklärungsbedarf besteht.

In dem Terz-Artikel vom Februar klingt an, daß die von den Nazis vereinnahmten Klassiker Goethe und Schiller durch ihre Texte einen Mißbrauch nahegelegt und somit den Terror des Dritten Reichs anderthalb Jahrhunderte vorher vorbereitet haben.

Zur Verteidigung der Dichter und Denker sei gesagt: Das ist angesichts der revolutionären Energie und dem humanistischen Engagement dieser beiden Autoren ein unsäglicher Vorwurf und abgesehen davon auch reichlich konstruiert. Wer so etwas glaubt, fällt im 21. Jahrhundert auf faschistische Propaganda von damals herein und weist heutigen Rechten wieder Identifikationsfiguren zu, die nicht auf sie passen.

Und das ist einfach eine ungerechte Diffamierung, denn Friedrich Schiller hat in vielen seiner Dramen gegen Unterdrückung, Ausbeutung und Erpressung des Volkes von seiten der Machthaber protestiert. In "Kabale und Liebe" ergreift er Partei für Luise Miller - gegen die Herrschenden. "Gehen Sie Europens Königen voran. Geben Sie Gedankenfreiheit!" Läßt er im Don Carlos den Marquis Prosa zu Philipp II von Spanien sagen. Wilhelm Tell schließlich ist ein Revolutionsstück aus dem Spätwerk, in dem der Schweizer Bogenschütze heldenhaft und an Robin Hood erinnernd für die Freiheit kämpft.

Goethe mag als Weimarer Geheimrat ein eher konservativer Mensch gewesen sein, als Stürmer und Dränger legt er seinem Revolutionär Götz von Berlichingen den bekannten Fäkaliensprachenspruch in den Mund und läßt ihn damit gegen die Obrigkeit anschimpfen.

In Karol Zelents Artikel (s. Terz 2/00) wird auch besonders das deutsche Theater als Ort feierlicher Stimmung angegriffen, wohingegen in London oder Paris Kultur eher eine Selbstverständlichkeit sei. So wahr es ist, daß die Deutschen sich nicht als die, sondern als eine Kulturnation begreifen sollten (denkt das etwa noch jemand?!), so wahr ist es auch, daß in anderen europäischen Städten der Kunst ebenso mit schönen Bauten Beifall gezollt wird, daß das Produkt Theater ebenso gefeiert wird wie hier.

Dabei mögen die Bayreuther Festspiele eine Ausnahme bilden, die mit ihrer Wagner-Erbfolge vielleicht auch den Antisemitismus Richard Wagners von Festspiel zu Festspiel weitertragen, die Nibelungen sind jedenfalls erst seit ihm in Verruf geraten.

JULIA GALINKE