Staatliche Kriminalisierung! Linke Ohnmacht?

Die bundesdeutsche "Staatssicherheit" hat Grund zur Freude. Mittels Kronzeugen soll nun auf breiter Ebene mit der radikalen Linken aufgeräumt werden: Über die sog. "RZ-Prozesse" wird einerseits eine staatliche Kriminalisierung antirassistischen Engagements betrieben und anderseits der Versuch zur endgültigen Auslöschung jeglicher militanten Widerstandsversuche gestartet. Die staatliche Repressions- und Verhaftungswelle scheint seit ihrem Beginn Ende letzten Jahres grenzenlos zu sein: Nicht nur in der BRD, sondern auch in Frankreich bis rüber über den großen Teich werden Leute verhaftet, denen eine frühere Mitwirkung bei den inzwischen nicht mehr existenten "Revolutionären Zellen" (RZ) zur Last gelegt wird. Pikanter Auslöser für diese ausufernde Kriminalisierungswelle ist das staatliche Druckmittel der Kronzeugenregelung, das - trotz seiner Abschaffung Anfang dieses Jahres - in dem sog. "RZ-Verfahren" nach dem Willen der Bundesanwaltschaft (BAW) noch Anwendung finden soll. Durch dubiose und staatlich erpresste Anschuldigungen geraten hiermit Menschen in das Fadenkreuz der Repressionsmaschinerie, die politisch in wichtigen linken Zusammenhängen aktiv und damit den Ermittlungsbehörden wohl ein besonderer Dorn im Auge sind. Der in Düsseldorf inhaftierte Harald G. beispielsweise war Mitbegründer der "Forschungsstelle Flucht und Migration" (FFM) und initiierte mit anderen die Dokumentationsstelle "Menschenrechtsverletzungen an der Grenze". Axel H., ein weiteres Opfer der Kriminalisierungswelle, gehört dem Initiativkreis "Gegen den Schlußstrich" an, der sich gegen staatliche Unschuldserklärungen im Kontext nationalsozialistischer Verbrechen wendet. Beide versuchen mit ihren Aktivitäten linkes Engagement gegen staatlichen Rassismus in eine breitere Öffentlichkeit zu transportieren. Schon anhand früherer RZ-Ermittlungsverfahren ist erkennbar, daß es den bundesdeutschen Staatssicherheitsorganen nicht bloß um die Inhaftierung von RZ-Militanten, sondern zugleich um die Kriminalisierung eines linken Engagements im Bereich von sog. "anschlagsrelevanten Themen" geht. Besonders ersichtlich war dies 1987 im Prozess gegen die linke Journalistin Ingrid Strobl und andere: Im Kontext jener Verfahren wurde das Engagement gegen Gen- und Bevölkerungspolitik sowie gegen die staatliche Flüchtlingspolitik prozessual mit der Zuschreibung "anschlagsrelevant" zu kriminalisieren versucht. Dasselbe ist in den aktuellen Verfahren deutlich erkennbar. Doch während diese Kriminalisierungsversuche von linkem Engagement damals noch breiten Widerstand mit Demonstrationen von über 10.000 TeilnehmerInnen, zahlreiche Veranstaltungen, Solidarisierungen in der liberalen Öffentlichkeit und kritische Pressekommentare hervorriefen, steht die arg geschrumpfte Linke heute mit ihrer Solidaritätsarbeit weitestgehend isoliert da. Repression gegen linke AktivistInnen, Sondergerichtsbarkeit über Konzeugenregelung und §129a sowie Kriminalisierung antirassistischen Engagements scheinen für eine heutige "liberale Öffentlichkeit" kein Thema mehr zu sein. Dies hat viele politische Gründe, von denen der allgemeine Rechtsruck und die politische Korrum-piertheit der Grünen und ihrer Zirkel sicherlich nur besonders widerliche sind. Ein bloßes Klagen darüber hilft allerdings weder der geschrumpften Linken, noch den von staatlicher Repression aktuell Betroffenen.

Linke Lebensluegen

Innerhalb der Solidaritätsarbeit sind unterschiedliche Ansätze zu erkennen. Ein Ansatz besteht in dem Versuch einer Anknüpfung an ein breiteres UnterstützerInnenspektrum durch die Betonung des antirassistischen Engagements eines Teils der Verhafteten mit Bezug auf die Arbeit des FFM. Allerdings wird dabei eine Auseinandersetzung zu der Politik der RZ weitestgehend ausgeklammert - wohl aus der nicht unberechtigten Befürchtung heraus, daß engagierte Kirchenkreise, liberale Prominente oder andere liberal orientierte Strömungen von einer solchen Auseinandersetzung abgeschreckt werden könnten. Allerdings droht ein solches Herangehen spätestens dann zu scheitern, wenn im Kontext des Prozesses das Thema "RZ" in den Mittelpunkt der Auseinandersetzungen rückt. Zudem ist festzuhalten, daß die RZ schließlich seit Mitte der achtziger Jahre das Thema "Rassismus" in den Mittelpunkt ihrer Analysen und militanten Interventionen gestellt haben. Dem überwiegenden Rest der Linken politisch weit voraus, analysierten die RZ-Militanten schon früh den staatlichen Rassismus als entscheidenden Kanalisierungspunkt gesellschaftlicher Konflikte und stellten die Flüchtlingspolitik in den Kontext einer rassistischen Formierung des neuen europäischen Machtblocks. Militante RZ-Interventionen gegen das Ausländerzentralregister, gegen Ausländerämter, gegen die BGS-Abschiebepraxis, gegen Asylrichter oder gegen Firmen, die an der Deportierung von Flüchtlingen profitieren, gaben in vielerlei Hinsicht Orientierungspunkte für eine linke antirassistische Praxis, die erst nach den Pogromen gegen Flüchtlinge in den Neunzigern an Bedeutung gewann. Die Frage nach illegalen Wider-stands-formen in der antirassistischen Arbeit wird seitdem - wenn auch in geringem Ausmaß - über die radikale Linke hinaus diskutiert und auch praktisch beantwortet. Gerade in kirchlichen Kreisen kam es im Kontext der "kein Mensch ist illegal"-Kampagne wiederkehrend zu bewußten Gesetzesüberschreitungen in Form von Aufnahme und Versteckung von Menschen, die von Abschiebung bedroht waren. Selbst über die Linke hinaus wird also die Frage nach bewußter Gesetzesbrechung im Kontext antirassistischen Engagements erörtert.

Andererseits ist in Teilen der radikalen Linken eine trotzige Form des Festhaltens am Mythos RZ erkennbar. Ein Bild, das von einer bitteren Realität schon länger überholt wurde. "Jedes Herz ist eine Revolutionäre Zelle" titelte beispielsweise das linksradikale Berliner Szeneblatt "interim" eine Ausgabe, in der positiver Bezug auf die RZ und ihre Strukturen genommen wird. In derartigen Solida-ri-täts-bekundungen geht weitestgehend unter, daß die RZ ihre Aktivitäten laut eigener Stellungnahmen spätestens seit Mitte der Neunziger eingestellt haben - und zwar nicht in erster Linie aufgrund von staatlicher Repression, sondern aufgrund von internen Zerwürfnissen und der Einschätzung, daß ihre Konzeptionen gescheitert seien. In Teilen der radikalen Linken scheint hingegen noch eine aus den achtziger Jahren herübergerettete, unkritische und mythologisierende RZ-Verherrlichung vorhanden zu sein, die eine kritische Selbstreflektion der Militanten scheinbar ignoriert hat. Wohl auch deshalb wird sich dort im Hinblick auf die Kronzeugen mit Emphase auf eine "Verräter"-Diskussion gestürzt, ohne eine kritische Reflektion über die eigene Politik in den Vordergrund zu stellen. Losgelöst von der Frage, ob nun heute noch militante Interventionen nach RZ-Konzeption für eine Linke hilfreich wären oder nicht, drängen die unterschiedlich zu wertende Praxis der RZ sowie ihre eigenen kontroversen Statements eine kritische Aufarbeitung der Geschichte der bewaffneten Gruppen der radikalen Linken geradezu auf - eine Aufarbeitung, die nun wohl mittels der Prozesse staatlicherseits mit dem Ziel einer vollständigen Diskreditierung des militanten Widerstandes in der BRD betrieben werden wird.

Die Kronzeugen in den anstehenden Verfahren dienen nämlich nicht nur einer ausufernden Repression, sondern zugleich einem denunziatorischen Bohren in den bisher noch "dunklen Flecken" der RZ-Geschichte, welche tragischerweise von den Militanten selbst bisher noch nicht ausführlich genug erhellt wurden. Diese "dunklen Flecken" beziehen sich in besonderem Maße auf die Frage der Verflechtung der RZ mit der sog. "Carlos-Gruppe" und in diesem Kontext auf den Mord an dem RZ-Militanten Gerd Albatus. Diese "dunklen Flecken" werden wohl gegen Ende diesen Jahres prozessual noch einmal aufgerollt werden. Politisch betrachtet wird damit noch einmal ein "Linien-Konflikt" innerhalb der RZ aufgerollt, der schon seit Ende der 70er Jahre zur Herausbildung von unterschiedlichen politischen Flügeln und schließlich Spaltungen innerhalb der RZ geführt hatte.

Mit "Focus" gegen "Focus-Theorie"?

Das rechte Schmierblatt "Focus" berichtete, daß Ende diesen Jahres dem inhaftierten "Carlos"-Weggefährten Johannes Weinrich wegen Mitwirkung am Mord an jenem Gerd Albatus der Prozess gemacht werden soll. Als Kronzeugin soll dabei Weinrichs ehemalige Weggefährtin Magdalena Kopp gegen ihn aussagen. Kopp war wie Weinrich und Albatus Mitglied der sog. "Carlos-Gruppe" und wurde über das sog. "Aussteiger-Programm" des Verfassungsschutzes zur Kronzeugin. Hieß es in dem RZ-Papier "Gerd Albatus ist tot" von 1991 noch undurchsichtig, daß der RZ-Militante von "einer Gruppierung, die sich dem palästinensischen Widerstand zurechnet", umgebracht worden sei, so scheint mittlerweile nicht mehr abwegig zu sein, daß es sich dabei wirklich um eben jene "Carlos-Gruppe" handelt. Jener als "Top-Terrorist Carlos" gesuchte und 1995 festgenommene Ramirez Illich Sanchez entfaltete Anfang der 70er über Weinrich organisatorische Bezüge zur RZ. Diese "Carlos"-Truppe, die sich den Namen "Gruppe Internationale Revolutionäre" gab, entstand aus der palästinensischen Splittergruppe "PFLP-special operation" und war verantwortlich für zahlreiche terroristische Anschläge und Morde. Mit Bezug auf die sog. "Focus-Theorie", durch bewaffnete Aktionen "Brandherde" für eine internationale Revolution zu legen, entfaltete sich diese Truppe zum terroristischen Handlanger für diverse arabische und östliche Geheimdienste. Die undifferenzierte Brutalität der Aktionen sowie der internationalistisch verklärte Antizionismus und dessen antisemitische Ausformungen waren es wohl, die spätestens nach der Entebbe-Flugzeugentführung (s. näher: TERZ 2/2000) zu einer Loslösung weiter RZ-Teile von dieser Gruppe und ihrer politischen Stoßrichtung geführt haben. In besagtem "Albatus-Papier" ist dieser fatale, politisch verklärte "Antizionismus" einer grundsätzlichen Selbstkritik unterzogen worden. Die späten RZ-Aktionen wie z.B. der Anschlag auf die an der NS-"Arisierung" profitierende Tengelmann/Kaiser-Kette, die einen Supermarkt vor den Toren des KZ Ravensbrück errichten wollte, zeigt auch die praktischen Formen dieser grundsätzlichen Loslösung von antizionistischen bis antisemitischen Anwandlungen. Allerdings ist der Mord an jenem Gerd Albatus ein überaus tragischer Ausdruck dafür, daß diese Loslösung nicht eindeutig genug vollzogen wurde. In einem RZ-Antwortschreiben auf das "Albatus-Papier" sind zudem noch 1992 dieselben fatalen Hasstiraden gegen das "Existenzrecht Israels" zu finden. Die fehlende Eindeutigkeit politischer Trennung wird nun wahrscheinlich besonders im anstehenden Weinrich-Prozess genutzt werden für den massenmedial begleiteten staatlichen Versuch einer vollständigen Diskreditierung der RZ als Teil von stumpfem Terror mit Fememord und antisemitischen Auswüchsen.

Solidaritaet & Positionierung

Besonders viele jüngere Leute verstehen gar nicht mehr die Diskussionen um den Linienstreit innerhalb der RZ. Der verklärte "Antizionismus" der früheren bewaffneten Gruppen spielt glücklichererweise in den antifaschistischen und antirassistischen Strömungen der 90er keine Rolle mehr. Mit dem vorläufigen Ende der bewaffneten Gruppen erscheint eine heutige Diskussion über solche politischen Irrwege in der heutigen linken Szene eher als eine Form von reiner Geschichtsaufarbeitung. Die aktuelle linke Solidaritätsbewegung kann sich jedoch nicht um eine solche kritische Aufarbeitung herumdrücken. Aufarbeitung bedeutet hierbei, sich von linken Irrwegen zu verabschieden sowie Fehler und katastrophale Auswüchse in der RZ-Geschichte offen zu benennen. Dies beinhaltet ausführliche Auseinandersetzungen mit antizionistisch verquasten Hasstiraden gegen den israelischen Staat, mit den unreflektierten Formen der Palästina-Solidarität und mit begangenen Terror-Praktiken der früheren bewaffneten Gruppen ohne sozialrevolutionären oder emanzipativen Gehalt. Erst dann kann eindeutig und ohne faden Beigeschmack Solidarität vertreten werden.