Das "bessere" Deutschland?

Presseerklärung der Arbeitsstelle Neonazismus / Forschungsschwerpunkt Rechtsextremismus und Neonazismus der Fachhochschule Düsseldorf zu den Reaktionen auf den Anschlag am 27. Juli 2000 in Düsseldorf

Überraschend zeigen sich Vertreter aller Parteien besorgt: Sie warnen vor dem "Rechtsextremismus". Dagegen sind die vielen Überfälle der letzten Jahre gegen Menschen, die "anders" aussehen oder leben, bisher von politischer Seite kaum registriet worden.

Als Ignaz Bubis noch kurz vor seinem Tod vor Antisemitismus und wachsender Fremdenfeindlichkeit warnte und deshalb nicht in Deutschland beerdigt werden wollte, stieß er auf Unverständnis.

Was hat sich geändert? Inzwischen wird befürchtet, dass die deutsche Wirtschaft Schaden nimmt, der "Standort Deutschland" im "global business" ist gefährdet.

Fremdenfeindlichkeit in Deutsch-land, - dies erinnert an den Nationalsozialismus. Solche Rückschau aber wird in Deutschland nur geduldet, wenn sie zeitgleich einen Schlußstrich vollzieht: Die Vergangenheit war schrecklich, wir aber haben damit nichts zu schaffen.

Die vielfältigen "Schlußstriche" nach 1945 können hier nicht aufgezählt werden. Sie reichen aktuell von einer "Entschädigung" für die überlebenden Zwangsarbeiter mit nicht einmal 10% der Summe, die eine unabhängige Forscherkommission nur für den ausstehenden Lohn errechnet hat, bis zur weiterhin legalen Sperrung von Akten aus der NS-Zeit, wenn sich daraus finanzielle Ansprüche ergeben könnten.

Mit Geld ist eben nicht zu spaßen. Bevor die Geschäfte gestört werden, muß jetzt gehandelt werden. Denn die Neonazis agieren so undifferenziert, dass sie zwischen einem indonesischen Computerspezialisten und einen indonesischen Asylarbeiter nicht zu unterscheiden wissen. Wenn ein Obdachloser in Ahlbeck/Usedom von Rechten zu Tode gequält wird, so ist dies kaum eine Meldung wert, wenn dagegen ausländische Wissenschaftler aus Angst vor fremdenfeindlichen Übergriffen in Frankfurt/Oder nicht mehr arbeiten wollen, dann berichten die Medien.

Hier sehen die Politiker nun den Aufklärungsbedarf. Präzise soll, so die Forderung, nach den Kriterien ökonomischer Notwendigkeit zwischen den Menschen unterschieden werden, die erwünscht sind und dem "Rest", der abgeschoben wird.

Aussonderung wird zur Bedingung des ökonomischen Erfolgs. Straßen werden gesäubert von Men-schen, deren Anblick nicht verkaufsfördernd sein soll, Sozialhilfeempfänger werden zunehmend kontrolliert, und vor allem wird verlangt, Lebensläufe nach den Profitkriterien der Unternehmen zu gestalten.

Gegen diese Unsicherheit hilft scheinbar die Identifikation mit einem fiktiven, größeren Ganzen, mit einer Vergangenheit, in der die Einzelnen, wenn sie sich opferten, auch wenn sie den Massenmord praktizierten, als Helden galten. In Deutschland ist dies der Nationalsozialismus. Das Volkskollektiv funktionierte bis zum letzten Kriegstag. Die "Aufarbeitung" wurde von den "Siegermächten" verlangt, bis zur Gegenwart orientieren sich Politik und Wirtschaft in der weiteren Bewältigung am Ausland. Die Deutschen haben aus sich heraus diese Vergangenheit verdrängt. Bis heute "weiß niemand etwas davon", dass größte Teile der Bevölkerung sich am Eigentum der zur Ermordung Freigegebenen bereichert haben --vom Kaufhauskonzern bis zum Sack Zwiebeln. Die Furcht vor dieser Erinnerung richtet sich gegen die Opfer und ihre Erben, - das Potential eines neuen Antisemitismus.

Deshalb kann das "Volkskollektiv" erneut zum Mythos all derer werden, die sich vor der Ökonomisierung des Alltags fürchten, gerade dann, wenn sie überaus leistungsbereit sind. Ein solcher Mythos muß sich nicht gleich mit Hakenkreuzen schmücken. Er tritt in politischen Verkleidungen auf: "Solidargemeinschaft", "Standort Deutschland" oder "Friedensordnung", und er muß an den "Zivilisationsgrenzen" nach Innen und Außen verteidigt werden.

Gegen ihre Furcht suchen die Menschen sich gerade die "Schuldigen", die auch von der Politik ausgesondert werden: Alle, von denen sie auch nur annehmen, dass sie den Zwängen, die sie sich selber antun, nicht ebenso folgen. Eine solche Vergesellschaftung der Furcht ist politisch aber nicht mehr zu kontrollieren: deshalb das neue Unbehagen. Als Gegenmittel werden genau die Mechanismen empfohlen, die wiederum die Leistungskontrolle verstärken: Verschärfung der Gesetze, allgegenwärtige Video- und Datenüberwachung, Intensivierung pädagogischer Maßnahmen in Jugendhilfe und Schule.

Doch hiermit ist eine liberale Gesellschaft nicht zu erreichen. Statt dessen wird der Teufelskreis zwischen Furcht und Identifikation gegen die Schwächeren erneut vorangetrieben. Eine Gesellschaft, die ökonomischen Erfolg zum Kriterium des richtigen Handelns macht, ist in Deutschland nicht zu haben ohne Fremdenfeindlichkeit. Dieser Irrweg muß verlassen werden.

Prof. Dr. Wolfgang Dreßen
(Arbeitsstelle Neonazismus an der FH Düsseldorf)