Was war die DDR wert?

Die Unterzeile beantwortet schon die Stoßrichtung des Buches: "Und wo ist dieser Wert geblieben?". Wer jedoch annimmt, hier wird eine Geschichtsklittung versucht und dem verblichenen "Arbeiter- und Bauernstaat" nachgejammert, sieht sich getäuscht. Der Autor Siegfried Wenzel versucht eine vorläufige Abschlußbilanz der DDR zu erstellen. Er war stellvertretender Vorsitzender der DDR-Plankommission und hatte somit schonungslose Einsicht in alle Fakten, die sich mit den wirtschaftlichen Gegebenheiten der DDR befaßten. In seinem Buch zieht er zur Analyse aber insbesondere Quellen heran, die sicherlich nicht den Ruf haben, die DDR zu beschönigen, wie z.B. den offiziellen Bericht der deutschen Bundesbank "Die Zahlungsbilanz der ehemaligen DDR 1975-1989" vom August 1999. Danach ergibt sich ein ganz anderes wirtschaftliches Bild der DDR. Der hier gebetsmühlenartig verbreiteten Wiederholung von der "Pleite der DDR" tritt der Autor entschieden entgegen und belegt dies eindrücklich. Die finanziellen Schwierigkeiten, der technologische und besonders der ökologische Rückschritt werden nicht ausgeklammert, sondern das wirtschaftliche Agieren kritisch unter die Lupe genommen. Es zeigt sich, daß die DDR, wie der ganze "Ostblock" mit seinen Besonderheiten fest im Gefüge des Kapitalismus verankert war und dadurch auch von den Krisen betroffen war, wenn auch verspätet. Es soll dem angeblich besserem deutschen Staat keine Träne nachgeweint werden, dennoch war die DDR keinesfalls wirtschaftlich am Ende. Um so interessanter ist es natürlich, wo denn der ganze "Reichtum" geblieben ist. Bei den eigentlichen Inhabern der volkseigenen Betriebe sicherlich nicht. Wenzel zeigt, wie die westdeutsche Politik schonungslos den Ausverkauf der DDR vorantrieb, zur Freude des westdeutschen Kapitals.

Ein interessantes Buch, das leicht verständlich geschrieben ist, vielleicht manchmal etwas zu detailverliebt ist, das aber gut zu lesen ist und einen guten Einblick gibt in das Gebaren des westdeutschen Kapitals.

MEIKEL F

Was war die DDR wert?
Siegfried Wenzel
Das neue Berlin
303 Seiten
29.90 DM


bookZur Kritik neoliberaler Umstrukturierung in NRW

Mit seiner Neuerscheinung hat der Autor Markus Wissen, politisch aktiv im "Bundes-kongress entwicklungspolitischer Gruppen" (BUKO), eine äußerst materialreiche Analyse regionalstaatlicher Umstrukturierung in NRW erstellt. Der Autor bedient sich dabei neomarxistischer Ansätze zur Staatsanalyse mit Rückgriff auf die analytischen Instrumentarien der sog. Regulationstheorie. Die Umformung der alten, fordistisch geprägten Regulierungsverhältnisse hin zu einer neoliberal orientierten Politik des "schlanken Staates" unter Clement als sozialdemokratischem "Modernisierer" wird in der Neuerscheinung anhand umfangreicher Analysen strukturpolitischer Maßnahmen erläutert und einer kritischen Wertung unterzogen. Gerade NRW als einstiges Musterland für ehemals sozialdemokratisch-fordistisch geprägte Regulationsweisen eignet sich hierbei beispielhaft für die Analyse einer Transformation institutioneller Funktionen, die sich von dem Modell des "planenden Staates" hin zu neuen Formen eines "verhandelnden Staates" bewegt haben. Im Zentrum der gesell-schafts-kritischen Analyse neoliberaler Umstruk-turierungs-prozesse stehen dabei konzertierte Mechanismen zur Durchsetzung neuer regionalstaatlicher Regulationsmuster. Nach Wissen verdichteten sich die widersprüchlichen Interessen zwischen traditionell montan-industriellen, Modernisierungs- und neoliberalen Koalitionen Anfang der neunzi-ger Jahre in NRW zu institutionellen Neuerungen regionalstaatlicher Politik. Kennzeichen hierfür sind die Modernisierungen der alten Schlüsselbranchen, landespolitische Kooperationsprozesse mit lokalstaatlichen Akteuren, Verbänden, Gewerkschaften und den Industrie- und Handelskammern sowie strukturelle Maßnahmen zur Ausformung einer Standortpolitik nach den Maßgaben für die Expansion des Dienstleistungssektors und eines konsumorientierten neuen Enter-tain-ments. Diese Entwicklung ist laut Wissen zwar nicht vollständig vollzogen, sie weist jedoch Grundmuster einer neuen Regulationsweise auf, die mittels Zusammenführung von institutionellen und nicht-staatlichen Akteuren weitestgehend hege-monial geworden sind. Als Kennzeichen dieser neuen Regulationsweise benennt Wissen folgende Entwicklungen: Erstens ein "Outsourcing" des Staates, also die Auslagerung regionalstaatlicher Politik in privatrechtliche Organisationen mit den Folgen einer weitestgehenden Entbindung öffentlicher Kontroll-möglichkeiten. Zweitens die politische Hervorhebung regionaler Besonderheiten in der Standortpolitik, die einer globalisierten Angebotspolitik Rechnung zu tragen versucht. Hierbei ist ein Prozeß weg von regionalstaatlicher Nivellierung hin zu einer Profilierung sozialräumlicher Disparitäten erkennbar, der auf die Anpreisung von Standortvorteilen im globalisierten Wettbewerb setzt. Daraus resultierend hat die neue regionalstaatliche Politik insgesamt einen wettbe-werbs-orientierten Charakter, der auf die Mobilisierung privatwirtschaftlicher Ressourcen ausgerichtet ist und die Marktfähigkeit zum zentralen Maßstab institutioneller Förderungskriterien macht. Daraus resultieren als weiteres Merkmal neuer Regu-lierungs-verhältnisse die Auslagerungen sozialstaatlicher Verantwortungsbereiche. Bei der Bekämpfung von Arbeitslosigkeit wird auf "Selbsthilfe", auf das Leitbild vom neuen "unternehmerischen Menschen" gesetzt, um dem Abbau einer aktiven institutionellen Beschäftigungspolitik den propagandistischen Ausdruck zu geben. Hieraus ist ein Wandel politischer Orientierungsvorgaben erkennbar, der sich in neuen Formen symbolischer Politik erkennen lässt. Der Strukturwandel wird ästhetisch aufgeladen durch eine Mo-dernitäts-Propaganda, die sozialräumliche Polarisierungsprozesse mittels postmoderner Architektur, Standortpropaganda und werbeträchtiger Vermarktung von Prestigeprojekten für die Dienstleistungsindustrie unter einem neuen Gründungsmythos als "Region des Aufbruchs" weitestgehend erfolgreich zu kaschieren versucht.

Um neues Widerstandpotential gegen diese sozialräumlichen Polarisierungsprozesse formieren zu können, ist ein Einblick in die Regularien und Wirkungsweisen neoliberaler Restruk-turierungen Voraussetzung. Die vorliegende Neuerscheinung bietet hierzu nicht nur hervorragend ausgearbeitetes empirisches Material, sondern zugleich analytische Hilfestellung für eine zeitgemäße und praxisnahe Form der Kritik der politischen Ökonomie.

Markus Wissen: die Peripherie in der Metropole. Zur Regulation sozialräumlicher Polarisierung in Nordrhein-Westfalen, Verlag Westfälisches Dampfboot, 2000, 293 S., 48 DM


bookBERLINER BAROCK. POPSINGLES. THOMAS GROß

Was haben wir gelacht! Alles selbstverständlich für uns, und nix überflüssig! Berichte über die Erfindung Kreuzbergs mit Rio Reiser, den Berliner Barock mit den Einstürzenden Neubauten, die Poplinken auf Tour, die Poplinken unter sich, Rammstein, MTV in Berlin, die unvermeidliche Popkomm, eine Willy-Brandt-Oper, Habermas meets Schröder, Cher, Bragg, Dylan, Blumfeld, Neil Young, Mc Luhan oder Johannes Paul II und vieles mehr - hier sind Texte zu Kultur und Politik von Thomas Groß versammelt, die es lohnen, auch noch nach Jahren ihres Erscheinens, zuerst meist in der taz, gelesen zu werden. Was er kann: Seine journalistischen Recherchen und die dazugehörigen Infos gut und witzig rüberbringen, ohne dass a. der Text letztlich doch wieder nur vom Autor handelt und b. dieser den Themen mit postmoderner Ironie und billiger Häme schon im Vorhinein die Hosen runterreisst. Dafür aber klopft er den behandelten Objekten beim Weggehen nochmal auf die Schulter, so dass sie mit einem Schild am Rücken "Bin Popstar / Pop-Phänomen - bitte nicht ernstnehmen!" davonlatschen. Wunderschön.

Insgesamt ein oberschlaues Büchlein, sehr schön lesbar und gutgeschrieben, da der Stil zwar sehr schön locker-fluffig ist, inside aber nur so von pointierten und wohldurchdachten Sachverhalten strotzt, und das erzeugt logisch auch den Sound der Kritik, der 1fach Grundlage ist, um den Mythen der Popkultur demnächst und immer wieder langsam und lustvoll die Klamotten in Fetzen zu ziehen, bzw. ihre Nacktheit herauszuschrei(b)en. Gross hat das, was Diederichsen gerne hätte, aber nimmermehr hatte und auch nie bekommen wird: Witz, Soul und Schwung, kurz, einen Stil, der nicht zuletzt Infos vermittelt und keine kruden politischen Privatmythologien. Und im Gegensatz zu dem gnadenlos von ihm abkupfernden Stuckrad-Barre interessiert sich Groß, was Wunder, vor allem für Politik, und kann dies auch vermitteln, ohne dass der Stil darunter leidet. Ein sehr kluges wie auch witziges Buch. Teilweise zuviel Ironie-Overkill, doch die meisten Themen haben es einfach verdient. Das einzige Problem von Groß wie auch seiner favorisierten Darlings: was machen diese HaHa's, wenn mal jemand daherkommt, der oder die's wirklich ernst meint? Time should tell, and time will tell! Ein Buch, das den ganzen aufgesetzten Schwachsinn der Popkulturindustrie in Kürze komprimiert zusammenfasst - diese Compilation macht Sinn!

MARCUS

Edition Suhrkamp 2176 / DM 18,90


bookBERLINER BAROCK. POPSINGLES. THOMAS GROß

Was haben wir gelacht! Alles selbstverständlich für uns, und nix überflüssig! Berichte über die Erfindung Kreuzbergs mit Rio Reiser, den Berliner Barock mit den Einstürzenden Neubauten, die Poplinken auf Tour, die Poplinken unter sich, Rammstein, MTV in Berlin, die unvermeidliche Popkomm, eine Willy-Brandt-Oper, Habermas meets Schröder, Cher, Bragg, Dylan, Blumfeld, Neil Young, Mc Luhan oder Johannes Paul II und vieles mehr - hier sind Texte zu Kultur und Politik von Thomas Groß versammelt, die es lohnen, auch noch nach Jahren ihres Erscheinens, zuerst meist in der taz, gelesen zu werden. Was er kann: Seine journalistischen Recherchen und die dazugehörigen Infos gut und witzig rüberbringen, ohne dass a. der Text letztlich doch wieder nur vom Autor handelt und b. dieser den Themen mit postmoderner Ironie und billiger Häme schon im Vorhinein die Hosen runterreisst. Dafür aber klopft er den behandelten Objekten beim Weggehen nochmal auf die Schulter, so dass sie mit einem Schild am Rücken "Bin Popstar / Pop-Phänomen - bitte nicht ernstnehmen!" davonlatschen. Wunderschön.

Insgesamt ein oberschlaues Büchlein, sehr schön lesbar und gutgeschrieben, da der Stil zwar sehr schön locker-fluffig ist, inside aber nur so von pointierten und wohldurchdachten Sachverhalten strotzt, und das erzeugt logisch auch den Sound der Kritik, der 1fach Grundlage ist, um den Mythen der Popkultur demnächst und immer wieder langsam und lustvoll die Klamotten in Fetzen zu ziehen, bzw. ihre Nacktheit herauszuschrei(b)en. Gross hat das, was Diederichsen gerne hätte, aber nimmermehr hatte und auch nie bekommen wird: Witz, Soul und Schwung, kurz, einen Stil, der nicht zuletzt Infos vermittelt und keine kruden politischen Privatmythologien. Und im Gegensatz zu dem gnadenlos von ihm abkupfernden Stuckrad-Barre interessiert sich Groß, was Wunder, vor allem für Politik, und kann dies auch vermitteln, ohne dass der Stil darunter leidet. Ein sehr kluges wie auch witziges Buch. Teilweise zuviel Ironie-Overkill, doch die meisten Themen haben es einfach verdient. Das einzige Problem von Groß wie auch seiner favorisierten Darlings: was machen diese HaHa's, wenn mal jemand daherkommt, der oder die's wirklich ernst meint? Time should tell, and time will tell! Ein Buch, das den ganzen aufgesetzten Schwachsinn der Popkulturindustrie in Kürze komprimiert zusammenfasst - diese Compilation macht Sinn!

MARCUS

Edition Suhrkamp 2176 / DM 18,90