Bewegungslehre:

Nach der Autonomie

Robert Foltin gibt in seinem neuen Buch einen Schnell­überblick über die theoretischen Debatten und politischen Organisierungsversuche nach dem Ende der klassischen Autonomen der 1980er (und 90er) Jahre.

Was bedeutet es, dieses Präfix „Post-“ vor „Autonomie“? Was ist es, was „danach“ kommt? Nach dem, was wir autonome Organisierung nannten? Etwas Neues, Anderes, Besseres? Ein Projekt der Überwindung von etwas Altem? Oder einfach nur ein „nach dem Scheitern“? Der Autor, Philosoph, kritisch-solidarische Bewegungs-Liebhaber- und Aktive Robert Foltin stellt in seinem schmalen Büchlein „Post-Autonomie“ genau diese Fragen – und Antworten – dar, wenn er sich daran macht, einen Beitrag zur „Bewegungslehre“ zu leisten, wie der unrast-Verlag sie mit inzwischen fünf stets (und manchmal zu) kompakten Bänden auflegt. Basis-Wissen für Bewegungsaffine und Menschen, die den kurzen Überblick suchen, um die eigene Richtung zu schärfen oder weil sie immer schon mal wissen wollten, mit welch klugen Gedanken und Konzepten andere vor ihnen die Welt aus den Angeln hoben, die viel zu schwere.

Foltin widmet sich also dem, was „danach“ kommt, wenn die Autonomen Platz machen. Dabei macht er einen ersten Punkt durch seinen Blick auf die Reibungsflächen auf. Die Autonomen der 1980er Jahre prägte, so Foltin, vor allem ihre Gegenkultur und ihr Antiimperialismus. Nach dem Ende des Systemkonflikts „Ost-West“ und dem Aufstieg des Postfordismus seien diese beiden Register so nicht mehr tragfähig gewesen. Der autonome, kurzfristige Aktionismus sei durch den Versuch, mehr organisatorische Kontinuität und größere politische Ausstrahlung zu schaffen, abgelöst worden. Nur so seien die Autonomen aus der undankbaren Rolle herauszulösen gewesen, sozusagen der militante Arm der grünen Partei zu sein, der mit Kampagnen den politischen Druck aufbaute, den dann Grenzträger*innen der Macht, wie Parteien, Gewerkschaften und NGOs für ihre Zwecke kanalisierten. Nicht zuletzt sei eine subkulturelle Szene eben keine Gegenmacht.

Foltin stellt dann die Organisationsversuche im Bereich des Antifaschismus vor, und jene, die, wie etwa die Avanti-Gruppen oder auch Für eine linke Strömung (FelS) später prägend für die seit 2010 aktivere Interventionistische Linke (IL)[1] werden sollten. Parallel dazu montiert Foltin immer wieder Kampagnen, die den neuen Ansatz transportierten, in seinen Text – und diskutiert deren Bedeutung für linke Debatten: Heiligendamm 2007, Dresden, Castor schottern, Blockupy; sowie internationale Ereignisse, die vom Aufstand der Zapatistas 1994 bis zur Debatte um Syriza 2015 reichen. Und neue Themen – wie etwa Care-Revolution, EuroMayDay oder Recht auf Stadt.

Das Buch bringt für ältere oder erfahrene Leser*innen sicher wenig neues, es ist mehr ein Geschichtsbuch über die letzten beiden Jahrzehnte linksradikaler Politik, das allein aufgrund seines Umfangs oftmals oberflächlich und verkürzt oder verkürzend bleiben muss[2]. Insgesamt ist Foltin den „neuen Formen“ gegenüber zu unkritisch. Denn macht die IL heute nicht – wenn auch mit besserer Begründung – genau die Kampagnenpolitik, gegen die sich FelS in ihrer berechtigten Autonomen-Kritik damals gewendet hatte? Seltsam abwesend bleibt auch der Umstand, dass die postautonomen Kreise das Reservoir sind, aus dem sich Gewerkschaften und Parteien bei Bedarf ihr neues, hochkompetentes Personal rekrutieren, während für weite Teile der autonomen Linken „Politisch-Sein“ vor allem aus life-style-politics und Identitätspolitik besteht. Die Revolutionierung des Alltags – ja, des Alltags und der Lohnarbeit – steht weiterhin aus ...

BERND HÜTTNER

[1]   Vgl. den Heinz-Schenk-Reader von FelS mit den historischen Dokumenten unter http://fels.nadir.org/de/material/heinz-schenk-debatte-kritik und den IL-Strategiereader 2016 unter http://interventionistische-linke.org/beitrag/reader-zur-strategiekonferenz-der-interventionistischen-linken-april-2016.
[2]   Vgl. auch Foltin: Autonome Theorien, Wien 2015, Rezension in Terz November 2015

Robert Foltin: Post-Autonomie. Von der Organisationskritik zu neuen Organisationsformen?

unrast Verlag
Münster 2016
74 Seiten
7,80 EUR