Grüne jetzt noch regierungsfähiger!

Der grüne Landtagsabgeordnete Dr. Stefan Bajohr erklärte Ende Oktober seinen Verzicht auf eine weitere Amtsperiode. Verbunden damit war eine massive Kritik an Teilen der Grünen. Die TERZ führte das Interview kurz nach dem Bekanntwerden von Stefan Bajohrs Erklärung.

Stefan, man liest in der Zeitung von den Grünen als traurigem Haufen. Nun sind die Grünen doch schon arg gebeutelt - mußtest du mit deiner Kritik gleich an die Öffentlichkeit gehen?

Der Vorwurf, ich hätte mich mit meiner Kritik zuerst an die Presse und dann an die Partei gewandt, ist absurd. Einige Tage vor der Sitzung des grünen Kreisverbandes Düsseldorf, auf der die fünf DirektkandidatInnen für die Landtagswahl benannt wurden, hatte ich mich als Düsseldorfer Landtagsabgeordneter an den Kreisvorstand gewandt und darum gebeten, eine kurze, knapp viertelstündige Erklärung zu meiner bisherigen Arbeit und zu den Ursachen für meinen Verzicht auf eine erneute Kandidatur abgeben zu können. Das ist mir vom Kreisvorstand mit Verweis auf die Geschäftsordnung verweigert worden. Auf der Versammlung selbst habe ich dann darauf hingewiesen, daß die Basisdemokratie in unserer Partei doch verlange, daß ich als Abgeordneter Rechenschaft gebe und Bilanz ziehe. Der Vorstand verweigerte mir dennoch, meine Erklärung abgeben zu dürfen, woraufhin aus der Versammlung heraus beantragt wurde, mich reden zu lassen. Dieser Antrag wurde dann bei Stimmengleichheit abgelehnt. Unter diesen Umständen habe ich mich entschlossen, meine Rechenschaft der Partei, meinen WählerInnen und der Öffentlichkeit vorzulegen. Ich finde es enttäuschend, daß die Grünen nicht mehr bereit sind, kritische Mitglieder anzuhören. Es muß ja niemand meine Meinung teilen, aber...

Was ist denn nun deine Kritik?

Ich kandidiere nicht mehr für den Landtag, weil ich dort nichts mehr für die grünen Ziele, wie sie 1995 im Wahlprogramm festgeschrieben wurden - und auf dessen Grundlage ich übrigens gewählt wurde - tun kann.

Wieso? Wo ist der Widerspruch zwischen Programm und Praxis?

Wir sind 1995 auf der Grundlage klarer Losungen gewählt worden: Wir wollten die Energiewende einleiten - statt dessen tolerieren wir de facto Garzweiler II. Wir wollten eine andere Verkehrspolitik, den Ausbau der Flughäfen stoppen - statt dessen wurde Dortmund ausgebaut, Mönchengladbach gefördert, Essen/Mühlheim nicht geschlossen. Und in Düsseldorf wird mit aller Macht versucht, selbst Gerichtsurteile auszuhebeln, die dem AnwohnerInnenschutz Vorrang einräumen. Wir wollten auch die Arbeitslosigkeit bekämpfen - statt dessen haben wir mehr Arbeitslose. Mehr Autobahnen (DüBoDo), weniger Arbeitsplätze in den Kindergärten, weniger Rechte für Studierende an den Hochschulen - das haben wir mitzuverantworten.
Eklatant auch unser Versagen in der Flüchtlingspolitik - Massenabschiebungen sind in NRW an der Tagesordnung!
Wir haben als Grüne ein Glaubwürdigkeitsproblem. Niemand konnte erwarten, daß wir alles erreichen, und vielleicht haben wir stellenweise den Mund zu voll genommen. Aber Realos und Regierungs"linke" haben sich auch gar nicht wirklich um die Durchsetzung unserer eigenen Programmatik bemüht! Und dann haben einige von uns noch so getan, als ob unser Verzicht in Wahrheit die Erfüllung unserer Forderungen sei...

Und die Partei nimmt das hin?

Es hat den Anschein, leider. Die Abkehr von unseren Idealen ist im vollem Gange. Wenn wir basisdemokratisch sein wollen - wie kann es da angehen, daß der grüne Außenminister Fischer gegen den eigenen Parteivorstand putscht? Unsere Partei ist nicht mehr sozial, wenn führende Grüne Sparpakete für die Armen schnüren, aber den Unternehmen Steuergeschenke in Höhe von 8 Mrd. DM in Aussicht stellen. Und ökologisch? Die Forschungsmittel für regenerative Energien werden im Bundeshaushalt gekürzt. Dafür ist vom Atomausstieg nichts zu sehen. Und zum Thema Gewaltfreiheit muß ich wohl nach der Kriegsbeteiligung nichts mehr sagen.

Aber wo siehst du dann noch Chancen für deine Partei? Und für dich?

Ich glaube, der Prozeß ist noch nicht unumkehrbar. Es gibt viele Grüne, die sich aus Enttäuschung zurückgezogen haben. Die müssen wir zurückgewinnen, wenn die Grünen wieder Profil erhalten sollen. Ich bin sicher, daß es ein linkes Potential in der Gesellschaft gibt. Den Kapitalismus pur, auf den diese Gesellschaft zusteuert, lehnen viel mehr Menschen ab, als es der grüne Mainstream wahrhaben will. Für mich gilt: Ich wechsle nur den Streitort, gebe aber keinesfalls auf. Ich werde weiter politisch aktiv bleiben und für meine Vorstellungen von grüner Politik eintreten. Und dabei bin ich nicht allein.

Vielen Dank für das Gespräch.

Ein Hinweis: Die Rede, die Stefan Bajohr nicht halten durfte, ist dokumentiert unter http://home.landtag.nrw.de/mdl/stefan.bajohr