TERZ 12.11 – AUFKLÄRUNG
Kaum zu glauben, aber wahr: Im Oktober fanden gleich zwei Veranstaltungen radikaler Lebensschützer_innen in Düsseldorf statt. Ein "Aktionskreis Oktober 2011" hatte sich formiert, um mit Veranstaltungen "in Sälen wie auf der Straße [...] das Tabu-Thema Abtreibung wieder auf die gesellschaftliche und politische Tagesordnung zu bringen", wie es auf der Website der "Aktion Lebensrecht für Alle" (ALfA) hieß.
Ebenso wie "Pro Life Deutschland", ein Verein, der sich ebenfalls an den Aktionen beteiligte, gehört AlfA zur christlich-fundamentalistischen "Lebensschutzbewegung", die radikal gegen Schwangerschaftsabbruch und Sterbehilfe agitiert.
Das zentrale Argument, das diese Bewegung gegen das Selbstbestimmungsrecht des Menschen über den eigenen Körper ins Feld führt, ist, dass jedes Leben "gottgegeben" sei und "ER" daher auch als einziger entscheiden darf, wann Leben endet. Dementsprechend sei der Freitod eines Menschen, ganz gleich aus welchem Grund, ein Verstoß gegen den "Willen Gottes"; Sterbehilfe gilt als "Mord", Schwangerschaftsabbruch als "Tötung von Kindern". Dem Fötus und sogar der befruchteten Eizelle wird ein Lebensrecht zugesprochen, gegen das das Selbstbestimmungsrecht der Schwangeren zurückzustehen hat. Innerhalb ihrer religiösen Logik ist die Argumentation der Lebensschützer_innen durchaus konsequent: Akzeptiert man ihre Grundthese, dass sich der Mensch dem Willen Gottes zu beugen hat, sieht es schlecht aus mit dem Wunsch nach einem Leben in Selbstbestimmung und Autonomie. Glücklicherweise ist diese Annahme 300 Jahre nach Beginn der Aufklärung in hiesigen Breitengraden nicht mehr allzu populär. Nun ja, jeder Jeck ist anders, und so könnte man den Lebenschützer_innen ihren Glauben lassen, würden sie nicht versuchen, ihre religiöse Überzeugung im politischen Alltag durchzusetzen.
Der Verein "ProLife Deutschland" beispielsweise, dessen Mutterorganisation in der Schweiz beheimatet ist, kommt auf seiner Homepage ganz seriös daher. Unter dem Motto "Familien unterstützen – Menschenleben schützen" verkündet der Verein auf seiner Homepage: "Wir treten ein für eine Kultur des Lebens." Praktisch äußert sich das so: ProLife Deutschland kooperiert mit der Betriebskrankenkasse Industrie Handel und Versicherung (BKK IHV) und bietet eine "extra familienfreundliche Krankenkasse" an. Allen Versicherten in der Verwaltungsstelle ProLife der BKK IHV zahlt ProLife Deutschland ein "Baby-Willkommens-Geld" von 300 Euro für die Geburt eines Kindes. Alles, was die Versicherungsnehmer_innen dafür tun müssen, ist, vertraglich zu garantieren, niemals selbst einen Schwangerschaftsabbruch vorzunehmen oder andere dazu zu drängen. So werden unter dem Deckmantel einer familienfreundlichen Krankenkassenleistung Mitglieder für die "Lebensrechtbewegung" eingekauft.
Bei Aktionen im öffentlichen Raum agieren Aktivist_innen der Bewegung, je nach Anlass, von zurückhaltend bis brutal. Das von ProLife Deutschland für den 1. Oktober 2011 auf dem Bahnhofsvorplatz geplante Public Viewing des Films "Wunder des Lebens" ist noch eines der harmloseren Beispiele ihrer Propaganda: Der Film zeigt die Entwicklung einer befruchteten Eizelle bis zur Geburt des Babys und versucht so durch den Einsatz niedlicher Filmbilder die Vorstellung vom Fötus als "Rechtssubjekt" zu untermauern. Konsequenterweise kommt die Schwangere als Subjekt in diesem Film auch gar nicht erst vor; sie umgibt unsichtbar als eine Art Brutkasten den eigentlichen Star des Films: den Fötus. Nach Intervention von rund 50 Aktivist_innen aus dem linken Spektrum, die mit Plakaten und Flugblättern ihrem Unmut über so viel christlichen Populismus Luft machten, packte der einzig verbliebene von zwischenzeitlich vier anwesenden der ProLifer_innen schließlich seinen Beamer wieder ein, ohne den Film gezeigt zu haben.
Spektakulärer sind dagegen Auftritte wie der sog. "Marsch für das Leben" am 17. September diesen Jahres in Berlin, bei dem auf Initiative u.a. von AlfA rund 1.400 internationale "Lebensschüzer_innen" - wie bei solchen Gelegenheiten üblich - hunderte von weißen Holzkreuzen umhertrugen, um ironischerweise "gemeinsam […] ein klares und unübersehbares Ja zum Leben [zu bekunden]". Die Kreuze symbolisierten hierbei die durch Schwangerschaftsabbruch "getöteten" Kinder. Eine Rednerin bedauerte während einer Kundgebung, dass die sog. "Gehsteigberatungen" inzwischen gesetzlich verboten sind, und "wir in dem Moment nicht mehr die Möglichkeit haben, auf der Straßenseite die Frauen vor der Abtreibungsklinik anzusprechen. [...] Die Frauen sind so unter Druck. Die sind verzweifelt, die sind nicht frei ...". Was hier als durch Nächstenliebe motivierter Versuch der Unterstützung von Frauen in Konfliktsituationen verkauft wird, ist in der Praxis nichts weniger als blanker Psychoterror: Abtreibungsgegner_innen lauern Schwangeren – nicht selten mit Bildern von ungeborenen Babys oder abgetriebenen Föten - vor Abtreibungspraxen auf und nötigen sie, ihre Entscheidung im letzten Moment zu revidieren.
Die zweite im Rahmen des Aktionsmonats in Düsseldorf veranstaltete Aktion, ein von AlfA initiierter "Festakt" mit verschiedenen Redner_innen und Musik, fand zwar hinter mehr oder weniger verschlossenen Türen statt, gab aber dennoch einen guten Einblick in eines der zentralen Argumentationschemata der Gruppierung: Am 31. Oktober trafen sich etwa 30 "Lebensschützer_innen" – von Protesten linker Aktivist_innen begleitet - im Hotel Nikko (ursprünglich war die Veranstaltung im CVJM-Hotel am Hauptbahnhof geplant). Dort lauschte man einer illustren Schar von Redner_innen: Dr. Andreas Laun, Weihbischof von Salzburg, sprach zum Thema "Zurück zum Rechtsstaat - Verbot der Abtreibung"; Dr. Claudia Kaminski, Vorsitzende der AlfA, trat ein für "Lebensrecht - Jetzt erst recht", und Rebecca Kiessling, Pro Life-Aktivistin aus den USA, schilderte höchst emotional ihre eigene Biographie: "Schönheit statt Asche - Gewaltsam gezeugt und doch geliebt!" Empfangen wurden die Besucher_innen der Veranstaltung von Plastikföten, von denen jeweils einer, rosarot in sich zusammengekauert, auf jedem der Sitzplätze lag. Wichtigste, wenn auch im Vergleich zum Weihbischof nicht prominenteste Rednerin des Abends, war zweifellos Rebecca Kiessling. Als beinahe abgetriebenes Kind einer vergewaltigten Frau beansprucht sie das moralische Recht, aus der Sicht aller ungeborenen Föten dieser Welt zu sprechen. Das gesetzlich verbriefte Recht von Frauen, nach einer Vergewaltigung einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen zu dürfen, betrachtet sie als persönlichen Angriff auf ihr Leben. Ihre emotionale Betroffenheit gilt den "Lebensschützer_innen" als Beleg für die Grausamkeit von Schwangerschaftsabbrüchen. Eine vergewaltigte Frau zu nötigen, ein Kind auszutragen, das sie nicht will, erscheint ihnen im Gegensatz dazu nicht sonderlich grausam zu sein. Dass es für Kiessling mit ihrer Biographie nicht leicht gewesen sein mag, mit sich selbst ins Reine zu kommen, ist bedauerlich, und dass man Menschen in ihrer Situation alle erdenkliche psychologische Unterstützung zukommen lassen sollte, versteht sich von selbst. Ihr persönliches Schicksal aber als Argument gegen Schwangerschaftsabbrüche ins Feld führen zu wollen, ist absurd. Ebenso ließe sich mit wenig Aufwand eine Frau finden, die genötigt wurde, das Kind ihres Vergewaltigers auszutragen und hierdurch traumatisiert wurde. Oder eine Frau, die sich durch Lebenschützer_innen hat überzeugen lassen, auf einen Schwangerschaftsabbruch zu verzichten und heute mit einem Schuldkomplex durch‘s Leben geht, weil sie sich unfähig fühlt, ihr Kind zu lieben.
Gern verweisen die Lebensschützer_innen in diesem Zusammenhang auf die (christliche) Gemeinschaft, die sich des Kindes annehmen und die Mutter unterstützen kann – eine an sich ehrenwerte Haltung. Nur gibt es ja bereits 8 Milliarden Menschen auf der Erde, darunter etliche Kinder, die sicherlich ein bisschen menschlichen Support gebrauchen und an denen sich die Lebensschützer_innen dieser Welt mit ihrer Nächstenliebe endlos austoben könnten. Stattdessen kämpfen sie für die Geburt von immer noch mehr Kindern – auch gegen den Willen der Eltern, auch gegen das Selbstbestimmungsrecht der Schwangeren über ihren Körper.
Die beiden Veranstaltungen der Lebensschützer_innen in Düsseldorf haben gezeigt, dass man sich vorerst keine allzu großen Sorgen machen braucht: Noch scheint die Bewegung mit ihrem kruden Vorgehen nicht anschlussfähig genug, als dass hieraus eine populistische Massenbewegung mit gesellschaftlich breiter Wirksamkeit entstehen könnte. Dennoch gilt es, sie im Auge zu behalten, denn für die Neue Rechte ist sie anschlussfähig genug: Claudia Kaminski nutzt die "Junge Freiheit", die Berliner Wochenzeitung der Neuen Rechten, als Forum für ihre Propaganda, und dort ist man ganz begeistert von der "kleinen, zierlichen Frau", die "ihren Mann steht" und ein "Glücksfall für die deutsche Lebensrechtsbewegung" ist.
Offenbar ist es im Jahr 2011 wieder nötig geworden, die alte feministische Kampfansage "Mein Bauch gehört mir!", mit der die Frauenbewegung in den 1970er Jahren für Emanzipation und Selbstbestimmung auf die Straße ging, neu zu verteidigen. Nach wie vor ist der Schwangerschaftsabbruch in der BRD nicht legal, ein Zusatzparagraph des umstrittenen §218 zur Fristenregelung legt den Frauen eine Zwangsberatung vor dem Abbruch auf. Die selbsternannten "Lebensschützer_innen" gehen noch einen Schritt weiter und sprechen mit populistischer Propaganda für den "Schutz allen Lebens" schwangeren Frauen grundsätzlich das Selbstbestimmungsrecht über ihren Körper ab. Für uns Grund genug, dieser reaktionären Bewegung den Raum streitig zu machen, wann immer sich ihre Protagonist_innen irgendwo blicken lassen.
My Body – my Choice!
Für das Recht auf Schwangerschaftsabbruch!
GRUPPE F, OKTOBER 2011
gruppe_f [at] leftaction[dot]de