Die „Aktion Reinhardt“

Der Automechaniker Franz Stangl führte seit 1951 ein unauffälliges Leben in São Paulo. Seine Tätigkeit bei „Volkswagen do Brasil“ bescherte ihm und seiner Familie ein sicheres Auskommen. Am 28. Februar 1967 brach die heile Welt des Franz Stangl jedoch zusammen. Die brasilianische Polizei nahm ihn in Gewahrsam. Drei Tage später beantragte die Staatsanwaltschaft Düsseldorf die Auslieferung des 59-jährigen gebürtigen Österreichers in die Bundesrepublik. Stangl war keineswegs nur der biedere Automechaniker, der er vorgab zu sein. In der Zeit des Nationalsozialismus hatte er es zum SS-Hauptsturmführer gebracht und in führenden Positionen an der Vernichtungspolitik des NS-Regimes mitgewirkt. War er zunächst an den Patient*innenmorden im Rahmen der „Aktion T4“ beteiligt, kommandierte er in den Jahren 1942/1943 die Vernichtungslager Sobibor und Treblinka, in denen insgesamt über eine Million Jüdinnen und Juden ermordet wurden. Der Prozess gegen Stangl vor dem Landgericht Düsseldorf endete am 22. Dezember 1970 mit einer lebenslangen Freiheitsstrafe. Der vormalige SS-Hauptsturmführer wurde wegen „gemeinschaftlichen Mordes“ im Vernichtungslager Treblinka in mindestens 400.000 Fällen verurteilt. Der Behauptung Stangls, er sei lediglich mit der Erfassung der Wertgegenstände der ermordeten Jüdinnen und Juden befasst gewesen, schenkte das Gericht keinen Glauben. Rechtskräftig wurde das Urteil, gegen das Stangl Revision eingelegt hatte, jedoch nicht. Im Juni 1971 erlag Stangl einem Herzinfarkt. Gleichwohl rückte mit dem Düsseldorfer „Treblinka-Prozess“ zumindest kurzfristig ein zentraler, wenn auch bis dahin kaum thematisierter Aspekt der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik in den Fokus der juristischen und öffentlichen Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit. Als Kommandeur der Vernichtungslager Sobibor und Treblinka war Franz Stangl ein zentraler Protagonist der „Aktion Reinhardt“ gewesen. Unter diesem Tarnbegriff firmierte zwischen März 1942 und Oktober 1943 die systematische Ermordung von mindestens 1,75 Millionen Jüdinnen und Juden sowie rund 50.000 Roma und Romnija auf dem Gebiet des von den Deutschen errichteten „Generalgouvernements“, das Teile des besetzten Polen und der Ukraine umfasste. In der „Aktion Reinhardt“ kulminierten verschiedene Entwicklungslinien und Praktiken des nationalsozialistischen Massenmords, der sich eben nicht nur auf „Auschwitz“ reduzieren ließ, das gleichsam zum Synonym für die Shoah avancierte. Im Herbst 1941 beauftragte Heinrich Himmler den SS- und Polizeiführer im Distrikt Lublin, Odilo Globocnik, mit der Umsetzung der mörderischen Planungen, die die Vernichtung der Jüdinnen und Juden im Generalgouvernement ebenso vorsahen wie deren Ausplünderung. Zentrale Orte des Massenmordes bildeten die drei Vernichtungslager Belzec, Sobibor und Treblinka. Deren Errichtung und Organisation lag im Wesentlichen in den Händen vormaliger Protagonisten der „Aktion T4“ – wie etwa Franz Stangl. Kernstück der Mordaktionen in den Vernichtungslagern bildeten die Gaskammern, in denen die Opfer durch Kohlenmonoxyd umgebracht wurden. Die Leichen wurden zunächst in Massengräbern verscharrt, später jedoch wieder exhumiert und verbrannt, um die Spuren des präzedenzlosen Verbrechens zu beseitigen. An der „Aktion Reinhardt“ war jedoch nicht nur ein vergleichsweise kleiner Stab von SS-Offizieren beteiligt. In die Mordaktionen waren beispielsweise auch Polizeibataillone eingebunden, die zahlreiche Massaker verübten. Auch ohne die Unterstützung der Zivilverwaltung des Generalgouvernements hätte die Umsetzung der Vernichtungspläne wohl kaum so effizient im Sinne des Nationalsozialismus funktioniert.


Termine

Der Antifaschistische Arbeitskreis an der HSD u.a. präsentieren:

Mittwoch, 22. Februar 2017, 19.30 Uhr, Hinterhof - Linkes Zentrum, Corneliusstr. 108
INPUT – antifaschistischer Themenabend
75 Jahre „Aktion Reinhardt“. Die Ermordung von etwa zwei Millionen Juden, Jüdinnen, Roma und Romnija in Belzec, Sobibor und Treblinka.
Referent: Michael Sturm (Historiker aus Münster).
Der Vortrag beleuchtet die Bedeutung der „Aktion Reinhardt“ in der Gesamtgeschichte der Shoah. Handelte es sich bei den Mordaktionen um die systematische Umsetzung eines schon lange gefassten Plans des NS-Regimes oder war die „Aktion Reinhardt“ eher durch situative Momente und Entscheidungen gekennzeichnet? Welche Akteur*innen und Institutionen waren daran beteiligt? Und nicht zuletzt: Was geschah mit den Tätern nach 1945? Denn in der Rückschau zeigt sich, dass der Düsseldorfer „Treblinka“-Prozess eher als eine Ausnahme zu bezeichnen ist. In der ohnehin schon defizitären juristischen Aufarbeitung der NS-Verbrechen in der Bundesrepublik spielte die Ahndung der Mordtaten im Zusammenhang mit der „Aktion Reinhardt“ lediglich eine untergeordnete Rolle.

Der Antifaschistische Arbeitskreis an der HSD u.a. präsentieren:

Montag, 6. Februar 2017, 19.30 Uhr, Buchladen BiBaBuZe, Aachenerstr. 1 (am S-Bf Bilk):
Spiel auf Zeit. NS-Verfolgte und ihre Kämpfe um Anerkennung und Entschädigung. Buchvorstellung mit Lesung und Lichtbildvortrag mit Nina Schulz und Elisabeth Mena Urbitsch.
Die Politik der Bundesrepublik gilt in der öffentlichen Wahrnehmung weltweit als Modell einer gelungenen Entschädigung für die Opfer von Kriegsverbrechen und Verfolgung. Tatsächlich hat die Mehrheit der mehr als 20 Millionen NS-Verfolgten nie eine Entschädigung erhalten.
Nähere Infos: https://www.zakk.de/event-detail?event=5535
Veranstalter_innen: Antirassistisches Bildungsforum Rheinland, Arbeitskreis Gedenkstättenfahrten, Buchladen BiBaBuZe, ZAKK, Projekt Erinnerungs- und Lernort des AStA der HSD, Erinnerungsort Alter Schlachthof der HSD, Antifaschistischer Arbeitskreis an der HSD.