TERZ 11.99 – ANTISEMITISMUS
Ein kritischer NS-Forscher bewertete die "Reichskristallnacht" jüngst folgendermaßen: "Die Pogromnacht war wohl das aufschlußreichste Ereignis der gesamten NS-Zeit. In diesen Stunden hätte das deutsche Volk Gelegenheit gehabt, Solidarität mit seinen jüdischen Mitbürgern zu bekunden. Statt dessen besiegelte es das Schicksal der Juden, indem es die Herrschenden wissen ließ, daß es mit dem eliminatorischen Unternehmen einverstanden war, selbst wenn einige Menschen lautstark gegen einzelne Maßnahmen protestierten." Der Nachweis dieses bereitwilligen und eliminatorischen Antisemitismus der deutschen Massen war es, der Daniel Jonah Goldhagen mit seinem Buch "Hitlers willige Vollstrecker" von der deutschen Presse so verübelt wurde.
Düsseldorf war ein Zentrum dieses reichsweit von der Naziführung entfesselten Pogroms.
Der Düsseldorfer Zeitzeuge Peter Baumöller erinnert sich an den 9.11.1938:
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Als ich des Morgens aus der Reichsbahnunterführung von der Ellerstraße zum Mintropplatz kam, warfen SA-Leute gerade ein Klavier aus dem dritten Stock in die Tiefe. Beim Aufprall rissen sämtliche Klaviersaiten. Die schrillen Töne, die dabei entstanden, sind mir noch jahrelang durch Mark und Bein gegangen. (...) Ich lief dann Richtung Graf-Adolf-Straße. Überall zerbrochene Fensterscheiben, auf die Straße geworfene Waren (...) Als ich wieder nach Hause kam, traf ich bei meiner Großmutter die weinende Tante Erna an. Soweit ich mich erinnere, habe ich an diesem Tage zum erstenmal erfahren, daß meine Tante Jüdin war. Sie hatte ein Beschäftigungsverhältnis bei einer jüdischen Familie und hatte dort miterlebt, wie man deren ganzes Hab und Gut auf die Straße geworfen hatte. Auch ihr eigenes Zimmer wurde leergeräumt. Bei den Familiengesprächen an diesem Tage spielte das Schicksal meines Kinderarztes noch eine besondere Rolle. Dr. Nohlen wohnte in der Nähe des Bilker Bahnhofes. Meine Mutter bevorzugte diesen Arzt, weil er nicht nur für sein großes ärztliches Können bekannt war, sondern in gleichem Maße für die tiefe Zuneigung, die er seinen kleinen Patienten schenkte. Und nun hatte man dessen Praxis leergeräumt und den schwerbeschädigten Mann, der beide Beine verloren hatte, auch noch mißhandelt. Der jüdische Arzt heftete daraufhin seine beiden eisernen Kreuze erster und zweiter Klasse, die ihm verliehen worden waren, an die Brust und setzte sich so dekoriert auf die Trümmer seiner Praxis.
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Es waren beileibe nicht nur die SA und der entfesselte Mob aus den Unterschichten, die in Düsseldorf wüteten. Genauso waren Ärzte der Städtischen Krankenanstalten und sogar Landgerichtsräte aktiv dabei, als die 1903 neu erbaute Synagoge auf der Kasernenstraße mit Teer und Benzin in Brand gesetzt wurde. Auch die jüdische Synagoge in Benrath und die kleine Synagoge der Ostjuden in der Kreuzstraße gingen in Flammen auf. Der antisemitische Mob tobte sich bis zum 11. November aus, demolierte nahezu alle jüdischen Geschäfte und Wohnungen in der Stadt und schreckte auch vor Mord nicht mehr zurück. Fünf Menschen wurden im Laufe dieses Pogroms ermordet, weitere fünf Menschen begingen aus Angst vor den wütenden Angreifern Selbstmord und zahlreiche Verletzte wurden in die Krankenhäuser eingeliefert.
Die Stadt Düsseldorf war es auch, in der jener gewalttätige und blutrünstige Exzess sogar noch durch die Errichtung eines sog. "Blutzeugengrabes" für den Nazi Ernst vom Rath offiziell gewürdigt wurde. Bekanntermaßen wurde dessen Erschießung von den Nazis zum Anlaß für die reichsweiten Pogrome genommen. Der Legationssekretär Ernst vom Rath, ein Nazi aus einer rheinischen Unternehmerfamilie, wurde von dem verzweifelten jungen Juden Herschel Grynspan in Paris angeschossen und erlag diesen Verletzungen am 9.11.1938, dem nationalsozialistischen Feiertag für Hitlers mißlungenen Aufmarsch zur Feldherrnhalle am 9.11.1923. Draufhin forderte die NSDAP-Führung eilig sämtliche Gauleitungen auf, gegen jüdische Geschäfte und Synagogen vorzugehen. Dies gab den Auftakt für die Pogrome. Nach den Exzessen wurde der Nazi Ernst vom Rath feierlich "heimgeführt in die Stadt seiner Väter", so der pathetische Nazi-Jargon zur Beerdigung auf dem Düsseldorfer Nordfriedhof. Hitler selbst ließ es sich nicht nehmen, zum verklärten Totenakt aufzutreten. Die Rüstungsschmiede Rheinmetall ließ die Arbeiter auf den Straßen zum Trauerzug strammstehen und forderte in ihrer Werkszeitung auf, "den letzten in der Reihe der Blutzeugen für das neue Deutschland auf seinem Weg zu begleiten.".
Hintergrundinformationen aus:
Peter Baumöller: Es war nicht alles für die Katz'. Geschichten aus heißen und kalten Kriegstagen
Peter Hüttenberger: Düsseldorf in der Zeit des Nationalsozialismus, in: H. Weidenhaupt (hg.): Düsseldorf. Geschichte von den Ursprüngen bis ins 20. Jahrhundert, Band 3