TERZ 11.99 – THEATHER
Schroffe Berge, sanfte Täler: vor einer solchen Kulisse hätte die Tragödie ebenfalls stattfinden können, wäre Handkes sanftem Patriotismus auch im Bühnenbild gefolgt worden. Statt dessen bilden leere Tische und Stühle die Projektionsfläche, auf die Regisseur Klaus Emmerich und Dramaturg Frank Raddatz das aktuelle Stück "Die Fahrt im Einbaum oder Das Stück zum Film zum Krieg" Handkes wirft.
Kroatien, Serbien, Bosnien, Albanien: - dem Autoren liegt etwas am ehemaligen Jugoslawien, an dem Land, das nicht erst seit Titos Tod keine Ruhe findet. Und zwar hängt sein Herz am ganzen Balkan, nicht nur an Serbien, wie seine einsame Parteinahme während der Kriege vermuten liess. (Wir erinnern uns, es begann, als Helmut Kohl die deutsche Freundschaft zu Kroatien wiederentdeckte und endete, als die letzte Nato-Bombe auf Serbien gefallen war.) Doch während des Kosovo-Krieges waren bekanntlich alle KriegsgegnerInnen gleich Milosevic-AnhängerInnen; eine Tatsache, die Peter Handke am eigenen Leib zu spüren bekam.
Diese persönliche Erfahrung Handkes wird dem griechischen Ex-Journalisten (Andreas Ebert) in den Mund gelegt, der daher von seinen Kollegen,- den drei Mountainbikern (steckt nicht in jedem ein kleiner Scharping?), fertiggemacht wird.
Die Handlung: zwei Regisseure (Marcus Kiepe/Jörg Pose) wollen einen Film über den Krieg drehen. Doch da geht das Problem schon los: soll es ein Kriegsfilm oder ein Film zum Krieg werden? Mit Kindern und Tieren als beliebten Identifikationsobjekten und medialer Verkaufsgarantie? Anfangs versuchen sie noch, mit westeuropäischer Arroganz von oben herab das Leben, die Handelnden zu inszenieren, - doch angesichts der Unmöglichkeit, derartig viel Haß und Emotion angemessen abbilden zu können, geben sie endlich auf. Ein Spielfilm wäre in Anbetracht der Leiden pietätslos gewesen. Und so gibt es das Stück - zum Film zum Krieg: kann das Medium Theater eindringlicher klarmachen, was Krieg bedeutet?
Die Rollen: Verglichen mit den Regisseuren kommen die Fernseh- und Medienleute ganz schlecht weg (das hatten wir ja auch nicht anders erwartet). Mit einer Schreiattacke, die an beste Publikumsbeschimpfungszeiten erinnert, spuckt der aus der Journaille Ausgestoßene seinen Haß auf dieselbe in die ersten Reihen des Schauspielhauses. Anders denkt er, auf der anderen Seite steht er, und daher wird ihm von den anderen Krähen das Auge ausgehackt.
Vor ihm brüllt ein lienientreuerer Kollege (Peter Harting) seinen Haß auf das Land hervor, aus dem er berichtet. Verstehen kann man ihn: er kann diesen Krieg nicht nachvollziehen, ihm ist der Bruderzwist so fremd, daß er sich selbst fragt, wie er darüber informieren soll. Gut angelegt ist die Rolle: ihm nimmt man seinen Selbsthaß ab, seine innere Zerissenheit; der 3. Internationale,- wie er im Stück heißt, drängt den/die ZuschauerIn in die Rolle des/der Einheimischen, der/die sich fragt, was die westlichen Journalisten und Uno-Soldaten im Land verloren haben. Doch sie alle - Medienleute wie Filmemacher schauen nur zu: die Hauptrollen spielen:
Die Nachbarn: Sie stehen repräsentativ für die Volksgruppen auf dem Balkan, sie haben Geschichte erlebt; sind verstört, können nicht mehr sorgenlos leben, da jede Assoziazion Erinnerung an den Krieg hervorruft. Für sie scheint ein Neuanfang unmöglich. Die einzige positive Figur ist die Frau (Anke Hartwig). Im Stück heißt sie wahlweise Schönheitskönigin oder Fellfrau: als Mutter versteht sie alles, als blonde Beruhigende zieht sie alle mit in den Einbaum. Erst sie macht körperliche Berührungen wieder möglich, erst mit ihr können die Gräuel der Gemetzel verarbeitet werden.
Diese These bleibt auch bei Handke natürlich nicht aus, und die Wirklichkeit assistiert ja auch fleißig und schafft Beispiele. Trotzdem geht die Zuschauerin nicht mit dem Gefühl nach Hause, jeder Mann sei ein potenzieller Vergewaltiger, sondern kann sich im Gegenteil von der knolligen Urfrau seltsam getröstet fühlen. Sie schafft die Verbindung von der Urzeit bis heute, sie holt sowohl den Kriegsverbrecher, als auch den bluessingenden Wald- oder Irrläufer (Martin Schneider legt ein berührendes Solo hin) in ihr Boot, wo auch noch Platz für die Nachbarn ist.
Julia Galinke