TERZ 11.99 – AM PRANGER
Es war der 19. August dieses Jahres: Der diesjährige Sommer war sonnig und heiß, Kommunalwahlen und das Ende des Milleniums standen an, da fielen unsere lieben KommunalpolitikerInnen gerne mal wieder dem Wahn anheim, Düsseldorf wäre eine Metropole und bräuchte diesem Status entsprechende Bauvorhaben. Diesmal soll ein U-Bahn-Neubau - die sogenannte Wehrhahnlinie - der halluzinierten Metropole den letzten Kick geben. Diese Wehrhahnlinie ist eigentlich ein Zombie in Gestalt eines im Rohbau fertigen U-Bahnhofes unter dem derzeitigen U-Bahnhof Heinrich-Heine-Allee, den Papa Erwin und die SPD - auf deren Wort immer Verlaß ist - wieder zum Leben erwecken wollen.
U-Bahnen-Bau, das war die Schöne-heile-Welt-Vision von Planern und Politikern alter Schule in den sechziger Jahren - damals, als Wohnen, Arbeiten, Freizeit noch säuberlich getrennt werden sollte, um zum Wohle aller beizutragen, wie wir an zahlreichen Gewerbeansiedlungen und so reizvollen Wohnsiedlungen wie Reisholz sehen können. Auch der Auto-, Bus- & Bahn- und Fußverkehr galt als unverträglich: Der Tausendfüßler ist Symbol für eine derart autofreundliche Politik. Für die Bürger oben freie Fahrt mit dem Auto und für den Rest unten die U-Bahn. Doch U-Bahn-Bauen war auch damals teurer als Straßenbauen, und daher ist der U-Bahn-Wahn trotz guter Voraussetzungen nicht so recht vorwärts gekommen.
Nun kehrt der Wahnsinn zurück: 1,27 Milliarden DM soll er kosten, und 85 Prozent der Kosten zahlen das Land und der Bund. Viel Geld für feuchte Träume von der großen Metropole, wenn bedacht wird, dass die Stadt Düsseldorf noch an den Schulden des bisherigen U-Bahn-Baus und anderen feuchten Träumen - mit größtenteils einer 85prozentigen Landes- und Bundesbeteiligung - knappst und deswegen unter Finanzaufsicht der Bezirksregierung steht. Doch dies scheint die hiesigen Zombie-Animateure nicht zu interessieren: 10 Minuten Zeitgewinn für die Bahn von der Einfahrt Mecumstraße bis zum S-Bahnhof Wehrhahn, pünktliche Züge, 50 Prozent mehr Fahrgäste und Neuordnung der Friedrichstraße mit Fahrradweg und vor allem mehr Parkplätzen ist PolitikerInnen-LSD.
Die 10 Minuten Zeitgewinn werden von der Stadtbahn aber letztendlich nur auf der gesamten unterirdischen Strecke herausgefahren. 10 Minuten Zeitgewinn sind in den letzten zwanzig Jahren bereits durch realisierte Beschleunigungsmaßnahmen herausgeholt worden. Weitere 3 Minuten werden durch beschlossene Beschleunigungsmaßnahmen folgen, die zum Zeitpunkt des anvisierten Baubeginns realisiert sein werden. Diese Maßnahmen werden insgesamt ungefähr ein Zehntel der geplanten U-Bahn-Kosten benötigen. Also von ehemals 20 Minuten Zeitgewinn bleiben 7 Minuten Zeitgewinn für 1,27 Mrd. DM übrig: 7 Minuten Zeitgewinn für eine Minderheit der Fahrgäste, die die ganze Tunnelstrecke mitfahren, 7 Minuten minus ca. 3 Minuten für Fahrgäste, die irgendwann unterwegs ein- und/oder austeigen und von unten nach oben (oder umgekehrt) gelangen müssen. Oder: Zukünftig ca. eine knappe Viertelstunde vom Bilker S-Bahnhof zum S-Bahnhof Wehrhahn mit der U-Bahn oder jetzt 7 Minuten mit der S-Bahn.
Pünktliche Züge werden im Tunnel fahren, aber das dichte Netz der Straßenbahnlinien wird verloren gehen: Anhand der Abbildung kann nachvollzogen werden, welche Verbindungen durch den Tunnelbau gekappt werden. Was hilft es, wenn in dem geplanten Tunnel vier Linien in fast 3-minütigem Abstand verkehren, aber viele direkte Verbindungen verloren gehen oder - wenn überhaupt - durch aufwendigere Umstiegspunkte (Tunnel/Erdoberfläche) ersetzt werden. Das gut ausgebaute Straßenbahnnetz Düsseldorfs wird mit dem U-Bahn-Bau im wesentlichen auf zwei Strecken reduziert. So erklärt sich auch die fantastische Annahme von Fahrgastzuwächsen in Höhe von 50 Prozent auf dieser Strecke: Wenn viele andere Verbindungen nicht mehr existieren (wie z.B. die 701 auf der Corneliusstraße) bleibt vielen nichts anderes übrig, als sich als Fahrgastzuwachs deklarieren zu lassen.
Wie erwähnt werden an vielen Punkten in der Innenstadt die Wege zu den Haltepunkten der Bahnen länger, und weil die Bahn im Tunnel fährt, kann auch nicht mehr das Straßengeschehen beobachtet werden. Dies heißt, dass viele kurze Wege am Rande der City entfallen werden zugunsten eines höheren Besucherstroms in die City (Altstadt und Schadowstraße). Die dortigen FilialbetreiberInnen der Einzelhandelsketten werden sich sicherlich freuen, nicht aber diejenigen in der City-Süd (Friedrichstraße). Denn wer einmal in der U-Bahn sitzt, sieht nichts mehr, was ihn oder sie anregen könnte. Auch wird man sich wegen eines Einkaufes nicht 3 Minuten aus der U-Bahn-Station heraus bemühen, um sich kurze Zeit später wieder 3 Minuten in den Untergrund zu bemühen. Dies hat die dortige Interessengemeinschaft mittlerweile auch gemerkt und protestiert heftig gegen den U-Bahn-Bau.
In ihren Zombie-Animationsbemühungen sprechen die PolitikerInnen nur ungern über die Bauzeit ihrer Wahnvorstellungen: Mindestens niedliche zwölf Jahre soll sie betragen. Und oben soll vom Bauverlauf ebensowenig gespürt werden wie in Oberbilk, Schildbauvertriebstechnik sei Dank! Mit einem Super-Bohrer wird sich zwar super durchs Erdreich gebohrt, ohne dass das jemand merken würde - müssten nicht noch Haltestellen gebaut werden. Diese werden trotz Metropolenträumen nicht im metropolenartigen U-Bahn-Abstand von mindestens 1.500 m gebaut, sondern im kleinstadtmäßigen Straßenbahnabstand von knapp 500 m - mehr würde für Düsseldorf auch keinen Sinn machen. Und da wir in einer Zivilisation wohnen, die wichtige Infrastruktureinrichtungen, wie z.B. Wasserleitungen und Stromkabel, aus Sicherheits- und Ästhetikgründen unterirdisch verlegen lässt, liegen diese Leitungen und Kabel leider dem Super-Bohrer im Weg und müssen ausgegraben und neu verlegt werden. Also, alle paar hundert Meter: Zombie-Alarm.
Gegen diese Politik von vor-vor-gestern naht Abhilfe. Umweltverbände haben nun in Zusammenarbeit mit den Bündnisgrünen ein Bürgerbegehren gegen den Bau der sogenannten Wehrhahnlinie gestartet. Das Bürgerbegehren richtet sich gegen den Beschluss des Rates der Stadt Düsseldorf vom 19. August dieses Jahres, die sogenannte Wehrhahnlinie - neben für sinnvoll erachteten Maßnahmen - als durchzuführende Maßnahme für den Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV)-Ausbauplan 2004 des Landes Nordrhein-Westfalen vorzuschlagen. Die rot-grüne Landesregierung wird im Januar 2000 über die einzelnen Vorschläge der Kommunen für den ÖPNV-Ausbauplan beraten und zur Realisierung ausgewählter Maßnahmen pro Jahr ca. 1 Mrd. DM bis 2004 landesweit ausschütten.
Gegen derartige Beschlüsse des Rates können BürgerInnen ein Bürgerbegehren beantragen. Hierfür müssen mindestens 10 Prozent der Kommu-nalwahlberechtigten diesem Begehren spätestens drei Monate nach der erfolgten Beschlussfassung zustimmen. Bei der letzten Kommunalwahl am 12. September waren 441.829 Menschen wahlberechtigt (einschließlich 16-jährige und EU-Bürger-Innen), also müssten 45.000 Unterstützungsunterschriften am 18. November reichen, um einen Bürgerentscheid zu erzwingen, in dem dann über den Bau der Wehrhahnlinie in einer Wahl entschieden wird.
Dies ist eine hohe Hürde, aber sie sollte auf jedem Fall übersprungen werden, um dem Zombie ein endgültiges Ende zu bereiten. Dieses schöne viele Geld könnte für viel sinnvollere Verkehrsprojekte ausgegeben werden, wie zum Beispiel weitere Straßenbahnbeschleunigungsvorhaben; großzügige und kundInnenfreundliche Halte-stellen-überdachungen am Wehrhahn, Jan-Wellem-Platz oder Bilker Bahnhof; neue Straßenbahnlinien wie zum Beispiel die von den Bündnisgrünen vorgeschlagene Strecke vom Flughafen über die Messe, über den Rhein nach Lörick bis zum Neusser Hbf (die Strecke steht mit ca. 350 Mio. Kosten in der beschlossenen Vorschlagsliste im ÖPNV-Ausbauplan); Regionalverkehrsausbau in S-Bahn ähnlicher Qualität nach Vorbild der Regio-Bahn zum Beispiel vom Hauptbahnhof über Flingern, Grafenberg, Ratingen-West, Lintorf nach Duisburg oder die S-Bahn-Stationen und -Bahnhöfe nutzerInnen-freundlich ausgestalten und vieles andere mehr.
Für derartige - relativ günstige und breitgestreute - Projekte wäre dann auch die nächsten Jahre Geld da, was sonst in einem recht unsinnigen Projekt auf einmal verballert würde. Solche vielen "kleine Projekte" würden zwar nicht die Geltungssucht von autofahrenden Machos befriedigen, aber zu einer kleinen Verkehrswende in Düsseldorf beitragen, so dass den öffentlichen Nahverkehr in Düsseldorf und Umgebung zu benutzen durchweg sinnvoll wäre und Spaß machen würde. Eine Verkehrswende, die die PendlerInnenhochburg Düsseldorf (ca. 205.000 EinpendlerInnen pro Werktag) auch bitter nötig hätte und den zahlreichen autofreien Haushalten in der Stadt (mindestens 40 Prozent in Düsseldorf) ihr Recht auf Bewegungsfreiheit in der Stadt zukommen lassen würde.
MARCUS
Infos und Unterschriftenlisten: Koordinationskreis Bürgerbegehren Info-Telefon: 16 46 46 0
Faxabruf: 99 22 56
Internet: http://wehrhahnlinie.de
Anmerkung: Die Rheinbahn überlegt mittlerweile, eine dritte Tunnelrampe hinter dem Bilker Bahnhof für die 712 einzuplanen (Die Kosten der Rampe sind aber nicht in den 1,27 Mrd. DM enthalten). Desweiteren wird in Reaktion auf die U-Bahn-Pläne überlegt, die 701 von Eller (auf dem bisherigen Linienweg der 715) über die Innenstadt nach Rath zu führen und die 715 von ihrem alten Weg von Unterrath ab dem Graf-Adolf-Platz zum Südfriedhof fahren zu lassen.
Grafik: VCD-Kreisverband Düsseldorf