Ein neues Türschild für Dr. Sohl

Der Wirbel um den am 13. November 1989 in Düsseldorf verstorbenen Ex-Nazi Dr. Hans-Günther Sohl hält auch mehr als 25 Jahre nach seinem Tod an. Düsseldorf streitet um die Frage, ob eine Straße weiterhin seinen Namen tragen soll.

Zwei Erbstücke hat Dr. Hans-Günther Sohl der Stadt hinterlassen: Ganz versteckt die verriegelte und vergammelte Villa auf dem 40.000 qm großen Grundstück Am Gartenkamp 12 (Stadtbezirk 7). Nur ein winziges Namensschild am Briefkasten verrät: Hier wohnte „Dr. Sohl“. Größer dagegen die Straßenschilder „Hans-Günther-Sohl-Straße“ (Eingeweit am 29. April 1991), die die Verbindung zwischen Grafenberger Allee und Cranachstraße öffentlich sichtbar kennzeichnen. Wenigstens seit dem vergangenen Jahr sind die Schilder ins Gerede gekommen.

Ähnlich wie anderenortes die Fritz-Thyssen-Straße oder manche Hindenburg-Straße hätte man Sohl lieber nicht länger im Straßenbild. Ein hochrangiger Nazi-Funktionär – das kommt nicht mehr so gut an. Da hilft es auch nicht, dass auch Dutzende von anderen Nazigrößen aus Wirtschaft, Justiz und Politik ohne Schwierigkeiten den Sprung vom Dritten Reich ins Nachkriegsdeutschland geschafft haben. Aber nicht nach jedem ist eine Straße benannt worden.

In einer kleinen, gezielten Aktion machten Vertreter von SDAJ und DKP darauf aufmerksam, wer in der Villa mit der Adresse Am Gartenkamp 12 in Düsseldorf gewohnt hat: Auf dem Schild des Briefkastens steht weitgehend verwittert „Dr. Sohl“. Der Zugang zum 40.000 qm großen Grundstück ist mit einem einfachen Vorhängesicherheitsschloss und ein paar Kabeln verschlossen, so dass die Villa nicht mehr ohne weiteres betreten werden kann.

Damit deutlich wird, wer hier bis zu seinem Tod gewohnt hat, wurde bei der Aktion ein kleines Zusatzschild am Gartentor angebracht: „NS-Wehrwirtschaftsführer/NSDAP 1933 – 1945“. Gemeint ist der Ex-Nazi Dr. Hans-Günther Sohl (NSDAP-Eintritt: 1. Mai 1933), deutlich mehr im Rampenlicht als Vorstandsvorsitzender der Thyssen AG und Vorsitzender des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI).

Sohl war 1945 von den Alliierten verhaftet worden und zuletzt bis 1947 im Lager Eselsheide bei Paderborn interniert. Eselsheide liegt ganz in der Nähe des NS-Lagers von Stukenbrock, aus dem die Kohlebarone des Ruhrgebiets ihre Zwangsarbeiter*innen für die „Vernichtung durch Arbeit“ rekrutierten. Nach seiner Entlassung machte der Ex-Nazi eine kometenhafte Karriere in der westdeutschen Stahlindustrie. Die erste Große Koalition zeichnete Sohl 1969 mit dem „Großen Verdienstkreuz mit Stern“ aus. 1973 kam der Orden mit Schulterband hinzu (Bundeskanzler: Willy Brandt). Japan, der Verbündete aus der Nazizeit und Handelspartner nach 1945, überreichte Sohl im Jahr vor seinem Tod den „Orden des Heiligen Schatzes“.

Die Stadt Düsseldorf ehrte ihren „bedeutenden“ Sohn mit einer „Hans-Günther-Sohl-Straße“. Die Schriftzeile an der Gartentür hatte die DKP vor Monaten zunächst als Zusatzinformation an das Straßenschild in Flingern montiert. Auf Verlangen der die Aktion begleitenden Polizist*innen und mit einer Bestätigung des Polizeipräsidenten musste das Zusatzschild wieder entfernt werden. Nun hat es einen „würdigen“ Platz am Gartentor zur Sohl-Villa gefunden.

Am Dienstag, 26. April (nach TERZ-Redaktionsschluss), steht der Tagesordnungspunkt „Umbenennung der ,Hans-Günther-Sohl-Straße’ auf der Tagesordnung der Bezirksvertretung 2. Es soll untersucht werden, ob es diesen Straßennamen weiterhin geben soll. Die DKP hatte an anderer Stelle angeregt, die Straße nach einem Opfer der NS-Diktatur zu benennen. Das könnte Willy Kutz (geb. vor 100 Jahren am 27. März 1916) sein, der als junger Kommunist in diesem Umfeld gegen die Nazis aktiv war, verhaftet und dem Strafbataillon 999 zugewiesen wurde.

So manches Hindenburg-Straßenschild verschwand inzwischen in der Versenkung – sogar in Düsseldorf. Hitlers Steigbügelhalter war nicht mehr en vogue. Manchmal halten sich alte Nazis allerdings länger im Straßenbild. So ist Bad Segeberg nicht nur wegen seiner Karl-May-Festspiele bekannt. Die Stadt in Schleswig-Holstein hat, und das ist weniger bekannt, eine „Dr.-Helmut-Lemke–Straße“. Gleich neben dem Theodor-Heuss-Ring. Der eine, Heuss, wurde 1949 Bundespräsident. Am 23. März 1933 hatte er Hitlers „Ermächtigungsgesetz“ zugestimmt. 1957 bekam die „Nordbrücke“ in Düsseldorf seinen Namen. Auch Lemke wurde als ehrenwert erachtet. Er war Mitglied der NSDAP und mit dieser Parteinadel zunächst Bürgermeister von Eckernförde und acht Jahre lang Bürgermeister von Schleswig. Aus dem NSDAP-Bürgermeister wurde der stellvertretende CDU-Bürgermeister von Lübeck, der CDU-Landtagsabgeordnete, CDU-Minister und CDU-Ministerpräsident. Damit ist Sohl wahrhaftig nicht der einzige Ex-Nazi, nach dem eine Straße benannt worden ist.

Die Frage steht: Wie bekommt die Bezirksvertretung 2, die Sohl der Ehre wert fand, eine Straße am ehemaligen Thyssen-Trade-Center nach dem Stahl-Baron zu benennen, die Kuh wieder vom Eis? Die Forderung der Linkspartei in der BV 2 oder der Düsseldorfer DKP, den Namen sofort auszutauschen, wurde abgelehnt. Aber eine diplomatische Hilfskonstruktion wurde mit dem Votum von SPD und Grünen durchgesetzt. Es sollte geprüft werden, ob Sohl immer noch als Namenspatron geeignet erscheine. Mit diesem Antrag war es gelungen, die Nazi-Vergangenheit Sohls ans Tageslicht zu holen. Die CDU tobte: Schon 1991 hätte man erkannt, dass Sohl über eine Reputation verfügt habe, die ihn als Namensspender wünschenswert erscheinen lassen.

Das war überheblich oder – im besten Fall – naiv. Denn zum Zeitpunkt der Namensverleihung waren die Sohl-Akten in den verschiedenen Archiven noch gar nicht zugänglich. Die Sohl-Freund*innen hätten sich da schon bemühen müssen, statt dicke Backen zu machen. Dann hätten sie einräumen müssen, dass sie weder im Düsseldorfer Stadtarchiv, im Landesarchiv NRW noch im Bundesarchiv Zutritt bekommen hätten. In § 7 des NRW-Archivgesetzes heißt es zu den Schutzfristen, dass es unterschiedliche „Sperren“ gibt: 30 Jahre oder 60 Jahre für Archivgut, „das besonderen Geheimhaltungsvorschriften unterliegt“. Mit Bezug auf Sohl endete die Schutzfrist „zehn Jahre nach dem Tod“. Da Sohl im November 1989 gestorben war, konnte es 1991 noch gar keinen Aktenzugang geben. Erste Zugangsmöglichkeit wäre 1999 gewesen.

Wenn demnach 1991 von den Verehrer*innen des Ex-Nazis und Industriemagnaten trotzdem Zustimmung bekundet wurde, dann war das keine wissenschaftlich abgesichertes Statement, sondern eine politische Forderung, die sicherlich auch ein Stück Rehabilitierung bringen sollte.

Ungeachtet der Frage, ob und wie schnell Sohl den Sprung von der NSDAP in eine andere Partei geschafft hatte, blieb seine durchgehende Verwobenheit in Politik, in die Konzerne und Institutionen, die sich auch nach 1945 um eine Montan-Vorherrschaft wenigstens im westlichen Teil Europas bemühten. Und das nicht ohne Erfolg. Mit Beziehungen zu Konrad Adenauer sowie dessen Duzfreund, dem Banker Robert Pferdmenges, und weiteren interessierten Kreisen in den USA verhinderte Sohl die Demontage der August-Thyssen-Hütte in Duisburg-Hamborn. Die Vereinigten Stahlwerke standen unter der Regie von Sohl vor der Niederwerfung des Nazi-Regimes für Rüstungsindustrie, für Expansion, für Zwangsarbeitseinsatz. Diese Kapitalkonstruktion blieb nach 1945 erhalten. Unter Sohl wurde Thyssen zum größten Stahlkonzern Europas und zum zweitgrößten weltweit. Auch bündelte Sohl die differenzierten Einzelkapital-Interessen. Er war Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI). CDU und FDP hätten vielleicht sagen mögen: Er war einer von uns. Da mutet die Größe der Straße, die nach ihm benannt wurde, fast schon etwas mickrig an.

Sohl war schließlich nicht nur im Stahlbereich eine prägende Größe. Er war „vernetzt“: Aufsichtsrat in der Allianz Versicherungs AG, Berliner Kraft- und Licht AG, Demag, Dresdner Bank, Gelsenkirchener Bergwerks AG/Gelsenberg AG, RWE, Siemens AG, Deutsche Bundesbahn, Protektionist von Hans-Martin Schleyer (BDI und BDA).

Da, wo jetzt modernistische Bürobauten in den Himmel ragen, sah die Welt in der Nazi-Zeit anders aus. Zwangsarbeitslager bestimmten das Bild. Die Kriegsproduzenten benötigten Arbeitskräfte, Zwangsarbeiter*innen, denn auch die Thyssen-Arbeiter waren vielfach an die Fronten geschickt worden. Geradezu zynisch mutet es an, wenn die Straße des geehrten Sohl ausgerechnet durch ein Gelände führt, wo die Arbeiter*innen, die er auspressen ließ, zusammengepfercht wurden, zum Beispiel im KZ-Außenlager „Berta“, das dem KZ Buchenwald unterstand. Nach einem Gutachten der Mahn- und Gedenkstätte Düsseldorf gab es acht weitere „mittlere und größere Zwangsarbeiterlager, die in einem Umkreis von maximal 100 Metern um die heutige H.-G.-Sohl- Straße herumlagen und in denen ebenfalls rüstungsrelevante Produktion stattfand.“ Für den Personaleinsatz war Sohl verantwortlich.

Wussten das die Namensbefürworter*innen aus den Reihen von CDU und FDP nicht? Oder sollte hier Geschichtsklitterung betrieben werden?

Ganz anders die Schlussbemerkung der Gutachter Dr. Bastian Fleermann und Dr. Peter Henkel: „Zum jetzigen Zeitpunkt erinnert weder ein Straßenname oder ein Mahnmal an die tausende Häftlinge, die im Lager ’Berta’ oder in benachbarten Lagern arbeiteten und starben.

UWE KOOPMANN