Linksradikales Lesebuch

Lektüreeindrücke aus dem Alpenland

Die österreichischen Bundespräsidentschafts-Wahlen von April und Mai 2016 haben eine deutliche Sprache gesprochen: Rechtsaußen ist nah dran, mehr als die Hälfte der Wählenden im Alpenland Österreich hinter sich zu haben. Vielleicht müssen Analysen und Denkanstöße zu einer neuen Linken hier die nötigen Antworten dafür bieten, wie dem Vormarsch der extremen Rechten vom Rand bis in die Mitte nicht erst an der Wahlurne das Wasser abzugraben ist. Für hiesige Verhältnisse in AfD-Kaltland könnte der ein oder andere Ansatz für die Zukunft brauchbar sein. Schließlich stehen die nächsten Wahlen im kommenden Jahr auch in NRW ins Haus. Und da könnten Konzepte für eine solidarische, antikapitalistische und antifaschistische Zukunft durchaus gefragt sein.

Und ausgerechnet in eben jenem April 2016 ist es erschienen, dieses Buch aus dem österreichischen mandelbaum-Verlag, das unter dem Titel „Alle Verhältnisse umzuwerfen ... Gespräche und Interventionen zu Krise, globaler Bewegung und linker Geschichte“ eine Reihe von wort- und konzeptstarken Menschen in Interviews und Notizen zu Wort kommen lässt. Im Titel nehmen die Herausgeber Bezug auf Karl Marx‘ Sentenz vom „kategorischen Imperativ, alle Verhältnisse umzuwerfen“, wenn Knechtschaft der Freiheit des Menschen entgegenstehe und der Mensch sich selbst noch genug wert sei, den radikalen Umsturz zu wagen. Und um das „Wie“ dieses Umwerfens geht es den Autor*innen und Gesprächspartner*innen, deren Positionen der Sammelband zu einem knapp 300 Seiten starken Buch zusammenbindet. Interviews und Gesprächsnotizen mit Denker*innen und Beobachter*innen klopfen hier die Impulse einer globalen linken Bewegung und die Chancen linker Antworten zu Krise und Entsolidarisierung in aktueller und historischer Perspektive auf ihre Interventionstauglichkeit hin ab.

Wahlergebnisse spielen bei der Entstehung des Bandes allerdings auch eine nicht unerhebliche Rolle. Denn seit 2005 ist die Kommunistische Partei Österreichs (KPÖ) wieder im Landtag der Steiermark vertreten – nach 35 Jahren Pause.

Damit verbunden ist auch, dass die Partei in ihrer finanziellen Ausstattung seitdem wiederum ein wenig Geld in die Bildungsarbeit, vor allem in Graz, stecken kann.

Aus Anlass dieses zehnjährigen Jubiläums haben die zwei jungen postautonomen Bildungsreferenten zusammen mit einem älteren Kader eine „Festschrift“ herausgegeben. Die 16 Beiträge bestehen vor allem aus Interviews mit undogmatischen, radikalen Linken: Bini Adamczak vergleicht im Interview höchstspannend die Jahrhundertsignaturen 1917 und 1968, Raul Zelik den gesellschaftlichen Prozess und die Partei und Martin Birkner vom mandelbaum Verlag berichtet über Lesen, Politisieren und vom Büchermachen. Die Historiker David Mayer und Berthold Molden weisen auf die Bedeutung von „Geschichte“ hin. Die Interpretation der Vergangenheit zeige, dass Wandel und Alternativen möglich waren, und es somit auch heute noch sind.

Kühberger und Stuhlpfarrer reflektieren über ihre konkrete Bildungsarbeit, plädieren für einen erweiterten Bildungsbegriff, der zum Handeln ermächtigt. Aber auch ihnen ist klar, dass selbst kritische Bildungsarbeit die Lern- und Ermächtigungsprozesse nicht ersetzen kann, die durch das Handeln im öffentlichen Raum angestoßen werden. Eine These, die an das alte Bonmot der Arbeiterbewegung erinnert, nichts könne das Lernen in und durch einen Streik ersetzen.

Mit diesem Band liegt eine interessante Sammlung lesenswerter Texte vor, die einen Einblick in ausgewählte Denktraditionen und Themenfelder einer modernen Linken geben. Ein Einblick, der Differenzen, etwa in der „Europapolitik“ oder der Reichweite von Parteipolitik benennt. Der die Differenzen aber auch nicht überhöht, da die Hoffnung besteht, dass eine Verständigung und eine Kooperation über Unterschiede hinweg möglich, wenn nicht gar dringend nötig sind.

Zum Schluss bleibt nur, Raul Zelik zuzustimmen: Linke (Gegen-)Macht speist sich nicht aus Regierungen, sondern vor allem aus der Fähigkeit von Menschen zu kollektiver Kreativität. Diese ist zugleich Resultat und Ausgangsbedingung von Protest und Ungehorsam. Hier kann dann Bildungsarbeit eine Rolle spielen. Auch und gerade, um Wege zu finden, gemeinsam die Verhältnisse auf den Kopf zu stellen.

BERND HÜTTNER

Ernest Kaltenegger/Leo Kühberger/Samuel Stuhlpfarrer (Hg.): Alle Verhältnisse umzuwerfen… Gespräche und Interventionen zu Krise, globaler Bewegung und linker Geschichte; mandelbaum Verlag, Wien 2016, 270 S., 19,90 EUR