TERZ 06.16 – FH-SEITE
56 Jahre war Marika Venezia aus Rom mit Shlomo Venezia verheiratet und teilte sein Schicksal und Trauma mit ihm. Ihr Ehemann, ein Jude italienischer Abstammung, der im griechischen Saloniki aufwuchs und am 1. Oktober 2012 im Alter von 88 Jahren in Rom verstarb, war einer der wenigen überlebenden Häftlinge aus dem jüdischen „Sonderkommando“ von Auschwitz-Birkenau. Er überlebte auch die Todesmärsche kurz vor dem Ende des 2. Weltkrieges und wurde letztendlich am 6. April 1945 im KZ Ebensee, einem Außenlager des KZ Mauthausen, befreit. Doch die Zeit in Birkenau blieb für ihn – und damit auch für Marika Venezia – präsent: „Was ich auch tue, was ich auch sehe, mein Geist kehrt immer wieder an diesen Ort zurück. Man kommt nie mehr wirklich aus dem Krematorium heraus.“
Die vom Antifaschistischen Arbeitskreis an der FH-D seit 2002 mitveranstaltete Reihe „INPUT – antifaschistischer Themenabend“ hat Marika Venezia für den 29. Juni nach Düsseldorf eingeladen. In einem Gespräch mit Roland Vossebrecker vom „Bildungswerk Stanislaw Hantz e. V.“ wird sie ab 20 Uhr im Club des Kulturzentrums ZAKK auf der Fichtenstraße über ihre Zeit mit Shlomo Venezia berichten.
Die Häftlinge des „Sonderkommandos“ wurden von der SS dazu gezwungen, die Menschen in die Gaskammern zu führen, die Leichen auszuplündern und diese anschließend zu verbrennen. Die SS setzte jüdische Häftlinge für diese Aufgabe ein, nicht nur, um ihre eigenen Leute nicht einer psychischen Belastung auszusetzen. „Juden mussten es sein, die die Juden in die Verbrennungsöfen transportierten, man musste beweisen, dass die Juden, die minderwertige Rasse, die Untermenschen, sich jede Demütigung gefallen ließen und sich sogar gegenseitig umbrachten“, so der Auschwitz-Überlebende Primo Levi. Angehörige des „Sonderkommandos“ wurden vom übrigen Lagerkomplex isoliert in den Krematoriumsgebäuden untergebracht. Diese Maßnahme sowie die Ermordung und der Austausch von Häftlingen des „Sonderkommandos“ dienten dazu, den Massenmord möglichst lange zu vertuschen. Nur wenige Angehörige des „Sonderkommandos“ überlebten, neben ihren Berichten wurden in der Nachkriegszeit auf dem Lagergelände auch versteckte Aufzeichnungen gefunden, die das grausame Mordgeschehen dokumentierten und von später ermordeten Häftlingen des „Sonderkommandos“ als Akt des Widerstands hinterlassen worden waren. Am 7. Oktober 1944 kam es zu einem Aufstand des „Sonderkommandos“, bei dem drei SS-Männer und ein Kapo getötet, zwölf SS-Männer verletzt und Teile des Krematoriums IV und der dazugehörigen Gaskammer zerstört wurden. Weibliche Häftlinge hatten den benötigten Sprengstoff aus einer Munitionsfabrik, in der sie Zwangsarbeit verrichteten, ins Lager geschmuggelt. Doch die Fluchtversuche der Häftlinge im Rahmen des Aufstands scheiterten, 450 Angehörige des „Sonderkommandos“ wurden getötet, Unterstützer*innen hingerichtet. Kaum eine/r von ihnen hatte tatsächlich an ein Überleben zu hoffen gewagt, der Aufstand war ein Akt des Widerstands und der Selbstbehauptung sowie ein Versuch, möglichst vielen anderen Häftlingen das Leben zu retten. Und er hatte auch den „nicht-jüdischen Schicksalsgenossen gezeigt, was Juden zu tun vermochten“, so Israel Gutman. Durch ihre Aktion hatten die Männer des Sonderkommandos und ihre Unterstützer*innen die sich für unbesiegbar haltende Mordmaschinerie des NS ins Wanken gebracht, anderen Häftlingen Mut gemacht und wahrscheinlich vielen zum Überleben verholfen.
29. Juni 2016, 20 Uhr, ZAKK (Club), Fichtenstraße 40
Die INPUT-Veranstaltung des Antifa-AK, der AG INPUT, des Antirassistischen Bildungsforums Rheinland (ABR) und der Düsseldorfer „Falken“ findet in deutscher Sprache und in erweiterter Kooperation mit dem Arbeitskreis Gedenkstättenfahrt, dem Projekt „Erinnerungs- und Lernort“ des AStA der FH-D, dem „Erinnerungsort Alter Schlachthof“ der Hochschule Düsseldorf, dem Bildungswerk Stanislaw Hantz e.V., dem Buchladen BiBaBuZe, der Kreisvereinigung Düsseldorf der VVN-BdA und dem Kulturzentrum ZAKK statt.
Literaturtipps:
Günter Born: „‚... die Angst weggeschoben‘. Vor 70 Jahren: Der Aufstand des jüdischen ‚Sonderkommandos‘ in Auschwitz-Birkenau“. In LOTTA #57, Herbst 2014, S. 52 ff..
Shlomo Venezia: Meine Arbeit im Sonderkommando Auschwitz. Das erste umfassende Zeugnis eines Überlebenden, München 2008 (2. Auflage).
Bildungswerk Stanislaw Hantz e.V. (Hrsg.): Nur die Sterne waren wie gestern. Henryk Mandelbaum. Häftling im Sonderkommando von Auschwitz 1944/1945, Ausstellungskatalog, Kassel 2006.
Gideon Greif: „Wir weinten tränenlos...“ Augenzeugenberichte des jüdischen „Sonderkommandos“ in Auschwitz, Frankfurt am Main 2005 (6. Auflage).
Gideon Greif / Itamar Levin: Aufstand in Auschwitz. Die Revolte des jüdischen „Sonderkommandos“ am 7. Oktober 1944, Köln 2015.
Eric Fiedler / Barbara Siebert / Andreas Kilian: Zeugen aus der Todeszone. Das jüdische Sonderkommando in Auschwitz, München 2005 (ungekürzte, aktualisierte Ausgabe)
Staatliches Museum Auschwitz-Birkenau: Inmitten des grauenvollen Verbrechens. Handschriften von Mitgliedern des Sonderkommandos, Oświęcim 1996.
INPUT findet an jedem letzten Mittwoch im Monat statt. Nach den Sommerferien geht es Ende August 2016 weiter.