TERZ 06.16 – AM PRANGER
In Düsseldorf gibt es zwei bekannte Politanalysten, die eines verbindet: Sie haben mit der DKP nichts am Hut. Der eine ist Dr. Ulrich von Alemann, emeritierter Professor der Heinrich-Heine-Universität (HHU). Er vertrat das Fach Politikwissenschaften. Der andere ist Ulli Tückmantel (49), seit 2014 Chefredakteur der Westdeutschen Zeitung (WZ). Beide Männer haben aber – wie die DKP – ein Problem: Sie sehen die Demokratie in den Rathäusern von NRW durch eine geplante Sperrklausel bei den Kommunalwahlen bedroht.
Tückmantel überschrieb seinen Bericht über die angestrebte Einschränkung des Wahlrechts im Rahmen einer Verfassungsänderung mit der Überschrift „SPD, CDU, Grüne: Weniger Demokratie wagen“. Prof. von Alemann äußerte im „Morgenmagazin“ des Westdeutschen Rundfunks, dass „die Demokratie eine ganz mühselige Staatsform“ sei, wenn es um die Dauer von Entscheidungsfindungen gehe. Provokativ gab er zu verstehen, dass in einer Diktatur ohne Parteienvielfalt alles viel schneller gehe, da werde man nicht mehr aufgehalten. Solche Verhältnisse wolle er nicht. Vielmehr sei die Gleichheit der Stimme, die Gleichheit der Wahl, ein sehr hohes Gut.
Unliebsame Konkurrenz auf der kommunalen Ebene konnten sich CDU, SPD und Grüne bis 1999 durch die Fünf-Prozent-Sperrklausel vom Hals halten. Das NRW-Verfassungsgericht kassierte diese Einschränkung am 6. Juli 1999 als verfassungswidrig. Eine neue Hürde schrieb das Gericht nicht vor. Die demokratische Folge: Wer die für einen Sitz im Rathaus notwendigen Stimmen bei der Wahl bekam, der erhielt auch den entsprechenden Sitz im Rathaus. Das war bei der letzten Kommunalwahl 2014 der Fall. Das soll sich nun ändern: 2,5 Prozent der Stimmen sollen in Zukunft nötig sein, um einen Sitz zu bekommen. Die durch die Hürde „eingesparten“ Sitze könnten CDU, SPD und Grüne für sich in Anspruch nehmen.
Begründung für die Sperrklausel im gemeinsamen Gesetzesentwurf von CDU, SPD und Grünen: Die „volle Handlungsfähigkeit“ der Räte und Kreistage sei „in hohem Maße gefährdet, da die stark gestiegene Zahl von Einzelmandatsträgerinnen und -trägern und nicht fraktionsfähigen Gruppen deren Arbeit behindern und teilweise erheblich erschweren“. Große Gefahren für die Demokratie wurden durch die Praktizierung der Demokratie an die Wand gemalt: „Als Folge können sich Tagesordnungen und Sitzungen in einem unvertretbaren Maß in die Länge ziehen. Dies erweist sich als großes Hindernis für eine nachhaltige und konstruktive politische Arbeit und als eine ernstzunehmende Beeinträchtigung für die effektive Wahrnehmung der den Kommunen obliegenden Aufgaben.“ Sogar der kommunalpolitische GAU wird beschworen: „In bestimmten Fällen droht hier sogar die faktische Handlungs- und Funktionsunfähigkeit der kommunalen Vertretung.“ Gefordert wird, dass die Sitzungen „stringent und ergebnisorientiert durchgeführt werden“.
Beobachter*innen etwa von Bezirksvertretungssitzungen fragen sich, in wessen Interesse „stringent und ergebnisorientiert“ diskutiert und beschlossen werden soll. Regelmäßig kommen zum Beispiel Bauanträge und Anfragen auf die Tagesordnung, bei denen Investoren die Grenzen von Bebauungsplänen im Interesse einer höheren Kapitalverwertung überschreiten wollen. Kontroverse Debatten, kritische Anmerkungen oder die Aufdeckung von Kapitalinteressen sind da nur lästig. Politikinhalte, die nicht vom Mainstream von CDU und SPD, von Grünen und FDP abgedeckt werden, sind lästig. Nicht die Sitzungsdauer ist das Problem.
Als Gipfel der Unbequemlichkeit wurde auf Duisburg verwiesen, wo eine Ratssitzung einmal 14 Stunden dauerte. Auf Nachfrage bestätigte das Presseamt der Stadtverwaltung, dass diese Sitzungsdauer nicht der Regel entsprach, sondern einmalig war. Es geht auch in Duisburg nicht um die Zeit, sondern um die Zukunftsfähigkeit des Kapitalismus auf der kommunalen Ebene. Die Moderatorin des „Morgenmagazins“ sprach provokativ von einer „Überheblichkeit von CDU, SPD und Grünen“, wenn die kritisierten, dass eine Sitzung auch mal ein bisschen länger dauere.
Das soll nun anders werden. Der Stimmanteil einer Partei von weniger als 2,5 Prozent wird nicht mehr in Sitze umgerechnet. Diese Parteien werden im Rathaus ausgesperrt. Damit diese Strategie wasserdicht wird und nicht wieder – wie 1999 – scheitert, wird nicht eine einfache Wahlrechtsänderung, also mit einfacher Mehrheit, angestrebt. Vielmehr wird die Verfassung mit Zweidrittelmehrheit verändert. Damit wird die Rechtslage auch an dieser Stelle „stringent und ergebnisorientiert“. Und zwar bis in alle Ewigkeit: „Es handelt sich um ein verfassungsänderndes Gesetz. Von einer Befristung ist deshalb abzusehen.“
Die Umsetzung des neuen Gesetzes könnte zu schnelleren Entscheidungen in den Ratsversammlungen und in den Fachverwaltungen führen. Das läuft dann unter dem Stichwort „Effizienz-Steigerung durch Verschlankung der Hierarchien“ oder „Abbau von ‚Überregulierung’ – etwa im Umweltschutz – und Transparenzansprüchen (Stichwort: TTIP und die Kommunen)“. Diese Eingriffe sind nicht klassenneutral. Ausführlich hat sich in seiner Zeit Friedrich Engels dazu geäußert: Der Status quo in Deutschland, in: MEW Bd.4, S. 40ff.
Artikel 78 Absatz 1 der NRW-Landesverfassung soll nun folgende dubiose Ergänzung bekommen: „Die Räte in den Gemeinden, die Bezirksvertretungen, die Kreistage und die Verbandsversammlung des Regionalverbandes Ruhr werden in allgemeiner, gleicher, unmittelbarer, geheimer und freier Wahl gewählt. Wahlvorschläge, nach deren Ergebnis sich die Sitzanteile in den Räten der Gemeinden, den Bezirksvertretungen, den Kreistagen und der Verbandsversammlung des Regionalverbandes Ruhr bestimmen, werden nur berücksichtigt, wenn sie mindestens 2,5 vom Hundert der insgesamt abgegebenen gültigen Stimmen erhalten haben.“
Im Landtag bezeichnen CDU, SPD und Grüne ihren gemeinsamen Entwurf zum „Kommunalvertretungsstärkungsgesetz“ nicht schlicht im Sinne Merkels mit der Vokabel „alternativlos“. Hier lautet die Formel im vollständigen Satz: „Alternative Instrumente von aus der zunehmenden Zersplitterung resultierenden Funktionsbeeinträchtigungen sind nicht erkennbar.“
Die Fraktion der „Piraten“, die sich mehrfach vehement gegen die Sperrklausel („Demokratieabbaugesetz“) ausgesprochen hat, kündigte Verfassungsbeschwerde an. Auch Ralf Michalowski, Sprecher des NRW-Landesverbandes Die Linke, attestierte die Rechtswidrigkeit der geplanten Verfassungsänderung. Die Linke erwägt ebenfalls eine Klage. Michalowski rechnet für die juristische Klärung mit einem Zeitraum bis ins Jahr 2020. MdL Christian Dahm, kommunalpolitischer Sprecher der SPD-Landtagsfraktion, erklärte auf Anfrage: „Nach den Empfehlungen der Sachverständigen aus der Anhörung werden weitere Veränderungen diskutiert und ein Änderungsantrag zum Gesetz vorbereitet.“ Der liege noch nicht vor. Dahm rechnet damit „voraussichtlich erst Ende April / Anfang Mai.“ Mit der 2,5-%-Hürde würde auch ein Wunsch des NRW-Städtetages endlich Wirklichkeit. Der Vorstand des Spitzenverbandes hatte schon 2014 in Köln und erneut im Jahr 2015 behauptet, dass es zu einer „merklichen und fortwährend verstärkenden Zersplitterung der Räte und den, damit einhergehenden zunehmenden Verlust der vollen Handlungsfähigkeit der Räte und Kreistage“ gekommen sei.
MdL Henning Höne (FDP) nahm in der Sitzung des Kommunalausschusses am 8. April 2016 eine differenzierte Position zu der Sperrklausel ein. Er distanzierte sich von der Behauptung von CDU, SPD und Grünen, dass es durch eine zunehmende Zersplitterung eine Funktionsbeeinträchtigung der Kommunalvertretungen gebe. Um eine verfassungskonforme Sperrklausel einführen zu können, hätten die antragstellenden Parteien „einen eindeutigen (empirischen) Nachweis einer substanziellen Funktionsstörung anführen“ müssen. Ein solcher Nachweis sei aber nicht vorgelegt worden. Höne verwies dagegen auf „untergesetzliche Regelungen, die es Kommunen ermöglichen, mit den angeführten Missständen umzugehen“. Dazu gehören unter anderem die Anpassung der Ausschussgrößen, die Beschränkung von Rechten für Einzelmitglieder oder auch Möglichkeiten zur Bildung von Fraktionen. Nach Ansicht von Henning Höne sollten diese Instrumente im weiteren Beratungsverlauf stärker in den Fokus gerückt und diskutiert werden. Die Argumentation der FDP erinnerte an den Käfer, der zwischen Baum und Borke eingeklemmt ist.
Die DKP-Bezirke Ruhr-Westfalen und Rheinland-Westfalen unterstützen den Protest gegen das „Kommunalvertretungsstärkungsgesetz“. Sie werden das von CDU, SPD und Grünen angestrebte kommunalwahlpolitische „Demokratie-Monopol“ beim UZ-Pressefest demaskieren.
UWE KOOPMANN