Von Worten und Torten

Von Werfer*innen und zu verwerfenden Urteilen

Ein deutscher Richter begründet seine Einschüchterungsversuche gegen einen antifaschistischen Aktivisten mit der deutschen Geschichte. Mit der zurückgewiesenen Klage des Sarrazin-Tortenwerfers hat das Düsseldorfer Verwaltungsgericht (VG), einmal mehr seine politische Gesinnung offenbart. Doch der juristische Streit ist noch lange nicht vorbei, weder für Sarrazin noch für die Polizei. Der Werfer zieht vor das Oberverwaltungsgericht (OVG).

Was bisher geschah ...

Am 31.5.2016 war der Rechtspopulist Thilo Sarrazin in die Mayerische Buchhandlung in Düsseldorf eingeladen. Ein Aktivist, der rassistische Äußerungen, insbesondere wenn sie öffentlich vorgetragen werden nicht hinnehmen wollte, versuchte den Autoren mithilfe einer Torte als Menschenfeind zu markieren. Die Beleidigung in Form eines Tortenwurfes wurde von Sarrazins Personenschützer unterbunden und blieb somit eine versuchte Beleidigung. Trotz der süßen Verfehlung wurde die Botschaft „In Düsseldorf ist kein Platz für Rassismus“ erneut eindrücklich vermittelt. Dem Veranstalter sowie dem Rechtspopulisten wurde wieder einmal deutlich gemacht, dass stets mit Schwierigkeiten und unvorhersehbaren Aktionen zu rechnen ist.

Sarrazin schmeckte die cremige Intervention gar nicht. Er zeigte den Aktivisten wegen Körperverletzung an. Ein vollkommen absurder Vorwurf, wurde Sarrazins Körper doch weder verletzt, noch wurde dies versucht. Während die eingesetzten Polizist*innen vor Ort noch besonnen blieben und den Tortenwerfer lediglich mit einem Platzverweis des Hauses verwiesen, schienen Beamt*innen beim polizeilichen Staatsschutz über die Süßspeisen-Markierungsaktion verärgert zu sein. Die hoch motivierten Staatsschützer*innen ließen alles liegen und suchten den Aktivisten sofort am nächsten Morgen zu Hause auf. Sie hinterließen einen Brief, auf den sie stolz mit roten Lettern „persönlich eingeworfen“ schrieben. Die Briefwerfer*innen kündigten in ihrem Schreiben an, dass sie den Tortenwerfer unbedingt näher kennenlernen wollten.

Klage gegen ED-Behandlung

Doch das Verlangen der Briefwerfer*innen blieb einseitig. Statt den persönlich eingeworfenen Einladungen der Polizei nachzukommen, klagte der Aktivist gegen eine in einem Schreiben der Polizei angeordnete Erkennungsdienstliche (ED) Behandlung. In verschiedenen Briefen wurden verschiedene Maßnahmen angedroht. Darunter: Die Aufnahme von Fingerabdrücken, von Lichtbildern, von Handflächen-Abdrücken und von äußerlichen körperlichen Merkmalen. Maßnahmen, die vermuten lassen, dass es sich bei dem Aktivisten um einen Schwerverbrecher handeln könnte. Eine einfache Anordnung schien den Staatsschützer*innen zu wenig. Irgendein*e Tortenhasser*in hatte es ganz besonders eilig. „Ein besonderes öffentliches Vollziehungsinteresse überwiegt“ erklärte man und forderte eine sofortige Umsetzung der Maßnahmen, die bei Weigerung auch mit Zwang, also physischer Gewalt, umgesetzt werden sollten. Der junge Aktivist klagte so zunächst gegen die sofortige Vollziehung und in einem weiteren Antrag grundsätzlich gegen das Vorhaben einer ED-Behandlung. Die Klage gegen die sofortige Vollziehung wurde nun vom VG Düsseldorf zurückgewiesen.

Die Begründungen des Urteils sind hauptsächlich politischer Natur. Viele juristische Argumente des Anwaltes, der die Klage formuliert hatte, blieben hingegen unberücksichtigt. Stattdessen heißt es in dem Urteil: „Mit Rücksicht auf die historischen Erfahrungen in Deutschland gerade in der Zeit der Weimarer Republik ist es nicht tolerierbar, wenn die politische Diskussion auf der Straße und in der sonstigen Öffentlichkeit mit Gewalt und/oder Tortenwürfen ausgetragen wird. Schon die negative Vorbildwirkung von Tortenwürfen ist evident; danach fliegen Steine. Die Allgemeinheit hat ein Recht darauf, dass derartige Straftaten, egal von welcher politischen Seite sie verwirklicht werden, verfolgt und aufgeklärt werden“. Sofort springen uns verschiedene absurde Begründungen und Schlussfolgerungen ins Auge. Aber gehen wir Stück für Stück vor:

1. Deutscher Geschichtsunterricht

In dem Urteil wird lediglich auf die Weimarer Republik hingewiesen. Der gewaltsamste Teil, deutschen Geschichte, die NS-Zeit, bleibt hingegen gänzlich unkommentiert. Die linken Aktivist*innen der Weimarer Republik, die die Nazis mit aller Kraft versuchten aufzuhalten, sollten wir, insbesondere heute, wo wir den weiteren Verlauf der deutschen Geschichte nach der Weimarer Republik kennen, eher bewundern als ablehnen. Hätten sich damals alle so vehement gegen die Nazis gestellt, wer weiß was der Welt erspart worden wäre. Wer sich in Bezug auf die Weimarer Republik und auch auf die heutige Zeit lediglich auf Extremismus-Theorien bezieht (also rechtsextrem = linksextrem), spielt die Taten der Nazis herunter und verkennt den legitimen Protest gegen Rechts. In historischer Sicht wird dieser Protest heute sogar in der BRD gelobt und gefeiert, was beispielsweise im Zusammenhang mit den NS-Widerstandskämpfer*innen getan wird. Natürlich ist Thilo Sarrazin kein Nazi, den wir mit dem NS-Regime vergleichen könnten. Eine Torte ist aber eben auch kein Anschlag, was uns zum nächsten Punkt bringt.

2. Die gute alte Gewaltfrage

Der Verwaltungsrichter, der das Urteil verfasst hat, möchte, dass politische Diskussionen nicht mit Gewalt ausgetragen werden. Gerne können wir an dieser Stelle einmal über politische Diskussionen, die wirkliche gewaltsame Folgen haben sprechen: In Deutschland konnten - ignoriert und unterstützt von der Polizei und dem Verfassungsschutz - über Jahre Neonazis morden. Im Mittelmeer ertrinken Tausende Menschen, weil sie schlicht auf dem falschen Kontinent geboren sind: eine Folge rassistischer Gesetze und politischer Gewalt. Nach den aufgezwungenen griechischen Sparmaßnahmen ist die Säuglingssterblichkeit in Griechenland rapide gestiegen: eine tödliche und damit auch gewaltsame kapitalistische Folge politischer Diskussionen. Wir könnten so weiter machen und die Leichenberge politischer Gewalt über viele Seiten weiter ausführen. Sprechen wir darüber und ordnen in der Zwischenzeit die sofortige Vollziehung der Erkennungsdienstlichen Behandlung der Bundesregierung, Frontex und von allen Verfassungsschutzmitarbeiter*innen an. Und wenn sie nicht freiwillig kommen wollen? Ach ja! Einfach mal mit Gewalt durchsetzen! Einen Tortenwurf als Gewalttat zu bezeichnen und den Werfer wie einen Schwerverbrecher zu behandeln und gleichzeitig wirkliche Gewalttaten als rechtsstaatlich akzeptierte Formen von Gewalt zu tolerieren, sollte uns unsinnig erscheinen. Rechtsstaatliche Gewalt ist juristisch natürlich nicht entscheidend für das Verfahren gegen den Tortenwerfer. Doch das Urteil ist eben nicht nur juristisch, sondern auch politisch unsinnig.

Wir wissen, dass in Kinderfilmen und Komödien Menschen mit Torten beworfen werden – Kinder und Erwachsene lachen darüber. Steine werfen sie deshalb jedoch nicht, wie es in dem Urteil heißt. Die Berliner Zeitung Vice schrieb daher im Juni im Zusammenhang mit den Ereignissen in der Mayerischen Buchhandlung in Düsseldorf treffend: „Nach wie vor können diese nicht so süßen Überraschungen auch als eine Art Kunst verstanden werden – Aktionskunst, die politische Statements, Leichtathletik und das Konditoreihandwerk kongenial und meme-trächtig verbindet. Auch wenn diese Form von Kunst im wahrsten Sinne des Wortes trifft.“ Sehen wir Tortenwürfe also einfach einmal als das an, was sie sind: Als ein Mittel des zivilen Ungehorsames und des legitimen politischen Protestes und nicht als Ausdruck von Gewalt.

3. Straftaten aufklären

Mal abgesehen davon, dass juristisch noch geklärt werden muss, ob eine versuchte Beleidigung tatsächlich eine Straftat darstellt, wird diese in dem vorliegenden Fall durch eine ED-Behandlung nicht weiter aufgeklärt. Niemand bestreitet, dass der Aktivist an diesem Tag in der Mayerischen Buchhandlung versuchte, eine cremige Süßspeise zu werfen. Die Aufnahme von Fingerabdrücken und Ganzkörperaufnahmen werden wohl kaum neue Ermittlungserfolge erzielen. Die ED-Behandlung stellt somit lediglich einen Einschüchterungsversuch dar.

VG-Urteil verwundert nicht

Das VG Düsseldorf und sein Präsident Dr. Andreas Heusch sind in der Vergangenheit schon mehrfach rechtspolitisch aufgefallen. Eine „erzkatholische und antimuslimische Ideologie“ sei beim VG verbreitet, berichtete im vergangen Jahr das Bündnis Düsseldorf stellt sich quer. Die rassistische Gruppierung Dügida sei immer wieder hofiert worden. Sogar die „Neutralität als staatliche Einrichtung“ wurde vom Vorsitzenden des Aachener VG in Frage gestellt. Ein derart politisch motiviertes Urteil des VG Düsseldorf kommt somit also nicht unerwartet. Da das Urteil des VG Düsseldorf aber nicht nur politisch, sondern auch juristisch mehr als fraglich ist, wurde dagegen Beschwerde eingelegt. Nun wird sich das OVG mit der Angelegenheit beschäftigen müssen. Bereits im vergangenen Jahr musste das OVG mehrmals Dügida-freundliche Urteile einkassieren. Wir sind also gespannt über die anstehende Entscheidung und halten euch natürlich auch über einen noch anstehenden strafrechtlichen Prozess auf dem Laufenden.

SEE RED