TERZ 11.16 – REALITY CHECK
Am 6. Oktober hatte der Industrie-Club Düsseldorf hohen Besuch. Hier haben schon einige politische und geistige Größen den Mächtigen der Wirtschaft gesagt, was von ihnen praktisch und haltungsmäßig verlangt ist. Nun erinnerte sie Kardinal Woelki aus Köln an ihre menschliche Verantwortung.
Und der Kardinal begann mit einem echten Knaller: „Diese Wirtschaft tötet“, zitierte er den aktuellen Stellvertreter des Allmächtigen aus Rom, aber relativierte sofort. Der Kirchenchef habe natürlich nichts gegen die geordnete Marktwirtschaft, aber er warne vor den Auswüchsen des Marktes. Und die könne man nicht nur in entfernten Weltgegenden wie Lateinamerika beobachten. Auch in unseren Breitengraden sei das Lebensrecht vieler Menschen in Gefahr: „Wie bedroht dieses Grundrecht ist, zeigen Menschen, die auf der Flucht vor menschenunwürdigen Bedingungen genau solche vorfinden; und bisweilen versuchen Menschen genau das vor anderen zu verstecken, wenn sie vor Armut nicht wissen, wie sie oder ihre Kinder über den Tag kommen sollen; wenn sie nicht wissen, wo das Geld für den Schulausflug oder das Pausenbrot herkommen soll.“ Und dann ging Woelki in medias res und wagte einen polit-ökonomischen Hinweis zu seiner Beobachtung: „Auch die Art und Weise, wie wir hier in Deutschland wirtschaften, konsumieren und produzieren, hat Auswirkungen auf die Lebensmöglichkeiten von Menschen auf dem ganzen Erdball.“ Hier horcht der links gestrickte Mensch auf. Das klinge ja, so meint er, fast so wie bei uns in der „jungen Welt“: Die ökonomischen Verhältnisse müssten grundlegend geändert werden, damit die Menschen in der Dritten Welt nicht mehr hungern! Aber weit gefehlt. Der Kirchenmann diagnostiziert nur eine Augentrübung: „Keine menschliche Gesellschaft kann sich menschlich nennen, wenn sie das Schicksal ihrer Armen aus dem Blick verliert“.
Drei Tage später ließ sich der Kardinal nicht lumpen und erklärte in aller Öffentlichkeit auf der Kö interessierten Pressevertreter*innen seine Sicht der beklagten Dinge. Angesichts des ihn umgebenden Luxus‘ auf dem Boulevard hatte der Oberpriester hier einen passenden Anknüpfungspunkt. Er fragte sich, ob Luxus und Kirche zusammenpassen. Und er beantwortete umgehend seine eigene Frage: „Ja, auch das kann zusammengehören.“ Der Himmel stehe Armen und Reichen gleichermaßen offen. Wichtig sei nur, dass das rechte Maß und die Gerechtigkeit dabei nicht auf der Strecke blieben. Und wie das in Praxis aussehe, lieferte der Fachmann für Moral gleich mit: „Unsere seit Jahrzehnten erprobte christliche Soziallehre weist hier den Weg: Wer viel hat – der muss auch mehr Verantwortung für das Gemeinwohl tragen. Starke Schultern sind belastbarer als die armer Schlucker. Wer also mehr Möglichkeiten hat als andere, der kann und muss auch viel mehr Gutes tun als derjenige, der selbst auf Hilfe angewiesen ist.“ So ergänzt Hochwürden die unschöne Realität mit der Moral: Sie ist kein ernst zu nehmender Einspruch gegen irgendwelche „unwürdigen Bedingungen“ und ihre Gründe, sondern gehört in den Gewissenshaushalt aller kleinen und großen Staatsbürger*innen. „Verantwortung für das Gemeinwohl tragen“ ist die Haltung, die man zu und neben dem gültigen ökonomischen Tun und Treiben pflegt und pflegen soll. Dem kommen die Macher*innen der Wirtschaft gerne und mit Überzeugung nach, spenden hier und da auch mal eine größere Summe für Arme und Kranke, Geflüchtete und Verfolgte, ohne dass ihre alltäglichen Geschäfte behindert werden.
Dass es in einer Gesellschaft Reiche und Arme, Starke und Schwache geben muss, ist das Evangelium und tägliche Brot der Kirche. Die Armen und Schwachen werden getröstet mit der Perspektive, dass es ihnen im Jenseits einmal besser gehe. Die Reichen und Starken werden ermahnt, neben ihrem marktwirtschaftlichen Werk, ihre Geschäfte voranzubringen, die Mühseligen und Beladenen nicht zu vergessen und ihren Reichtum mit ihnen zu teilen. Wenn diese Ökonomie Arme, Schwache und in unwürdigen Bedingungen Lebende hervorbringt, dann passt dazu das notwendige Verlangen, die Tugend der Barmherzigkeit aufzubringen. Und genau dafür taugt die Religion und die Ansprache durch die religiösen Führer sehr gut: die realen Übel nicht wirklich zu korrigieren, sondern um die Haltung der Mildtätigkeit zu ergänzen.
Nach einem Hickhack, der über mehrere Jahrhunderte dauerte, hat sich die katholische Kirche mit Demokratie und Marktwirtschaft abgefunden – und umgekehrt hat der Staat die Religion als taugliches Mittel für seine Herrschaft erkannt. Man schätzt auf der einen Seite die Macht der Religion, Menschen kleinzumachen, auf der anderen Seite findet der Kirchenmann in der Marktwirtschaft lauter Prüfsteine für die Charakterfestigkeit der Gläubigen. Gibt sich der Mensch der Sünde hin, wenn er gierig die Profitmaximierung verlangt und dabei seine Mitmenschen aus dem Blick verliert? Verhält sich der Arme richtig, wenn er die Mittel der marktwirtschaftlichen Konkurrenz ausnutzt, und seinen Kolleg*innen die billige Wohnung oder den schlecht bezahlten Arbeitsplatz vor der Nase wegschnappt?
So hat sich die Kirche mit der Marktwirtschaft und der irdischen Herrschaft arrangiert. Es interessiert sie nicht, dass die Armut Resultat der marktwirtschaftlichen Reichtumsproduktion ist, dass die bürgerliche Herrschaft diese Produktionsweise einrichtet und fachgerecht betreut. Sie beobachtet, wie sich der Mensch unter den widrigen Bedingungen der Konkurrenz haltungsmäßig bewährt, und gibt ihren theologischen, moraltriefenden Senf dazu.
Gottes Sohn höchstpersönlich hat vor 2000 Jahren die Stellung der Kirche festgelegt: „Mein Reich ist nicht von dieser Welt. Wäre mein Reich von dieser Welt, meine Diener würden kämpfen, dass ich den Juden nicht überantwortet würde; aber nun ist mein Reich nicht von dannen.“
Wer in der Kirche, welcher Konfession auch immer, einen Bündnispartner im Kampf gegen unbequeme gesellschaftliche Verhältnisse vermutet, hat auf das falsche Pferd gesetzt. Deren bisweilen radikale Sprüche dienen letztlicy h der moralischen Erziehung ihrer Schäfchen: Wenn sich der Mensch an die Zehn Gebote hält, hat er die Eintrittskarte zum Himmelreich so gut wie sicher im Sack. Von den wirklichen Bedingungen des gesellschaftlichen Lebens will der Kirchenmann nichts wissen. Sein Reich ist ja bekanntlich „nicht von dieser Welt“ und Widerstand darum nicht angesagt.
Aus: Erzbischof Marx warnt vor Rückfall in „primitiven Kapitalismus“, Geistlicher verlangt ethische Ausrichtung der Wirtschaft
Bischof Reinhard Marx im Gespräch mit Joachim Scholl
Deutschlandradio Kultur vom 29. September 2016
Scholl: Wenn jetzt morgen, Herr Marx, in Ihrem Beichtstuhl ein kleinlauter Banker kniet, nennen wir ihn mal Josef, und sagt, Vater, ich habe nicht gesündigt, denn es gehört leider zur Natur der Sache, wenn ich keine Rendite erzeuge, werde ich gefeuert und morgen steht mein Nachfolger im Büro, der Markt bestimmt die Regeln. Der Markt ist nämlich leider unser Gott. Was sagen Sie denn diesem Mann?
Marx: Ja, wenn er sagt, der Markt ist unser Gott, dann muss ich sagen, dann schau mal, lieber Freund, auf das erste Gebot. Du sollst neben mir keine anderen Götter haben. Oder wie Luther sagt, wo dein Schatz ist, da ist auch dein Gott.
Scholl: Aber mit dem Markt, Herr Marx, wird alles begründet.
Marx: Ja, ich verstehe schon, was Sie meinen.
Scholl: Es ist immer der Markt.
Marx: Nein, es geht nicht um Gewinn, wir sind ja nicht gegen Märkte und auch nicht jeder Manager oder jeder Banker hat jetzt unmoralisch gehandelt. Das ist ja so eine Kollektivschuldhysterie, die manche da anfeuern. Jeder ist für sich selber verantwortlich. Man muss überlegen, zum Beispiel ein klares ethisches Kriterium für sich selber überlegen, was ich hier verkaufe, etwa ein Zertifikat oder ob ich ein Auto verkaufe. Würde ich das unter ähnlichen Umständen selber kaufen? Zum Beispiel mindestens das.
Es gibt ja Menschen, die sich auch nach bestem Wissen geirrt haben, die vielleicht auch wirklich geglaubt haben, sie tun etwas Gutes damit, dann will ich gar nicht ausschließen, so eine subjektive Beurteilung. Aber wenn jemand sagt, das würde ich ja selber nicht kaufen und ich verkaufe es trotzdem einem anderen, dann muss ich als Christ und als Bischof sagen, da haben Sie eine Grenze überschritten dann.
HENRICI