TERZ 12.16 – BOOKS
Mit „Freiheit ist ein ständiger Kampf“ ist ein neues Buch von Angela Y. Davis herausgekommen. Darin sind jüngste Gespräche und Vorträge über Gefängnisse, Palästina, rassistische Polizeigewalt, Occupy und die Schwarze Frauenbewegung versammelt.
Im Jahr 1970 wurde Angela Y. Davis auf die FBI-Liste der „10 Most Wanted“ gesetzt, weil eine Waffe unter Angabe ihres Namens gekauft wurde mit der während eines Gerichtsprozesses vier Menschen getötet wurden. Als „Terroristin“ wurde sie eingebuchtet, international gab es breite Proteste und Soli-Bekundungen. Davis kam nach zwei Jahren frei. Seither ist sie für viele Menschen rund um den Globus zur Symbolfigur der Schwarzen Frauen- und Befreiungsbewegung und zum Prototypus einer Aktivistin geworden, die zeitlebens an vielen Fronten ein politisches Leben führte, auch wenn dies persönliche Einbußen zur Folge hatte. Der Titel des Buches, „Freiheit ist ein ständiger Kampf“, ist bei Davis also tatsächlich Programm und ist es auch immer gewesen. Wenn ich selbst schwerlich umhin komme, Davis als Ikone zu empfinden, so beharrt sie doch in ihren Gesprächen und Vorträgen darauf, dass Bewegungen und soziale Veränderungen nicht durch Einzelpersonen, sondern durch das solidarische Miteinander von Vielen erwirkt werden. Sie spricht offen ihre Bewunderung für Nelson Mandela oder Martin Luther King aus, wehrt sich aber dagegen, dass „Geschichte als Werk heroischer Einzelpersonen dargestellt wird, damit heutige Akteure ihr potenzielles Handeln als Teil eines sich ständig ausweitenden kollektiven Widerstandskampfes begreifen.“ Wie im Buchtitel selbst, wird auch hier deutlich, dass Davis in Kontinuitäten denkt. Das klingt bei ihr jedoch nicht unbedingt nach Sisyphos, sondern nach einem ermutigendem „Wir sind weiterhin auf dem Weg“. Davis setzt ihre Hoffnungen auf globale Bündnisse und auf das Voneinander-Lernen. Sie glaubt fest daran, dass alle emanzipatorischen Kämpfe miteinander verbunden sind, verbunden gedacht werden und angegangen werden müssen – intersektional[1] halt.
Ein Beispiel, das sie mehrfach nennt, ist das der Proteste in Ferguson, wo 2014 ein schwarzer Jugendlicher von einem Polizisten erschossen wurde und es daraufhin vor Ort und US-weit zu Protesten samt massiver Polizeigewalt kam. Bei den Tumulten erkannten palästinensische Aktivist*innen, tausende Kilometer entfernt, über Fotos in Social Media die von der Polizei in Ferguson eingesetzte Tränengas-Marke. Via Twitter gaben sie den z.T. sehr jungen Ferguson-Aktivist*innen ihre Erfahrungen und Ratschläge im Umgang mit ebenjenem Tränengas weiter. Neben dem Aspekt der praktischen Solidarität folgert Davis daraus aber auch: „Es bestehen Querverbindungen zwischen der Militarisierung der US-Polizei und den fortwährenden Attacken auf Menschen im besetzten Palästina.“ So nachvollziehbar dieses Beispiel für andauernde Konflikte (Rassismus, Polizeigewalt, Nahost ...) und globale Solidarität ist, so verkrampft wirkt der Intersektionalitäts-Anspruch an vielen Stellen. Mich wundert mancher Kommentar zum Buch: Judith Butler beispielsweise rezensiert es als „messerscharfe Analyse“ und als präzise Einsicht in repressive Systeme. Genau das, „messerscharf“ und „präzise“, ist es jedoch nicht. Das mag durchaus an der Form liegen, schließlich bieten Gespräche und Vorträge kaum den Raum, Themen von vorne bis hinten durchzukauen. Davon abgesehen ist es aber passagenweise enttäuschend, wenn Davis‘ ihre Beispiele nicht durchanalysiert, sondern stattdessen ad hoc Verbindungen zieht zu anderen Kämpfen der Vergangenheit oder zu solchen an ganz anderen Fronten (wobei sie vermutlich argumentieren würde, dass es sich nur um verschiedenartige Ausprägungen des gleichen „Symptoms“ handelt). Davis macht das dann etwa so: Sie geht kurz auf Ferguson ein, darauf folgen nur knappe Verweise – auf die RoboCopisierung der Polizei, auf die rassistische Geschichte der USA, auf Palästina, um dann auf den „gefängnisindustriellen Komplex“[2] zu kommen, eines ihrer großen Themen.
Bei all der Intersektionalität passiert etwas Widersprüchliches: Die Komplexität geht verloren. Beispielsweise wird die diffizile Frage der Gewalt in Israel und Palästina nicht im historischen Kontext des Nahost-Konfliktes besprochen, sondern lediglich mit Rekurs auf den Konzern G4S, die weltweit größte Sicherheitsfirma, oder auf die Apartheid in Südafrika. In Analogie spricht Davis dann auch vom „Apartheids-Staat Israel“ und dem Recht der Palästinenser*innen, jedwedes Mittel der Gegenwehr anzuwenden, um, wie die Apartheidsgegner*innen in Südafrika, gegen ihre eigene „Apartheid“ Widerstand zu leisten. Davis ruft außerdem mantraartig zur Unterstützung der BDS-Kampagne (Boycott, Divestment, Sanctions) auf, natürlich mit Verweis auf die Boykottkampagnen für südafrikanische Produkte während der Apartheid. Nicht nur, dass ich die Analogsetzung von historisch und räumlich doch ziemlich verschiedenen Kämpfen schwierig finde, eignet sich diese Vorgehensweise zudem kaum zur Erklärung von irgendwas. Vielleicht ist Davis‘ Konzept von Intersektionalität ein ganz klassisch anti-imperialistisches: Es gibt die Unterdrücker*innen und die Unterdrückten, basta. Dabei könnten doch gerade in einem globalen Verständnis von Antikapitalismus und sozialen Bewegungen auch die Grauzonen und Ambivalenzen Unterschlupf finden. Zusätzlich ist es grenzwertig, dass in dem Buch so ziemlich alle Diskriminierungsformen gedroppt werden, von den üblichen Verdächtigen Rassismus, Klassismus, Sexismus über Kapitalismus, werden Islamophobie, Xenophobie, Homophobie und Transfeindlichkeit angesprochen, mit keinem Wort jedoch Antisemitismus. Davis muss wahrlich kein bekennender Israel-Fan sein, aber gerade in einem Konzept, in dem alles Platz zu finden scheint, um Querverbindungen ziehen zu können, ist es schlichtweg ein Statement, einen ebenfalls sehr realen Antisemitismus nicht mit einzubeziehen.
Genug der Problematisierungen. Davis‘ Vorträge (die Gespräche nicht so sehr...) lesen sich nämlich stark, mitreißend und – positiv gemeint – emotional. Während ihre Ausführungen zum gefängnisindustriellen Komplex seltsam blass bleiben, sind jene zur Schwarzen Befreiungsbewegung besonders überzeugend. Sie erinnert daran, dass, nur, weil bestimmte Aspekte von der offiziellen US-Geschichte einverleibt wurden, die Befreiung noch lange nicht als abgeschlossen betrachtet werden kann. Schwarze Amerikaner*innen haben zwar die Bürger*innenrechte erhalten, gekämpft werden muss für Bürger*innenrechte aber weiterhin – Freiheit ist ein ständiger Kampf. Wirklich aufschlussreich ist es, nun, nach der Wahl von Donald Trump, ihren Gedanken aus den Jahren 2013 und 2014 zur US-Politik, zu den jeweiligen Präsidenten und insbesondere zu Obama zu folgen: „Ich weiß noch, wie ich im Jahr 2000 zu Bett ging und glaubte, Al Gore sei der neue Präsident, doch ich erwachte in einem acht Jahre dauernden Alptraum (...).“ Sie erzählt, wie wichtig es war, dass es nach den Bush-Jahren einen schwarzen Präsidenten gab. Denn zwar stimmten die meisten weißen Männer damals für Obamas Konkurrenten Mitt Romney, aber Obamas Wahl zeigte, „dass weiße Männer nicht mehr die alleinige Kontrolle über die nationalen Ziele haben – und das ist ein bedeutender Sieg!“ Dramatischerweise hat sich dies für die jüngste US-Wahl nicht wieder verwirklichen lassen. Aber für die Verdauung von Trumps Sieg finden wir bei Davis Trost. So sehr sie der Meinung ist, dass Rassismus und rassistische Gewalt zu Zeiten eines schwarzen Präsidenten weniger verschwiegen und weniger normalisiert wurden, so sehr betont sie auch: „Wenn man sich jedoch die Geschichte des Kampfes gegen Rassismus in den USA anschaut, fällt auf, dass sich zu keiner Zeit allein deshalb etwas verändert hat, weil der Präsident beschloss, eine progressivere Richtung einzuschlagen. Alle Veränderungen haben sich aufgrund von Massenbewegungen vollzogen.“
Angela Davis: Freiheit ist ein ständiger Kampf
Unrast Verlag, Oktober 2016. 14 Euro.
[1] Intersektionalität ist ein eher akademischer Begriff und wurde aus der sogenannten Triple-Oppression „race-class-gender“ weitergedacht. Er beschreibt, dass viele Diskriminierungsformen, Benachteiligungskategorien und –Ismen miteinander verwoben sind und auch zusammenhängend gedacht werden müssen: Eine Schwarze Frau beispielsweise kann nicht nur von Rassismus, sondern ebenso auch von Sexismus betroffen sein.
[2] Mit dem gefängnisindustriellen Komplex ist gemeint, dass sich das Gefängnissystem, insbesondere in den USA, mehr und mehr zu einer profitgenerierenden und konzernähnlichen Einrichtung auswächst. Davis ist im „Prison Abolition Movement“ aktiv, einer Bewegung, die das aktuelle Gefängnissystem z.T. abschaffen und durch ein humaneres ersetzen will. Sie berichtet, dass in den USA aktuell mehr Schwarze inhaftiert sind als es im Jahr 1850 Sklav*innen gab.