TERZ 12.16 – HSD-SEITE
Ab dem 1. Januar 2017 werden bundesweit neue Regeln für die Abrechnung von Urheberschaftsansprüchen und das Hochladen von Texten in digitale Semesterapparate auf Online-Lernplattformen gelten. Es wird dann nicht mehr möglich sein, Student*innen schnell und einfach Semesterunterlagen zugänglich zu machen. Jeder Text muss bürokratisch aufwändig – nämlich einzeln – abgerechnet werden. Erst Wochen nach der Unterzeichnung des diesbezüglichen neuen „Unirahmenvertrags“ im September 2016 bahnte sich die Empörung einen Weg in die mediale Öffentlichkeit. Bei dieser Debatte geht es nicht darum, ob Hochschulen für online zur Verfügung gestellte Inhalte Abgaben zahlen müssen – dies ist schon lange der Fall. Es geht vielmehr um den Modus der Abrechnung.
Bisher gibt es nach §52a Urheberrechtsgesetz (UrhG) folgende Beschränkungen bei der digitalen Nutzung geschützter Werke: Zulässig ist die Nutzung von Beiträgen aus Zeitungen und Zeitschriften, Werken bis 26 Seiten und 12 Prozent (maximal 100 Seiten) von längeren Werken. Dafür zahlten die einzelnen Bundesländer bisher jedes Jahr einen Pauschalbetrag für ihre Bildungseinrichtungen an die „Verwertungsgesellschaft Wort“, kurz „VG Wort“, also an die Vertretungsinstanz der Rechteinhaber*innen. Nun aber sollen diese pauschalen Kosten von den Ländern auf die einzelnen Hochschulen übertragen werden. Rückendeckung für die Änderungen gibt ein Urteil (I ZR 84/11) des BGH aus dem Jahr 2013, dass es den Hochschulen zumutbar sei, genutzte Werke einzeln zu melden und abzurechnen. In einem sechsseitigen Rahmenvertrag zwischen der „VG Wort“ und der Kultusministerkonferenz (KMK) wurden die Regelungen für die Einzelmeldungen vereinbart. Diesem Rahmenvertrag sollen die Hochschulen nun zustimmen. Er sieht vor, dass die Hochschulen für die Nutzung pro Kurs und Semester nach der Formel „Seiten x Kurs-Teilnehmer x 0,8 Cent“ an die „VG Wort“ bezahlen sollen. Ein „Angebotsvorrang“ verbietet, dass selbst erstellte digitale Kopien zur Verfügung gestellt werden, wenn bereits eine digitale Version, zum Beispiel als E-Book, in der Hochschulbibliothek vorhanden ist oder von einem Verlag digital zum Kauf angeboten wird. Nicht betroffen sind Vorlesungsfolien mit Bildern und Zitaten sowie Skripte. Diese gelten als „eigene Inhalte“. Und natürlich sind auch „Open Access“- und „Creative-Commons“-Veröffentlichungen ausgenommen.
Für Lehrende bedeutet dies einen absurd hohen bürokratischen Mehraufwand durch das Prüfen auf digitales Vorhandensein und das Erstellen und Führen der Listen meldepflichtiger Werke. Problematisch wird es auch bei der Prüfung auf Vollständigkeit und Richtigkeit der Meldungen durch die „VG Wort“. Trotz expliziter Datenschutzvereinbarung im Rahmenvertrag ist die Dimension des Zugangs zu Seminarplänen oder gar sämtlichen Dateiinhalten auf deutschen Hochschulservern unklar.
Mögliche Folgen des neuen „Unirahmenvertrages“ zeigt eine Pilotstudie der Universität Osnabrück im Wintersemester 2014/15 (Fuhrmann-Siekmeyer, Anne; Thelen, Tobias; Knaden, Andreas (2015): Pilotprojekt zur Einzelerfassung der Nutzung von Texten nach § 52a UrhG an der Universität Osnabrück – Abschlussbericht). So ging dort während des Versuchs die Zahl der auf der Lernplattform eingestellten Texte von etwa 4.000 auf ungefähr 1.000 zurück. Die Lehrenden hatten häufig komplett auf die Bereitstellung von digitalen Materialien verzichtet. Deutlich wird, dass die Leidtragenden wieder einmal die Student*innen sind, denen der Zugriff auf Wissen erschwert wird. 72 Prozent von ihnen gaben an, dass der Aufwand für die Literaturbeschaffung höher beziehungsweise sehr viel höher sei.
Zahlreiche Proteste könnten jedoch durch ihre Breitenwirkung das Vorhaben der „VG Wort“ zum Scheitern verurteilen. Student*innenvertretungen haben deutschlandweit zum Protest aufgerufen. Auch viele Hochschulen lehnen den „Unirahmenvertrag“ ab. Die Landesrektorenkonferenzen (LRK) von Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Bayern, Baden-Württemberg, Schleswig-Holstein und Thüringen weigern sich, den Vertrag zu unterschreiben. Auch die bundesweite Hochschulrektorenkonferenz (HRK) setzt sich entschieden für eine Aussetzung des Vertrags und eine politische Lösung ein. Eine gesetzlich fundierte Wissenschaftsschranke, die Ausnahmen für Lehre und Forschung regelt, wird zwar in der Politik diskutiert, mit einer Entscheidung ist aber in absehbarer Zeit nicht zu rechnen. Treten Hochschulen dem „Unirahmenvertrag“ jedoch nicht bei, hat dies zur Folge, dass Dozent*innen überhaupt keine Texte online stellen dürften. Analoge Semesterapparate und Warteschlangen vor dem Kopierer würden eine Renaissance erleben.