TERZ 03.18 – RECHTER RAND
Ende Januar hat am Düsseldorfer Landgericht der Prozess gegen Ralf S. begonnen. Er ist des 12fachen versuchten Mordes und der Herbeiführung einer Sprengstoff-Explosion angeklagt. Das Gericht hat inzwischen an acht Verhandlungstagen Zeug*innen gehört.
Am 27. Juli 2000, um 15.03 Uhr, soll Ralf S. die Bombe gezündet haben. Sie war in einer Plastiktüte deponiert, die am Geländer der Fußgängerbrücke angebracht war, hinter dem Zugangshäuschen zum S-Bahnhof „Wehrhahn“ in Düsseldorf Flingern. Vermutlich wird die Bombe auf Sichtkontakt zur Explosion gebracht worden sein. 12 Personen befanden sich ganz direkt in der tödlichen Zone, als die Rohrbombe hochging. Sie hatten den Fußgängerüberweg durch den Eingangsdurchgang von der Ackerstraße kommend gerade erst betreten – wie sie und andere dies täglich um diese Uhrzeit taten. Kamen diese Passant*innen in verschieden großen Gruppen doch aus dem Deutschunterricht, den eine Schule für Erwachsenenbildung in verschiedenen Seminarräumen fußläufig vom S-Bahnhof anbot. Die Sprachschule unterrichtete in dieser Zeit tagsüber vor allem Menschen, die aus den ehemaligen sowjetischen Ländern nach Deutschland migriert waren – darunter Spätaussiedler*innen, aber auch sogenannte „Kontingentflüchtlinge“, Jüdinnen und Juden aus den ehemaligen GUS-Staaten.
Heute, mehr als 17 Jahre nach dem Anschlag, geht Oberstaatsanwalt Ralf Herrenbrück in seiner Anklage davon aus, dass Ralf S. in der Tatplanung bedacht hatte, dass die Sprachschüler*innen gegen 15 Uhr aus verschiedenen Richtungen zum S-Bahnhof kamen. Er beschuldigt den Angeklagten, die Opfergruppe ausspioniert und genau gewusst zu haben, dass es sich bei den Angegriffenen um Menschen handelte, die der Angeklagte in seiner rassistischen Haltung als „Ausländer aus seinem Revier [zu] vertreiben“ versucht habe, als er die Wehrhahn-Bombe zündete. Sein Tatmotiv sei also „Fremdenfeindlichkeit“, wie Herrenbrück sich am 25. Januar 2018 im ersten Hauptverhandlungstermin ausdrückte.
Inzwischen hat der bisherige Prozessverlauf bereits dazu beitragen können, den ideologischen Hintergrund von Ralf S. ein stückweit auszuleuchten. Schon nach bislang acht Verhandlungstagen merken wir dabei aber auch, dass die Formulierung „Fremdenfeindlichkeit“, die die Staatsanwaltschaft für die Beschreibung des Tatmotivs gewählt hat, kaum präzise genug ist. Denn es zeichnet sich bereits jetzt ab, dass sich Ralf S. zur Tatzeit neben einem ausgewachsenen Rassismus und dem Hass auf „Ausländer“ durchaus auch eines absolut gefestigten Antisemitismus befleißigte.
Am zweiten Hauptverhandlungstag, am 30. Januar 2018, war genau dies im Gerichtssaal kaum zu überhören. Denn das Gericht beschäftigte sich in dieser Sitzung mit den abgehörten Telefonaten, die der Angeklagte nach der Tat geführt hatte. Darunter mehrere, die vor antisemitischen Hasstiraden nur so strotzten.
Die Ermittler hatten nur wenige Tage nach dem Anschlag mit den Nachforschungen gegen S. begonnen, ihn persönlich vernommen, ihm aber auch die Telefone angezapft. Am 24. August 2000 telefonierte S. etwa mit dem Düsseldorfer Neonazi-Kader Sven Skoda. Der bot S. an, ihm ein bedrucktes T-Shirt anfertigen zu lassen mit der Aufschrift „10 auf einen Streich – 6 davon Juden“. Als Beweismittel wurde dieses Telefonat – ebenso wie etliche andere – als Toneinspieler in den Prozess eingeführt. Alle im Saal konnten hören, wie gut S. der Vorschlag von Skoda damals gefallen hatte. Am Telefon zeigte er sich Skodas Idee gegenüber in vertrautem Ton amüsiert und ergänzte, dass er, S., gerne mal eine Rede vor dem Zentralrat der Juden halten würde. Dort würde er ihnen sagen – den Reden-Tonfall von Adolf Hitler imitierend –, dass er ihnen eine Bahnfahrkarte kaufen wolle für eine Fahrt mit dem Zug, an deren Ende die „Männer rechts, die Frauen links“ auszusteigen hätten.
Trotz der einschlägigen Gesprächsausschnitte, trotz der antisemitischen Hetzreden von S. und seinen Nazi-Freunden, mit denen der Angeklagte damals in regelmäßigem und vertrautem Kontakt stand, wird dessen Antisemitismus in der juristischen Würdigung als Tatmotiv vermutlich keine Rolle spielen. Denn die anklagende Oberstaatsanwaltschaft hatte bereits im Januar letzten Jahres, als Ralf S. verhaftet wurde, darauf hingewiesen, dass es kaum nachzuweisen sei, ob der Tatverdächtige gewusst habe, dass Personen aus der Opfergruppe jüdisch waren. Ralf Herrenbrück erwähnte Antisemitismus in seiner Anklageschrift also nicht. Inzwischen ist aber mehr als deutlich geworden, dass der Angeklagte ein Antisemit ist – ebenso wie die Leute, mit denen er, als Figur am Rande der Düsseldorfer Neonazi-Szene und darüber hinaus – bestens vernetzt war.
Und S. kannte sich in extrem rechten Ideologieversatzstücken durchaus hervorragend aus. Mit dem Nazi-Skinhead Sven Sch. etwa witzelte er am Telefon am 1.8.2000 über das Nazi-Sticker-Motiv „Berger war ein Freund von uns. 3:1 für Deutschland“ – dem Slogan samt Abbildung, der nach dem dreifachen Polizistenmord des Neonazis Michael Berger vom 14. Juni 2000 auf Flyern und Aufklebern (auch in Düsseldorf) aufgetaucht war. Sven Sch. hatte unter Lachen am Telefon zu S. gesagt, dass er mit einem „3:1 für Deutschland“-T-Shirt zur Vernehmung bei der Polizei gehen wolle, wenn er wegen des Wehrhahn-Anschlages vorgeladen würde.
Was „3:1 für Deutschland“ bedeute, wollte der Vorsitzende Richter Rainer Drees nach dem Vorhalt des Telefonmitschnittes von S. wissen. Dieser wollte aber davon im Gerichtssaal keine Ahnung haben. Ebenso, wie er angab nicht zu wissen, was mit dem Neonazi-Code „88“ (= „Heil Hitler“, abgekürzt durch die Buchstaben „HH“, dem achten Buchstaben im Alphabet) gemeint sei, den er in einem weiteren Telefonat mit einer Bekannten wie selbstverständlich benutzt hatte.
Auch als der Vorsitzende Richter von Ralf S. wissen wollte, was es mit den Hakenkreuz-Armbinden auf sich habe, die die Polizei bei einer der beiden Hausdurchsuchungen in seinem Laden gefunden hatte, tischte der Angeklagte dreist ein passendes Märchen auf: Er habe sie – genau wie die ausgedienten und unbrauchbaren Pistolen und Sammlerwaffen, die in seinem Besitz gefunden wurden – in seinem Laden wie in einem Requisiten-Fundus gesammelt, um etwaige Anfragen von Film- oder Theaterproduktionen bedienen zu können.
An einem der ersten Verhandlungstermine beschäftigte sich das Gericht auch mit eben diesen Hausdurchsuchungen, bei denen neben den genannten Hakenkreuz-Binden etwa auch Ku-Klux-Klan-Devotionalien und indizierte RechtsRock-CDs sichergestellt worden sind. Bereits im NSU-Untersuchungsausschuss im Landtag von Nordrhein-Westfalen waren diese Durchsuchungen Gegenstand der Erörterung zu möglichem Fehlverhalten der Polizeibehörden in ihrer Ermittlung zum Wehrhahn-Anschlag gewesen. Dietmar Wixfort, seinerzeit Leiter der damaligen Ermittlungskommission unter dem Kürzel-Namen „EK Acker“, hatte im Februar 2017 vor dem Ausschuss ausgesagt, dass die erste Hausdurchsuchung, die Beamte der Abteilung Staatsschutz durchgeführt hätten, mehr ein „oberflächlicher Stubendurchgang“ denn eine zumindest ‚normale‘ Hausdurchsuchung gewesen sei (TERZ 03.17).
Mit der Vernehmung von zwei Polizeibeamten, die in den Tagen nach dem Anschlag die ersten Ermittlungen gegen Ralf S. durchführten, wurde nun im Prozess aber noch einmal in unverblümter Offenheit deutlich, wie unambitioniert diese ersten Ermittlungsschritte gelaufen sind.
Am 29. Juli, zwei Tage nach dem Anschlag, hätten sich zwei Staatsschutzbeamte mit dem Beschuldigten zu einem ersten Gespräch auf der Straße(!) getroffen, draußen. Von dort aus sei man dann gemeinsam in S.‘ Wohnung und Laden – auf der Gerresheimer Straße 13 und 51 – gegangen. Für beide Räumlichkeiten hätten sich die beiden Beamten dann ca. 45 bis maximal 60 Minuten Zeit genommen – durchgeschaut hätten sie sie. Denn sowohl Wohnung als auch Laden seien enorm verdreckt und unordentlich gewesen, vollgestopft bis unter die Decke quasi. Die Staatsschützer hätten rasch gesehen, dass mit zwei Leuten hier kein Durchkommen gewesen wäre – und ließen von der weiteren Durchsuchung ab. Im Laden selbst hätten sie dann außerdem nahezu im Dunkeln getappt. Es gab keinen Strom in den vom überschuldeten S. angemieteten Ladenräumen – vorne ein Raum mit Fensterfront, hinten ein weiterer Raum ohne Fenster. Darum hätten sie, sagte einer der Polizeizeugen am 4. Prozesstag Anfang Februar 2018 aus, den Beschuldigten gebeten, die Jalousien am Schaufenster des Ladens zu öffnen. Auf Nachfrage des Oberstaatsanwalts bestätigte der Polizeibeamte dem Gericht aber, dass sie dort dann durchaus genügend Licht gehabt hätten. Gefunden hätten sie aber nichts. Keine Utensilien oder Bauteile für den Bau einer Bombe, keine strafbewährten Schriften oder Gegenstände mit „rechtsradikaler Symbolik“. Nur ‚normale‘, „allgemeinbildende Broschüren“. Dass das Gericht hier erneut die Lichtverhältnisse im Laden thematisierte, wird als ironische Fußnote in die Geschichte des Prozesses eingehen.
Doch auch dieser Aspekt im Prozessgeschehen ist im Grunde bitter-ernst. Denn die Vernehmung der beiden Polizeibeamten zeigte mehr als deutlich: Die Polizei hat sich für den Verdächtigen Ralf S. in seiner dunklen Umgebung nicht ernsthaft interessiert. Ihn nicht ernsthaft als Tatverdächtigen in Erwägung gezogen. Nicht ernst genommen zu einer Zeit, als die Antifa (zum Beispiel in der TERZ 09.99) bereits bekannt gemacht hatte, dass Ralf S. Teil der Düsseldorfer Neonazi-Szene war. Als schon lange klar war, dass es sich bei S. um einen handfesten Rassisten, Militär-Freak und gefährlichen Zeitgenossen handelte, der den Stadtteil schon vor dem Anschlag in seiner Sicherheit – vor allem für Menschen mit Migrationsgeschichte und für Linke – bedroht hatte.
Dazu passt auch, dass in der Gerichtsverhandlung beide Staatsschützer im Zeugenstand heute noch von der guten Kooperation mit Ralf S. als Beschuldigtem berichten. Im Umgangston höflich und in entspannter Atmosphäre habe man nach der ‚Durchsuchung‘ von Privatwohnung und Laden im Präsidium zu einem ersten Verhör zusammengesessen. S. habe sich „nicht widerspenstig“ gezeigt. Als die Frage darauf gekommen sei, was er am Tattag und zur Tatzeit gemacht habe, hätte man die Vernehmung allerdings abgebrochen: Auf den Hinweis, dass er sich um seinen Hund kümmern müsse und zuhause außerdem seine Waschmaschine laufe, habe man S. für diesen Tag gehen lassen, noch bevor er Fragen zu seinem Tagesablauf am Tattag beantwortet hatte. In einer weiteren Vernehmung – am 31. Juli 2000 – hätten die Polizeibeamten dann herausfinden können, dass S. sich zwar als Teil des rechten Spektrums sehe, jedoch nichts „gegen Ausländer“ habe.
Schon nach diesen wenigen Hauptverhandlungsterminen, mit denen der Wehrhahn-Prozess im Januar und Februar 2018 gestartet ist, hat sich gezeigt, dass keine der Fragen, die sich die Ermittlungsbehörden zu ihrer langsamen Arbeit stellen lassen müssen, auch nur im Geringsten unerheblich ist. Vor allem: Warum hat es über 16 Jahre gedauert, bis Polizei und Staatsanwaltschaft Ralf S. als dringend tatverdächtig so in die Mangel nahmen, wie es ein Angriff dieser Größenordnung und mit deutlichen Hinweisen auf eine antisemitische und rassistische Tatmotivation eines dazu passenden Tatverdächtigen notwendig gemacht hätten? Warum hat niemand von den Herren vom Staatsschutz schon im Sommer 2000 das sprichwörtliche Licht angeknipst? Lag es am kumpelhaften Ralf S., mit dem ein ebenso kumpelhafter Staatsschutz gut und kooperativ ‚kann‘? War es das Sommerwetter, das die Beamten zu bräsig machte, um im stinkigen Laden des Tatverdächtigen unter Einsatz der sonst üblichen Mittel eine gründliche Durchsuchung durchzuführen? Wer ist dafür verantwortlich, dass zwei Staatsschutz-Beamte mit dieser schlampigen Arbeit überhaupt durchgekommen und nicht prompt zurück an die Arbeit – „Nochmal, ihr Holzköpfe!“ – geschickt worden sind?
Am Vorabend des ersten Prozesstages hat die Landtagsabgeordnete Monika Düker (Die Grünen) bei einer Veranstaltung in der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf vor Publikum die Polizei für ihre Arbeit zum Wehrhahn-Anschlag gelobt. Davon, dass Polizei und Staatsanwaltschaft in der Ermittlungsarbeit alles richtig gemacht haben, kann nun, nach diesen ersten, wenigen Eindrücken aus dem Prozess, allerdings noch viel weniger die Rede sein als vorher. Spätestens wenn es nicht zu einer Verurteilung des Angeklagten kommt, wird zu untersuchen sein, warum die Polizei im Dunkel der Welt von Ralf S. und seiner Nazi-Freund*innen keine Beweise hat finden können.
Darum müssen wir den Prozess weiter beobachten: Kommt zu den Verhandlungsterminen, macht Euch selbst einen Eindruck.
Die Verhandlungen sind öffentlich. Die nächsten Termine sind am 5.3., 8.3., 22.3. und 23.3.2018. Die Verhandlung beginnt in der Regel um 9.30 Uhr.
Als Zuschauer*innen solltet Ihr einen gültigen Personalausweis o.ä. dabei haben. Auch müsst Ihr damit rechnen, dass der Einlass am Eingang zum Gericht einige Zeit in Anspruch nimmt. Kommt also etwas früher.