Rechte Parolen auf dem Prüfstand

Mitte Januar wird ein 19 Jähriger Student in der U-Bahn-Linie 79 in der Düsseldorfer Innenstadt von einer älteren Dame verbal attackiert. Mit den Worten „Sie frauenverachtender Araber, Sie sind Mitglied eines Netzes, was mich seit drei Jahren stalkt“ erregt sie den Zorn des jungen Mannes. Er bekommt Unterstützung von einem älteren Fahrgast und einem, wie die Rheinische Post sie beschreibt, dunkelhäutigen Mädchen.

Die zur Hilfe gerufene Bahnfahrerin versucht, zu deeskalieren, indem sie anscheinend Partei für die wütende Frau ergreift und den betroffenen jungen Mann bittet, einen anderen Platz einzunehmen. Diese Aufforderung wird vom Fahrgast mit „afghanische(n) Wurzeln“ als „rassistisch“ empfunden, da nach seiner Meinung doch die Frau, die die Beleidigungen ausgestoßen habe, den Platz hätte wechseln müssen.

Da die Dame immer noch lauthals ihren Unmut über den vermeintlichen Araber kundtut, informieren andere Fahrgäste die Polizei, die die Dame aus der Bahn hinauskomplimentiert. Der junge Mann erstattet Anzeige wegen rassistischer Beleidigung. Die Rheinbahn nimmt ihre Fahrerin in Schutz und bestreitet ein Fehlverhalten. Was nicht sein darf, kann auch nicht sein, denn „bei uns ist kein Platz für Rassismus“ bemerkt der Rheinbahnsprecher Schumacher.

In den Medien wird die schimpfende Frau als „möglicherweise verwirrt“ beschrieben. Eine erstaunliche Diagnose, zumal in den letzten Jahren die öffentliche Kundgabe, dass Geflüchtete eine Bedrohung des deutschen Volkes seien, hoffähig geworden ist und bestimmt nicht nur einem kranken Hirn entspringt.

Darum wollen wir an dieser Stelle mal einige gängige Argumente aus der rechten Ecke einer rationalen Kritik unterziehen und sie nicht ins Irrenhaus platzieren.

„Mieser Volkscharakter“

Aufmerksame Leser*innen der Bildzeitung und des Express vernehmen tagtäglich die schlimmen Botschaften, was sich hinter den Kulissen urdeutscher Haushalte abspielt: Mord und Totschlag, Körperverletzung und Demütigungen, Vernachlässigung der Kinder und Haue für die widerspenstige bettlägerige Großmutter. Auch erfährt man, dass in den christlichen Gebetshäusern der eine oder andere Pfaffe sich an Ministranten ranmacht und Übungsleiter im Verein sich nicht nur an den sportlichen Höchstleistungen seiner Turner*innen erfreut.

Selbstverständlich sind dies immer bedauerliche Einzelfälle, die mit aller Härte des Gesetzes, das alle Untaten schon gekannt hat, bevor der erste Geflüchtete die bundesdeutsche Grenze überquert hat, verfolgt werden müssen.

Wenn hingegen ein Ausländer, der ohne offizielle Einladung deutschen Boden betritt, sich als Unhold aufspielt, wissen national gesinnte Bürger*innen sofort: So sind sie, „die Araber“. Immer nur Böses haben sie im Sinn. Anstand und Sitte, besonders die deutschen, sind ihnen fern. Und das ist noch längst nicht alles, was man ihnen von rechter Seite vorhält:

„Sie klauen unseren Wohlstand“

Sie nehmen uns unsere Arbeitsplätze und Wohnungen weg, hört man. Dass Arbeits- und Wohnungssuchende in eine Konkurrenz gezwungen werden, ist weder eine Erfindung der gescholtenen Migrant*innen noch der Einheimischen. Der Wettbewerb wird von der Gegenseite, den Arbeitgeber*innen und Vermieter*innen aufgemacht, um die Preise für die Arbeitskraft niedrig und für die Mieten hoch zu halten. So geht deren Gewinnrechnung auf, während die Gegenseite in die Röhre schaut.

Der rechtsgesinnte Mensch meint, dass erst mit den unerwünschten Ausländer*innen die Konkurrenz nicht mehr auszuhalten sei. Erst wenn nur noch Deutsche in den Genuss kämen, von berechnenden Arbeitgeber*innen einem Lohn- und Leistungsvergleich unterworfen zu werden und mit einem Gutteil dessen, was sie davon haben, ihre Vermieter*innen zu bereichern, würde es in Deutschland wieder gemütlich.
Aber der rechte Geist hat noch mehr auf Lager:

„Die Regierung tut alles für die Geflüchtete, und wir gehen leer aus“

Was ist hier gemeint? Wollen die empörten Bürger*innen etwa auch in Ankerzentren oder Containern ihr Leben fristen, mit Integrationskursen gegängelt werden mit der Aussicht, in drei Jahren wieder in eine kaputte Heimat zurückkehren zu müssen?

Nein. Die hier von staatlicher Unterstützung lebenden Migrant*innen sind für sie ein Beleg, dass der Staat das Geld für Unberechtigte verschwendet und es ihnen vorenthält. Der Gedanke, dass er vor der „Flüchtlingswelle“ 2015 keinen Cent mehr erhalten hat, irritiert ihn nicht. Auch die offizielle Festlegung des Hartz-IV-Satzes hat mit der Migrationspolitik nichts zu tun, sondern erfüllt eine Erpressungsfunktion, damit die „Kund*innen“ des Jobcenters sich jeden miesen Job andrehen lassen sollen.

„Deutschland muss Deutschland bleiben“

Wenn die CSU mit dieser Forderung hausieren geht, handelt es sich bestimmt nicht nur um ein wahltaktisches Manöver. Sie verweist einerseits auf angebliche fundamentale Unterschiede und Gegensätze von Menschen mit und ohne deutschem Pass und andererseits auf ein Versagen der Politik, die mit ihrem Multi-Kulti „fremdländischen“ Einflüssen Tür und Tor öffnet. Ihr Gegenkonzept heißt: Gegen Multi-Kulti hilft nur die Leitkultur. „Nicht wir haben uns nach den Zuwanderern zu richten, sondern umgekehrt“, heißt es im Positionspapier der CSU vom September 2016. Und wonach genau sollen sich die Geflüchteten richten?

Da wird es kompliziert, denn die „deutsche Kultur“ stellt sich ziemlich bizarr dar: Während erfolgreiche deutsche Ärzt*innen und Rechts­an­wält*innen am Freitagnachmittag auf dem Golfplatz abhängen, prügeln sich am darauffolgenden Samstag die rechten deutschen „Bushwhackers Düsseldorf“ mit den linken deutschen „Ultras Düsseldorf“. Militante deutsche Veganer*innen attackieren bekennende deutsche Fleischfresser*innen. Deutsche „Zeugen Jehovas“ erkennen, dass der Großteil der ungläubigen Deutschen nach dem Ableben in der Hölle schmachten muss. Die deutsche Kleiderordnung kennt die verschleierte christliche Ordensfrau sowie das freizügige Playmate. Und was bleibt da an „deutscher Kultur“ unter dem Strich übrig? Jeder kann machen, was er will, solange er seine demokratische Herrschaft anerkennt und sich ihr unterwirft, sowie fleißig seinen Lebensunterhalt verdient, den Wohlstand von Kapital und Staat vermehrt und nicht dem Staat auf der Tasche liegt.

Hier sind die Unterschiede zwischen In- und Ausländern verschwunden, denn, vor allem in den unteren Schichten, kämpfen alle um einigermaßen erträgliche Lebensverhältnisse, einen Lohn, mit dem man über die Runden kommt, und eine Wohnung, die einerseits groß genug ist, die Familie unterzubringen und andererseits nicht zum finanziellen Ruin führt. Die Unterwerfung unter das Gesetz ist nicht nur für Bio-Deutsche selbstverständlich, auch der Ausländer kennt von Haus aus die unerbittlichen Sanktionen, die beim Rechtsbruch drohen.

Die vermeintlichen oder tatsächlichen kulturellen Unterschiede dienen als Beleg dafür, dass die Geflüchteten nicht hierher gehören. Und dafür haben die CSU wie auch die übrigen Parteien so einige Maßnahmen auf Lager, um Asylbewerber*innen abzuschrecken, fernzuhalten oder ihnen durch miese Behandlung den Aufenthalt in Deutschland so unangenehm wie möglich zu gestalten.

„Die wollen sich nicht integrieren“

Wer als Flüchtling deutschen Boden betritt, ist darauf angewiesen, wenigsten ein paar Brocken des inländischen Kauderwelsches zu verstehen und zu sprechen. Untereinander sprechen die meisten allerdings ihre eigene Sprache. Darüber beschweren sich die Lehrer*innen, die verlogen aber fürsorglich die mangelnde Bereitschaft zum Erlernen der deutschen Sprache feststellen. Wo Pädagog*innen in der Regel eine nicht erbrachte Leistung ungerührt mit einem satten „ungenügend“ quittieren, sehen sie hier eine generelle Verweigerungshaltung gegenüber dem Bildungssystem mit seinen hehren Werten und einen Angriff auf das moralische Grundgerüst unserer Gesellschaft.

Was geht es uns an, wenn Geflüchtete in der Schule, der Straßenbahn oder in der Warteschlange beim Jobcenter arabisch sprechen? Wollen wir sie etwa belauschen? Nein! Die fremdländische Sprache ist auch hier nur der Beleg, dass es sich um Fremdkörper handelt.

Fazit

Die Hetze gegen Ausländer*innen entspringt einer staatsbürgerlichen Gesinnung, die in der staatlichen Herrschaft eine einzige Fürsorgeeinrichtung erkennt. Sie ist für das Wohlergehen aller Schichten der Bevölkerung zuständig. Grundlegende Interessengegensätze wie zwischen Arbeitgeber*innen und Arbeitnehmer*innen, Vermieter*innen und Mieter*innen, kennt die staatsbürgerliche Gesinnung nicht. Wenn Finanzkapitalist*innen nicht zu gierig sind, Miethaie im Zaum gehalten werden, die Arbeits- und Zahlungsmoral der unteren Abteilung der Gesellschaft stimmt, ist die Welt in Ordnung. Konflikte, glauben die bewussten Staatsbürger *innen, sollen so weit möglich von der Herrschaft einvernehmlich gelöst werden, wobei bisweilen auch gewalttätig nachgeholfen werden muss.

Unerwünschte Ausländer*innen bringen das Gefü­ge in Unordnung. Es mischen sich in die gewachsene Ordnung Kräfte ein, die geeignet sind, das wunderbare System zu zerstören. Zum Beleg dieser wilden These wird kreativ die Realität verbogen. Dazu eignen sich alle tatsächlichen und erfundenen Vorfälle, Charakterisierungen und Verdächtigungen. Ausländer*innen sind für nationalbewussten Staatsbürger*innen der lebende Beweis, dass die Ordnung in „unserem“ Staat gestört ist: Nicht Dazugehörige erhalten hier tatsächlich Rechte und sei es nur das Recht, bis zur Abschiebung im Container dahinzuvegetieren.

Der Staat reagiert auf diese Umtriebe ziemlich unfreundlich. Er ist die Institution, die festlegt, wer hier bleiben darf und wer das Land verlassen muss. Er bestimmt, wie schäbig mit Geflüchteten umgegangen wird, und überlässt das nicht rechten Fanatikern.

Wie er sich die Verfügungsgewalt über viele Eingeborenen nicht nehmen lässt, wenn er sie per Bescheid des Jobcenters auf ihre Rolle als nützliche und billige Arbeitskraft festlegt, so kalkuliert er auch mit den Menschen mit ausländischem Pass. Er passt die Asylgesetzgebung den aktuellen Verhältnissen an und formuliert einen Entwurf eines Einwanderungsgesetzes. Er hat dabei stets das Wohlergehen der Nation im Auge, das der Mehrheit der Bevölkerung zum Schaden gereicht. Dabei beruft er sich zynisch auf seine Wähler, wenn er „im Namen des Volkes“ seine Handlungen rechtfertigt.

Henrici