Hass per Post

Die antisemitischen Zuschriften an die Jüdische Gemeinde in Düsseldorf häufen sich. Auch sonst sehen sich die Mitglieder mit wachsenden Anfeindungen konfrontiert.

„Ihr werdet erwachen aus eurem tiefen Schlaf, wenn ihr JESUS nicht mehr verwirft“, prophezeit ein Brief-Schreiber der Düsseldorfer Jüdischen Gemeinde. Ein anderer lässt sie wissen: „Alles, was jüdisch ist, wird von mir boykottiert.“ Und ein Dritter hält unter dem Betreff „Unsägliche Vergleiche“ fest: „Ihre ewigen unsäglichen Vergleiche mit der Vergangenheit und ihr ständiges Schwingen der Moralkeule dient nur der erzwungenen Freundschaft mit deutschen Politikern und Medien, die sie wie Bundeskanzlerin und Bundespräsident einseitig ideologisch beeinflussen wollen, Statements gegen den angeblichen Antisemitismus abzugeben.“ 135 solcher Zuschriften gingen an der Zietenstraße zwischen 1980 und 2014 ein. Der „Erinnerungsort Alter Schlachthof“ hat sich diese Erzeugnisse jetzt einmal genauer angeschaut und in der kleinen Studie „‚An das Judenzentrum’ – Antisemitische Zuschriften an die Jüdische Gemeinde Düsseldorf 1980 – 2014“ ausgewertet.

Um die Gemeinde selber oder bestimmte Äußerungen ihrer Sprecher*innen geht es in den Briefen fast nie. Zumeist wird die Jüdische Gemeinde pauschal als eine Art Botschaft wahrgenommen, die für alle jüdischen Angelegenheiten zwischen Düsseldorf, Berlin und Tel Aviv zuständig ist. „An den Staat Israel“ geben manche Absender*innen folglich gleich als Adresse an oder richten ihre Postsendungen „An das Judenzentrum“. Und dieser Bogenschlag nimmt eigentlich schon den Antisemitismus vorweg, der dann im Inneren der Umschläge lauert. Der überwiegende Teil der Verfasser*innen zieht es vor, diesen anonym zu äußern, aber immer mehr bekennen sich auch ganz offen dazu und unterzeichnen mit vollem Namen – ein Zeichen dafür, dass der Antisemitismus salonfähiger wird und die Schreiber*innen sich in guter Gesellschaft wähnen.

2014 als Zäsur

„Der Ton ist aggressiver geworden“, konstatierte Michael Szentei-Heise von der Jüdischen Gemeinde am 30. Januar im Weiterbildungszentrum bei der Vorstellung der Studie von Lea Reichel, die passenderweise im Rahmen der Eröffnung der VHS-Ausstellung „‚Du Jude’ – Alltäglicher Antisemitismus in Deutschland“ stattfand. Das Fanal für diese atmosphärische Veränderung setzte der Gaza-Krieg von 2014. Dieser sorgte für mehr Antisemitismus im Allgemeinen und für mehr Zuschriften im Besonderen. Auch zuvor schon waren es äußere Anlässe wie etwa der Israel-Tag in Düsseldorf oder Staatsbesuche von israelischen Politiker*innen in Deutschland, die Ausschläge im Brief-Aufkommen verursachten. Aber nicht nur die Zahl der Zusendungen variiert. Vom Charakter her unterscheiden sich die Schreiben ebenfalls. 55 Prozent der Verfasser*innen rechnete die Historikerin der politischen Mitte zu, 37 Prozent dem rechten Spektrum, drei Prozent dem linken. Dabei hätte er Linke immer als natürliche Verbündete gegen Rechts empfunden, sagte Szentei-Heise zu diesem Thema, erst nach 1967, also dem Sechs-Tage-Krieg, sei das anders geworden. Fünf Prozent der Schriftstücke schließlich waren nicht einzuordnen, bzw. „psychologisch auffällig“.

Antisemitisch äußerten sich zwar alle, die Ausformungen divergierten jedoch. 45 Prozent der Ergüsse fallen für Reichel unter die Kategorie „klassischer Antisemitismus“. „Ihr steht als schmutzige kleine Ethnie da. Zu Recht. Und zwar durch den gesamten Gang der mehr oder weniger aufgezeichneten Geschichte“, zitiert sie als Beispiel aus einem Schreiben. Dieses liefert allerdings auch für den „sekundären Antisemitismus“ Belege (wie sich die Formen überhaupt oft mischen): „Und so hat auch die offizielle Politik von euch Juden jedes Maß, jeden Respekt, jede Zurückhaltung verloren. Insbesondere seit dem Großen Genozid im 20. Jahrhundert, bei dem auch ihr Opfer zu beklagen hattet.“ 16 Prozent der Briefe schreibt Lea Reichel diesem Antisemitismus „nicht trotz, sondern wegen Auschwitz“ (Henryk M. Broder) zu. 27 Prozent – so etwa die Zuschrift, welche die Jüdische Gemeinde als „fünfte Kolonne des Staates Israel“ bezeichnet – subsummiert die Wissenschaftlerin unter „israel-bezogener Antisemitismus“. 12 Prozent der Post wie die eingangs zitierte Jesus-Einlassung rubriziert sie unter „religiöser Antisemitismus“.

Kriminalstatistiken fehlerhaft?

Religiöser Antisemitismus islamistischer Provenienz fand sich unter den Zusendungen nicht. Dieser „manifestiert sich anders“, meinte Joachim Schröder vom Erinnerungsort Alter Schlachthof, der die Untersuchung in Vertretung der Autorin vorstellte. Allerdings taucht ein solcher auch in Aufstellungen kaum auf, die auf breiterer empirischer Grundlage stehen als die Arbeit Lea Reichels. So weisen die offiziellen Kriminalstatistiken ebenfalls nur wenige antisemitische Delikte auf, deren Motive auf „ausländische Ideologie“ oder „religiöse Ideologie“ zurückgehen.

Der Erfahrung nicht nur der Düsseldorfer Juden und Jüdinnen entspricht das allerdings nicht. „Wir registrieren eine massive Häufung in den letzten zwei Jahren“, hält Michael Szentai-Heise in einem NRZ-Interview fest. Mit der zunehmenden Migration bringt der Verwaltungsdirektor der Jüdischen Gemeinde dies jedoch nicht in Verbindung. „Ich will nicht sagen, dass es keine Anfeindungen von Flüchtlingen gibt. Mehrheitlich sind sie aber nicht beteiligt. Die meisten dieser Anfeindungen kommen aus Familien, die schon lange Zeit hier leben. Vielmehr bemerken wir eine Enthemmung von muslimischer Seite seit dem Gaza-Krieg im Jahr 2014“, so Szentai-Heise. Vor allem jüdische Schüler*innen haben darunter zu leiden. Darum haben die Jüdischen Gemeinden das Gespräch mit der Politik gesucht und zumindest bei der nordrhein-westfälischen SPD schon einen Erfolg verbuchen können: Die Partei fordert eine Meldepflicht für antisemitische Vorfälle an Schulen. In Düsseldorf selber existiert mit „Sabra“ bereits eine Anlaufstelle, die NRW-weit solche Taten – nicht nur an Schulen – aufnimmt und zudem noch ein umfangreiches Beratungs- und Service-Angebot bereithält. Die Einrichtung dürfte dann auch über die Beleidigungen und Provokationen Buch führen, denen sich die Sportler*innen von Maccabi Düsseldorf immer wieder ausgesetzt sehen. Szentai-Heise meldet wegen solcher Vorkommnisse Zweifel an den offiziellen Statistiken an. Und da ist er nicht der Einzige. Auch der Antisemitismus-Beauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, räumt der Überprüfung der Zahlen „höchste Priorität“ ein.

Aktuelle Daten für Düsseldorf über den Antisemitismus im Allgemeinen und den mit arabischem oder religiösen Hintergrund im Besonderen liegen noch nicht vor. Die NRZ führte in einem Artikel vom September 2018 mit Berufung auf den nordrhein-westfälischen Verfassungsschutz 61 antisemitische Übergriffe in den vergangenen drei Jahren auf, davon 47 von rechter Seite. Schlagzeilen machte im letzten Juli der Fall eines 17-Jährigen, den eine Gruppe von jungen Männern anging, weil er eine Kippa und einen Israel-Anstecker trug. Eine genaue Täter-Beschreibung, die über „südländisch bzw. nordafrikanisch“ aussehend hinausging, konnte der Schüler allerdings nicht geben. Und einige Publizität erlangten im Oktober 2018 auch die antisemitischen Schmierereien in einer Einkaufsstraße Ratingen-Lintorfs, neben denen die Polizei rechte Flyer fand.

Die Jüdische Gemeinde geht mit all dem offensiv um. Sie versteckt sich nicht, sondern sucht verstärkt die Öffentlichkeit. Sie hat sogar Kontakte zu den Düsseldorfer Muslimen angebahnt und wird am Rosenmontag nun schon zum zweiten Mal mit ihnen gemeinsam auf einem interreligiösen Karnevalswagen stehen.

Jan