TERZ 03.19 – KURDISTAN
Fast ein ganzes Jahr hat das Bundesministerium des Innern (BMI) gebraucht, um die am 8. März 2018 in den Räumlichkeiten des Mezopotamien-Verlages und des MIR-Musikverlages in Neuss hinfortgerazzten Bücher zu lesen und Musik-CDs zu hören. Jetzt will das BMI wissen: Die beiden Verlage sollen „Teilorganisationen“ der PKK sein – und das geht natürlich nicht, hier, in diesem Deutschland.
Am 12. Februar, so lesen wir in der Pressemitteilung aus dem Hause Seehofer, will das Bundesministerium des Innern in Neuss ein Verbot vollstreckt haben – zur „Einhaltung der Rechtsordnung“ im Kampf gegen die „Terrorgefahr“, die von der 1993 in der BRD verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) ausgehe. Nach eigenen Angaben ist die Verbotsverfügung gegen die zwei Verlage „Mezopotamien“ und „MIR“ das erste Vorgehen in dieser Richtung, seit 2008 der vorwiegend kurdisch-sprachige Fernsehsender Roj-TV nach einem Ausstrahlungsverbot durch Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) in Deutschland nicht weitersenden durfte. Wie Roj-TV sollen nun die beiden Neusser Verlagshäuser, in denen deutschsprachige aber auch kurdische Literatur, Kinderbücher, Sachbücher zur Geschichte und Gegenwart der kurdischen Bewegung, ihrer Gesellschaftskonzepte, ihrer Kultur und Kunst verlegt und Musik-CDs kurdischer Künstler*innen produziert und vertrieben werden, nicht mehr weiter existieren dürfen. Mit einer zweiten Razzia räumte die Polizei nun im Februar 2019 die Räumlichkeiten ein weiteres Mal leer, durchsuchte und beschlagnahmte alles, was wegzutragen war. Vor knapp einem Jahr waren die Sicherheitsbehörden zum ersten Mal in den Verlagsgebäuden eingeritten – hatten am 8. März 2018 jedes auffindbare Blatt Papier, jedes Buch, jeden Datenträger, Computer, sämtliche Verlagsunterlagen und ein ganzes Tonstudio rausgeschleppt.
Wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung am 19.2.2019 zu berichten wusste, sollen die vor einem Jahr beschlagnahmten Unterlagen zeigen, dass die beiden Verlage wirtschaftlich von Strukturen der PKK in Europa unterstützt würden – wahlweise anders herum: die PKK ihrerseits mit Geldtransfers versorge.
Beinahe jubelnd beschreiben die Autor*innen des FAZ-Artikels, was ihnen das Innenministerium des Bundes gesteckt haben soll und reiben sich in ihrem Halbseiter die Hände darüber, welch selbstbewusst geführter, souveräner „Schlag“ den Innenbehörden der Bundesrepublik gegen die von ihnen so bezeichneten „PKK-Strukturen in Deutschland gelungen“ sei. Damit habe die Bundesregierung der „Terrororganisation“ hierzulande endlich den „Nachschub“ an ideologischem Rüstzeug abgedreht.
Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) wird es zu schätzen wissen, dass die auflagenstarke Frankfurter Tageszeitung ihm ohne mit der Wimper zu zucken nach dem Mund redet – findet er doch längst, dass „Deutschland weiterhin aktiv“ sein müsse, „die PKK in ihre Schranken zu weisen“. Schließlich ist sie in Deutschland seit 25 Jahren verboten. Als sei der Speichelleckerei noch nicht hinreichend Genüge getan, lassen die FAZ-Autor*innen ihre Verachtung gegenüber kurdischen Strukturen durch alle Buchstaben ihres Textes tropfen. So ergänzen sie in ihrer Beschreibung der Reaktion etwa des Vereins „NAV-DEM“, des „Demokratischen Gesellschaftszentrum der Kurd*innen in Deutschland“, auf die Verbotsverfügung eilfertig noch die Floskel, dass Innenminister Seehofer mit der „Verbotsentscheidung schlicht den gesetzlichen Auftrag“ erfüllt habe.
Doch so einfach ist das alles nicht. Denn es stellt sich – mit kühler Stirn! – ohne Zweifel die Frage, in wessen „Auftrag“ das Innenministerium mit dem Verbot der Verlage da denn nun gehandelt hat. Hier dürfte die Beobachtung durchaus erlaubt sein, dass die Verbotsverfügung im unmittelbaren Vorfeld der Münchner Sicherheitskonferenz vom 15. bis 17. Februar 2019 durchaus ihren Zweck erfüllt haben wird. Denn in München diskutierte nicht zuletzt mit Hulusi Akar, Generalstabschef und Verteidigungsminister in der AKP-Regierung von Recep Tayyip Erdoğan, auch ein „Nato-Partner“ erster Güte mit: Der Empfänger deutscher Waffenlieferungen aus dem Hause Rheinmetall (Düsseldorf), die türkischen Streitkräfte, sind seit Jahrzehnten sehr daran interessiert, die kurdische Bewegung auszulöschen, am liebsten mitsamt ihrer Kultur und ihren politischen Projekten und natürlich auch als Impulsgeber eines antikapitalistischen, internationalistischen Gesellschaftsmodells, wie es in der grenzüberschreitenden Idee des Demokratischen Konföderalismus im vom sogenannten IS befreiten Norden Syriens erste Wurzeln geschlagen hat.
Akar sprach in München mit seinesgleichen, mit Verteidigungsminister*innen und Vertreter*innen der Außenministerien aus Russland, dem Libanon, aus Ägypten und den USA über den „Syrien Konflikt: Strategie oder Tragödie?“. Ein Hohn! Denn mit an Sicherheit (ausgerechnet!) grenzender Wahrscheinlichkeit wird es nicht darum gegangen sein, diejenigen zu benennen, die die westliche Welt und die regionale Zivilbevölkerung vor dem selbsternannten „Islamischen Staat“ gerettet haben. Die Fußsoldaten der Anti-IS-Koalition waren keine geringeren als die Kämpferinnen und Kämpfer der YPJ und YPG – der kurdischen Selbstverteidigungseinheiten. Während andere „Koalitionäre“ für die Freiheit des Westens Luftaufklärung boten und aus sicherer Entfernung Bomben gegen Stellungen des „IS“ abwarfen, starben am Boden die kurdischen Kämpfer*innen in den Angriffen von Daesh („IS“). In Rojava. In Shingal. Für Bodentruppen war dem Westen das eigene Blut zu schade.
Nicht, dass Krieg als Fortsetzung der Diplomatie mit anderen Mitteln auch nur den Hauch einer unüberlegten Legitimation vertrüge. Aber wer sich mit fremden Lorbeeren schmückt, sollte sich wenigstens mit Bigotterie zurückhalten. Wer Panzer und Waffen an die Türkei liefert, weil diese verspricht, ihm „die Flüchtlinge“ an Europas Grenzen vom Hals zu halten, wer Absatzmärkte für deutsche Produkte in Ankara und Istanbul stabil wissen möchte, der sollte wenigstens die Traute haben, zu sagen, was Sache ist: Die Bundesregierung, ihre Waffen-Lobby, ihre Außen-, Innen- und Wirtschaftspolitik kriecht der türkischen Regierung bis ins dunkelste Innere ihres Hinters. Von dort aus tönt Seehofers Stimme hohl: Es geht um unsere Sicherheit! Doch seien wir ehrlich: Um Dich geht es Dir, Deutschland. Um Deine Weltmachtphantasien. Um Dein Wahlvolk und seine Macht, Deine Regierungskoalition durch eine echte blaubraune Variante ersetzen zu wollen. Um Deine Waffen- und Rüstungsindustrie. Um Deine rassistische „German Angst“ vor Menschen, die vor dem Krieg flüchten, den Du mit Deinen Waffen stützt. War starts here, Deutschland, Du mieses Stück Scheiße!
P.S.: Die beiden Verlage haben über ihre Anwält*innen angekündigt, die Verbotsverfügung mit einer Klage vor dem Bundesverwaltungsgericht zu beantworten. „Die Zerschlagung jedes oppositionellen Mediums und das Verbot kritischer Kultur durch das Erdoğan-Regime wird vom Bundesministerium des Innern hinsichtlich der kurdischen Kultur auch auf Deutschland ausgeweitet. Erneut unterstützt damit die Bundesregierung die undemokratische Kurdenpolitik der Türkei“, heißt es seitens der anwaltlichen Vertretung der Verlagshäuser (ANF News, 12.2.2019). Auch die Schriftstellervereinigung PEN-Deutschland sieht in den Verlautbarungen des Innenministeriums keinen Anlass, sich mit deren Erklärung zum Verbot der Verlage zufriedenzugeben und zweifelt an der Rechtmäßigkeit des Verbotes. Die Vereinigung der Schriftsteller*innen fordert Seehofer auf, „die Notwendigkeit der Maßnahme“ zu belegen und „nachvollziehbar“ zu begründen.
Das letzte Wort ist also noch nicht gesprochen. Bis dahin wird uns das Singen und Schreiben und Denken niemand verbieten. Heute nicht. Morgen nicht.
AKKUSTAN – Antifaschistische Koordination Kurdistan Düsseldorf