TERZ 04.19 – BIG BROTHER
Düsseldorf wird smart. Auf dem Weg zur vernetzten Stadt wird die Hoffnung geschürt, durch Digitalisierung alle Probleme von Luftverschmutzung über Parkplatznot bis hin zur Teilhabe am städtischen Leben lösen zu können.
Durch die von Schüler*innen getragenen „Fridays for Future“-Demonstrationen werden seit Wochen die Themen Klimawandel, Nachhaltigkeit und verbliebene Handlungsspielräume medial diskutiert. Auch wenn das eigentliche Anliegen der Schüler*innen oft durch das Skandalisieren ihres „Schulschwänzens“ ins Hintertreffen gerät, werden Entscheidungsträger*innen in Politik und Wirtschaft derzeit regelmäßig an ihre Verantwortung erinnert, auch für nachfolgende Generationen einen weiterhin halbwegs bewohnbaren Planeten zu hinterlassen. Politische Diskussionen um „Zukunft“ haben sich im Mainstream bislang eher auf ökonomische Anschluss- und Wettbewerbsfähigkeit konzentriert. In den letzten Jahren stand hier vor allem das meist völlig unbestimmte Schlagwort „Digitalisierung“ auf der Agenda. Von der Zugsteuerung der Deutschen Bahn über das „digitale“ Klassenzimmer bis hin zum Pflegeroboter oder dem QR-Code auf dem Grabstein kann darunter alles gefasst werden. Auch viele deutsche Städte und Kommunen sollen durchdigitalisiert und „fit für die Zukunft“ gemacht werden. Natürlich teilt man in Düsseldorf dieses Ansinnen, Düsseldorf ist bereits vor einigen Jahren angetreten, „Smart City“ zu werden. Was genau ist aber eine smarte Stadt? Das Deutsche Institut für Normung e.V. (DIN) definiert die Smart Citys als „Siedlungsraum, in dem systemisch (ökologisch, sozial und ökonomisch) nachhaltige Produkte, Dienstleistungen, Technologien, Prozesse und Infrastrukturen eingesetzt werden, in der Regel unterstützt durch hochintegrierte und vernetzte Informations- und Kommunikationstechnologien.“ Das hört sich ganz so an, als sei endlich das Versprechen des Kommunismus eingelöst: die modernen Technologien werden in den Dienst der Menschen gestellt! Der Alltag in der Stadt wird erleichtert, die Luft reiner, der Lärm weniger, der Energieverbrauch minimiert! Das ganze städtische Dasein wird lebenswerter! Im Grunde entspricht die ressourcenschonende und ökologische Stoßrichtung also den neuen Klimaprotesten der Schüler*innen? Als zwar nicht technikfeindliche, aber der bedingungslosen Euphorie nicht mächtige Zeitgenoss*innen wollen wir einen skeptischen Blick auf die Vorhaben in Düsseldorf werfen.
Ende 2016 hat der Rat der Stadt Düsseldorf die Umsetzung einer digitalen Strategie beschlossen. Unter dem Titel „Digital Smart Transparent. Digitale Strategie 2017-2021“ wird vor allem die Digitalisierung der Stadtverwaltung umrissen. Hierbei sollen zum einen die Prozesse in der Stadtverwaltung selbst auf digital umgestellt werden, also beispielsweise die Aktenführung. Zum anderen sollen „Smart City Services“ Dienstleistungen für die Bürger*innen digital anbieten, mit einer „BürgerApp“ die Anliegen per Digital Device erledigt werden können. Es wird unmissverständlich klargemacht, dass personenbezogene Daten dazu umfangreich gespeichert werden müssen, um sie nutzen zu können: „Grundsätzlich auf den Vorteil von Bürgerinnen/Bürgern ausgerichtete Dienste, wie beispielsweise ein Online-Servicekonto, bedingen die Zusammenführung bisher getrennt gespeicherter Daten.“ Zumindest wird in der Digitalen Strategie reflektiert, dass das zu neuen Risiken führt, „die einen sensiblen Umgang mit den Informationen und transparente Hinweise über die Datennutzung erforderlich machen. Trotz des Trends zu Social Media und der häufig anzutreffenden Veröffentlichung persönlicher Daten im Internet gibt es in breiten Teilen der Bevölkerung nicht unberechtigte Vorbehalte bezüglich des Umfangs und der Sicherheit der über sie erhobenen Daten. Diesen Vorbehalten gilt es verantwortungsvoll zu begegnen und in die Überlegungen einzubeziehen.“ (Beachte hier die kleine eingebaute Stichelei: die Leute gehen doch ohnehin völlig arglos mit ihren Daten in sozialen Netzwerken um – da legen sie in puncto Datennutzung bei Verwaltungsprozessen eine andere Messlatte an!? Heuchler*innen!). Datenschutz und IT-Sicherheit werden in der Digitalen Strategie der Stadt Düsseldorf also zwar „miteinbezogen“, erscheinen aber als Aspekt unter vielen, obwohl sie geradezu der Ausgangspunkt von allen Überlegungen zur digitalen Stadt sein sollten! Die Smart City Services möchten die Dienstleistungen der Verwaltung barriereärmer machen und den Zugang zu Informationen durch ihre digitale Form demokratisieren. Gilt denn der gleichberechtigte Zugang zu Informationen auch für diejenigen, die keine BürgerApp nutzen möchten oder kein Smartphone besitzen? Welche neuen Barrieren und welche Abhängigkeiten von einer nicht kostenfreien Technik entstehen dadurch?
Neben den Smart City Services konzentriert sich das smarte Düsseldorf auf die Schwerpunkte „Smart Economy“, „Smart Living“, „Smart Environment“ und natürlich „Smart Mobility“. Große Hoffnungen in Sachen „Mobilität“ und „Umweltschutz“ werden auf Elektro-Autos gesetzt. Als „Düsseldorf Smart City“ arbeitet die Stadtverwaltung mit den beiden Stadttöchtern Rheinbahn und Stadtwerke sowie dem Düsseldorf Airport zusammen. Die Stadtwerke haben so z. B. an öffentlich zugänglichen Orten in der Stadt Tanksäulen für E-Autos zur Verfügung gestellt. In die smarte Sparte „Mobilität“ fällt auch das autonome Fahren, für das auf der Völklinger Straße und rund um den Oberbilker Markt eine Teststrecke eingerichtet wird. Bei der Smart Mobility ist ein begrüßenswerter Grundgedanke aber auch, das eigene Auto unnötig zu machen: durch miteinander vernetzte Angebote des ÖPNV, von Leihrädern und Car-Sharing sollen die Nutzer*innen sich jederzeit und flexibel per App im Stadtraum fortbewegen können. Natürlich nutzen schon heute sehr viele Menschen ÖPNV- oder Bahn-Apps. Dennoch ist auffällig, dass bei allen Überlegungen zur barrierearmen Smart City schlicht vorausgesetzt wird, dass alle Bürger*innen ein App-fähiges Gerät besitzen und informationskompetent genug sind, d.h. sich der möglichen Services auch bedienen können. Zudem drängt sich die Frage auf, ob denn tatsächlich mehr Bürger*innen auf den ÖPNV umsteigen, nur weil es nettere Apps gibt, wenn sich doch an den hohen Fahrpreisen nichts tut.
Ein weiteres Pilotprojekt in Düsseldorf ist die Erprobung smarter Straßenlaternen. Diese sollen gleich mehrere Aufgaben erfüllen: eingebaute Sensoren sollen freie Parkplätze auschecken können und diese dann an Parkwillige melden. Die Hoffnung ist, hierdurch im pendelgeplagten Stadtverkehr die Luft reiner zu halten. Gleichzeitig soll die Intensität der Beleuchtung variieren, zum Beispiel bei einem Rettungseinsatz heller werden können.
Ende 2016 verkündete denn auch Vodafone, dass das Unternehmen gemeinsam mit dem Start-Up ICE-Gateway auf dem Vodafone Campus in Heerdt solche Laternen austesten wird: nicht nur die oben erwähnten freien Parkplätze, auch Staus sollen die intelligenten Dinger an das Vodafone-Mobilfunknetz melden können: anonymisierte Bewegungsdaten werden hierfür analysiert und weiterverarbeitet.
In einem Interview mit dem „digihub“ Düsseldorf-Rheinland berichtet der „Chief Digital Officer“ (!) der Stadt Düsseldorf, Peter Adelskamp, von seiner ziemlich sympathischen Vision eines lebenswerten Düsseldorfs: „Die Stadt ermöglicht durch viele grüne Zonen eine angenehme Nutzung des öffentlichen Raumes (...). Leben und Arbeiten lassen sich je nach Bedarf gut kombinieren oder abgrenzen. Die Menschen sind offen, tolerant, hilfsbereit und aufgrund einer angenehmen Verkehrssituation entspannt. Die Vielfalt der Menschen spiegelt sich in der Vielfalt der kulturellen und gastronomischen Angebote wider.“ Wären wir dabei! Auf dem Weg dorthin allerdings vermutlich nicht – einzig die total vernetzte Stadt wird hier als Lösung für die oft bemühten „Herausforderungen des 21. Jahrhunderts“ präsentiert. Zwar wird eine „lebenswerte Stadt“, werden Umweltschutz und Nachhaltigkeit vorgeschoben, aber wahr ist eben auch, dass es um die Überlebensfähigkeit des „Konzerns Stadt“ geht, um das Mithalten-Können als Wirtschaftsstandort. Das zeigt auch die Vermengung der Ziele und bereits angeschobenen Projekte des smarten Düsseldorfs mit denen von Playern des freien Marktes: das technische Knowhow und die finanziellen Ressourcen können nicht allein von kommunaler Seite aufgebracht werden. Beim „Digitale Stadt Düsseldorf e.V.“ handelt es sich um ein Netzwerk der Informations- und Kommunikationsbranche, in dem rund 270 Unternehmen aus dem Düsseldorfer Raum organisiert sind. Das zeigt: die Smart City ist eben auch ein Riesengeschäft! Die Deutsche Glasfaser, Vodafone oder die Deutsche Telekom treiben den Breitbandausbau in unterversorgten Gebieten Düsseldorfs nicht voran, weil es ihnen so am Herzen liegt, dass auch der hinterste Gewerbepark superschnelles WLan hat, sondern weil sie sehr gut daran verdienen. Ist ja auch okay, aber das ginge doch auch ohne die fadenscheinige Ummäntelung, die Unternehmen böten ihre smarten Lösungen an, weil das gute Leben für alle Städter*innen für sie so unheimlich prioritär ist.
Die Digitalisierung sollte uns nicht nur optimistisch stimmen, vor allen Dingen dann nicht, wenn es um einen gigantischen Eingriff in den öffentlichen Raum geht, wir uns in der Stadt nicht mehr fortbewegen können, ohne dass massenhaft Daten erhoben und verarbeitet werden. Hier kommt noch einmal unser Chief Digital Officer ins Spiel: „Ich möchte mich in Zukunft verstärkt mit der Datenbeschaffung, -analyse und -nutzung im städtischen Umfeld (,Urban Data‘) beschäftigen, damit es der Verwaltung, den Unternehmen sowie den Bürgern und Besuchern unserer Stadt möglich ist, in Zukunft bessere Entscheidungen zu treffen.“ Wir werden von der Verantwortung befreit, selbst zu entscheiden und zu gestalten – das übernehmen unsere Daten und die sie verarbeitenden Systeme. Aber wer garantiert denn, dass alles zu unserem Besten passiert? Dass die intelligenten Straßenlaternen nur anonymisierte Daten zum Parkplatzfinden weitergeben werden? Beim derzeitigen Ausbau des Überwachungsstaates und dem gleichzeitigen Abbau eigentlich selbstverständlicher Bürgerrechte ist es keine Science Fiction, dass künftig auch schnöde Straßenlaternen die Videoüberwachung des öffentlichen Raums übernehmen – zu unserer eigenen Sicherheit, versteht sich. Die Initiative, die sich seit einigen Jahren für den Erhalt der Gaslaternen in Düsseldorf einsetzt bekommt vor diesem Hintergrund ganz neue politische Relevanz.
Mal abgesehen vom Datenschutz und dem schwindenden Recht auf informationelle Selbstbestimmung: was ist eigentlich aus den vielen anderen guten Ansätzen für mehr Teilhabe und eine ökologische Stadt geworden, die es in den letzten Jahrzehnten gab? Wieso werden die nicht mit gleicher Euphorie vorangetrieben? Welchen Plan B gibt es, wenn die flächendeckend vernetzten digitalen Systeme einmal ein paar Stunden ausfallen? Was bedeuten die zusätzlichen Abhängigkeiten von konzernbetriebenen Systemen für unseren Alltag? Wir werden es vermutlich bald herausfinden.