TERZ 04.19 – REPRESSION
Der Ordnungs- und Servicedienst (OSD) und fiftyfifty-Streetworker*innen werfen sich gegenseitig Übergriffigkeit vor. Gegen einen Sozialarbeiter des Obdachlosen-Magazins fand nun der erste Prozess-Termin statt.
Es war voll am ersten Prozesstag am 11. März. Und es dauerte. Die schon mehrfach aufgefallene Amtsrichterin Silke Boriss machte aus dem Gericht erneut eine Hochsicherheitszone. Obwohl sich alle Besucher*innen des Amtsgerichts einer Durchleuchtung unterziehen müssen, war bei der Durchsuchung auch noch Handarbeit angesagt inklusive des Kopierens der Personalpapiere. Die Sicherheitsleute im Saal waren ebenfalls auf Krawall aus und suchten hechelnd nach einer Einsatz-Gelegenheit. Die Besucher*innen nahmen es auf jeden Fall gelassen. Aber die Folge war, dass der Prozess erst mit 40 Minuten Verspätung beginnen konnte. Vor was hat diese Frau eigentlich Angst?
Das Verhältnis zwischen OSD, fiftyfifty und Obdachlosen ist nicht das Beste, weil die Stadt-Sheriffs immer wieder unrechtmäßig – man kann auch sagen selbstherrlich – repressive Maßnahmen verhängen. Die Wohnadresse „fiftyfifty“, die viele Obdachlose angeben, wird von OSDler*innen häufig nicht anerkannt, womit sie sich päpstlicher als der Papst bzw. die Gerichte aufführen. Und das hat praktische Konsequenzen. Weil die Obdachlosen nach Ansicht der Ordnungsdienstler*innen nicht dingfest zu machen sind, ist immer Sofort-Vollzug angesagt: das Beschlagnahmen von Handys, Bargeld oder Musik-Instrumenten, die dann nicht mehr auffindbar sind. Von verbalen und manchmal körperlichen Auseinandersetzungen ganz abgesehen.
Dabei fallen vor allem zwei Mitarbeiter*innen auf: Frau Brecko und Herr Zimmermann. Und welch ein Zufall, genau diese beiden waren in den vorliegenden Fall involviert. Am 8. November letzten Jahres hielten Brecko, Zimmermann und ein weiterer Kollege einen Obdachlosen auf der Mittelstraße ungefähr auf der Höhe des Carlsplatzes an. Der zu 70 Prozent schwerbehinderte Lukasz Szerla fuhr langsam mit dem Fahrrad durch die Fußgängerzone. Ein schweres Verbrechen in den Augen der OSD-Mitarbeiter*innen. Er sollte ein Verwarngeld in Höhe von 15 Euro zahlen. Damit gaben sich die OSDler*innen aber nicht zufrieden. Sie durchsuchten den Mann und stießen auf seine Geldbörse, die 600 Euro enthielt – eine Nachzahlung des Jobcenters. Diese Summe wollten die Ordnungsdienstler*innen gleich komplett beschlagnahmen. In dieser Situation stieß Oliver Ongaro hinzu, der gerade seinen routinemäßigen Streetworkrundgang absolvierte. Ab diesem Moment gehen die Schilderungen weit auseinander. Der OSD beschuldigt den Streetworker, sich massiv in die Maßnahme eingemischt und der Mitarbeiterin den Arm verdreht zu haben. Ongaro hingegen will nur versucht haben, zu vermitteln. Er beschuldigt seinerseits eine OSD-Beschäftigte, ihm zwei Ellbogen-Stöße gegen die Brust versetzt zu haben, als er die Polizei anrufen wollte, weil der OSD sich weigerte, Szerla seine Brieftasche wiederzugeben.
Das Ganze wurde ein Fall für die Gerichte. Das Verfahren gegen Brecko stellten die Richter*innen ein und konnten nur durch ein Klageerzwingungsverfahren dazu veranlasst werden, es wieder aufzunehmen. Beim Prozess gegen Oliver Ongaro stimmten die Zeug*innen Brecko und Zimmermann in den meisten Punkten überein, was nicht weiter verwundert, schließlich hatten sie auch den Bericht zum Vorfall gemeinsam verfasst. In den Schilderungen, wo wer stand, gab es jedoch deutliche Differenzen, die insofern wichtig sind, als in Frage steht, ob Zimmermann damals von seiner Position am Carlsplatz aus überhaupt etwas sehen konnte.
Zimmermann trat recht selbstherrlich auf. Mensch merkte, dass er gerne zur Polizei gegangen wäre, es aber dazu wohl nicht gereicht hat. Er versuchte mehrfach, Ongaro persönlich zu diffamieren, was aber nicht weiter interessierte. Ganz obskur wurde es dann mit dem klassischen „Dritten Mann“, der auch dem OSD angehört. Er gab ausführlich eine weitere Version darüber zum Besten, wie Ongaro der OSD-Mitarbeiterin im Bruchteil einer Sekunde den Arm umgedreht haben soll. Die Richterin Boriss hielt ihm dann die Aussage vor, die er unmittelbar nach dem Vorfall abgegeben hat. Demnach hatte er keinerlei körperliche Auseinandersetzung gesehen und auch sonst nicht viel mitgekriegt. Das sorgte bei den Anwesenden doch für viel Aufregung. Die Staatsanwältin ermahnte ihn, die Wahrheit zu sagen und fragte ihn mehrfach, ob es eine Beeinflussung durch Brecko, Zimmermann oder andere Personen gegeben habe. Er wurde in der Folge immer unsicherer, und nach einer 10-minütigen Pause erklärte er kleinlaut, dass wohl die erste Aussage stimmen müsse. Es war eine klassische Falschaussage, die noch rechtliche Folgen haben könnte. Im Prinzip hätte der Prozess an diesem Punkt abgebrochen werden müssen. Durch diese Aussage sind auch die Aussagen der anderen beiden OSD-Zeug*innen hochgradig unglaubwürdig. Es wurden an diesem Tag noch zwei weitere Zeug*innen gehört, die jeweils noch weitere Ansichten des Vorfalls vortrugen.
Der Prozess wird am 27. März fortgesetzt, leider ist dann die TERZ schon in Druck. Alles andere als eine Einstellung wäre eine Überraschung. Und wenn sich Boriss doch zu einer Verurteilung hinreißen lässt, dürfte diese vor der nächsten Instanz keinen Bestand haben.