Die Agentur für urbane Unordnung präsentiert: Das rote Berlin – Strategien für eine sozialistische Stadt
Dienstag, 18. Juni 2019 • 19.30 Uhr • Zakk • Fichtenstr. 40
Auf einmal wird über Enteignung gesprochen. Noch vor zwei Jahren war dies undenkbar. Jetzt diskutieren Politik und Medien das Für und Wider. Die FDP will dafür sogar das Grundgesetz ändern, denn dort steht die Möglichkeit der Enteignung drin. Ursache für die bundesweite Nervosität von Politiker*innen und der Wirtschaft ist die durchaus realistische Möglichkeit, dass das Berliner Volksbegehren zur Enteignung von Immobilienfirmen die Abstimmung gewinnt. Das nun also wieder über Enteignung und andere Konzepte zum Wohnen ernsthaft diskutiert werden kann, liegt an der Hartnäckigkeit von Initiativen und Mieter*innen bundesweit, die seit Jahren gegen die Immobilienwirtschaft, aber auch gegen die Wohnungspolitik der Kommunen mobil machen. Auch in Düsseldorf treten seit Jahren Aktivist*innen mal mehr, mal weniger in die Öffentlichkeit und fordern eine andere Wohnungspolitik und vor allem niedrige Mieten. Die Agentur für urbane Unordnung hat deshalb die Autoren der Broschüre „Das rote Berlin“ eingeladen, um Wege, Möglichkeiten, Strategien und natürlich den aktuellen Stand des Volksbegehrens zu diskutieren. Als kleinen Vorgeschmack veröffentlichen wir einen Artikel aus der Broschüre, den wir leicht geändert und vor allem gekürzt haben. Die ganze Broschüre steht hier zum Download bereit: https://interventionistische-linke.org/beitrag/das-rote-berlin

Das rote Berlin

Berlin hat Angst. Laut einer Umfrage befürchten 47 Prozent der Berliner*innen, in den nächsten Jahren wegen Mietsteigerungen ihre Wohnung zu verlieren. Die Angst ist begründet, denn insbesondere seit der Finanzkrise 2008 sind die Städte zur Beute geworden – aus aller Welt flüchten Kapital und Investoren ins „Betongold“. Viele Menschen haben begriffen, dass nicht andere Mieter*innen, sondern die Eigentümer*innen das Problem sind: Wohnraum als Ware, die Immobilie als Spekulation sind die Quellen ihrer Angst.

Weil uns die Wohnungen nicht gehören, befürchten wir, jemand könnte sie uns wegnehmen. Doch Wohnraum als Eigentum ist nur für wenige ein Gebrauchswert, den sie selber nutzen. Wer könnte auch 163.000 Wohnungen, davon allein 110.000 in Berlin, selber bewohnen – so viele besitzt die „Deutsche Wohnen AG“. Für diese Firma und viele kleinere Vermieter*innen auch, sind Wohnungen ein reiner Tauschwert, ein Spekulationsobjekt. Gegen sie, nicht gegen selbstgenutztes Wohneigentum, richtet sich unser Kampf.

Wir fordern die Abschaffung des privaten Wohnungsmarkts

Unser Ziel ist ein Ende der Wohnung als Ware – wir fordern die Abschaffung des privaten Wohnungsmarktes. Dafür haben wir im Folgenden einen strategischen Vorschlag entwickelt: eine Reihe von Reformen, die Wohnraum Schritt für Schritt aus privater in öffentliche Hand bringen und demokratisieren sollen. In diesen Vorschlag ist vieles eingeflossen: Ideen von Mieter*innen, die sich gegen Zwangsräumungen, Luxusmodernisierungen, teuren Eigentumsneubau und die Zerstörung ihrer Kieze wehren und dafür Initiativen und Gruppen gegründet haben. In Berlin sind dadurch Mieten, Wohnen und die Stadt als Lebensraum zum Thema Nummer eins geworden. In diesen Kämpfen ist viel strategisches und fachlich-rechtliches Wissen entstanden, etwa bei den Vorschlägen der Initiative Neuer Kommunaler Wohnungsbau (INKW) oder dem Gesetzesentwurf des Mietenvolksentscheid 2015. Nicht von allen Initiativen wurden diese Vorschläge geteilt, oft haben wir parallel statt zusammen gekämpft. Doch immer wenn wir zusammen kamen, dann haben wir auch etwas erreicht.

Wir glauben daher, dass die Zeit reif ist, gemeinsam einen neuen Schritt zu tun und sich eine konkrete Utopie zu eigen zu machen.

Unser Vorschlag richtet sich deshalb an die Menschen, die mit uns auch außerhalb der Parlamente für ein besseres Berlin kämpfen – auch wenn dieser zahlreiche Forderungen an den Staat stellt. Wir schlagen zum Erreichen unserer Ziele drei Schritte vor:

1. Den privaten Wohnungsmarkt zurückdrängen
2. Wohnraum als Gemeingut ausbauen
3. Die Verwaltung der bereits landeseigenen Wohnungen radikal demokratisieren

Das Ergebnis wäre eine Vergesellschaftung – begriffen als Einheit von öffentlichem Eigentum und demokratischer Selbstverwaltung.

Bis dahin ist es ein langer Weg, und vieles, was hier an Ideen auftaucht, wurde woanders schon detaillierter formuliert. Doch was wir in diesem etwas zu lang geratenem Papier diskutieren wollen, ist eine Strategie, die Vorschläge und Teilforderungen vergangener Kämpfe und politischer Debatten zusammen denkt. Wir wollen mit Leben füllen, was viele von uns fordern, aber oft nicht mit konkreten Beispielen und Strategien verbinden können: Enteignung, Selbstverwaltung, nicht-kapitalistische Organisation von Wohnen und Stadt. Wir wollen zeigen, dass diese Forderungen zwar radikal sind, aber keineswegs unrealistisch oder „extrem“.

Sie sind notwendig und umsetzbar. Wir hoffen, dass Ihr, die stadtpolitisch Bewegten, die Mieter*innen und die Wohnungssuchenden, dieses Papier als Diskussionsangebot versteht – und als Möglichkeit, zusammen zu kämpfen.

Was wir wollen

Unsere Vorstellung für eine sozialistische Wohnungspolitik in einem „Roten Berlin“ beginnt mit der Kritik des Immobilienmarktes und des privaten Wohnungseigentums. Wohnungspolitik in (West-)Berlin und der BRD wollte diesen Markt durch öffentliches Eigentum ergänzen, meist auch private Investitionen durch öffentliches Geld locken. Insbesondere Letzteres hat in Berlin zur Herausbildung eines korrupten Filzes aus Bauwirtschaft und Politik geführt. Heute sitzt im Berliner Abgeordnetenhaus keine Partei, die diese Verfilzung von privater Immobilienwirtschaft und staatlicher Politik wirklich trennen will – obwohl es Gegenmodelle gibt: Genossenschaften und auch kommunale Unternehmen zeigen, dass Wohnraumversorgung ohne Profitinteresse günstiger organisiert werden kann.

Ziel muss daher öffentliches und kollektives Eigentum an Wohnraum sein – doch Vergesellschaftung bedeutet für uns mehr als Verstaatlichung. Denn im neoliberalen Staat betreiben auch öffentliche Unternehmen Renditeoptimierung, die Autokratie der Vorstände entzieht sich jeder Kontrolle. Vergesellschaftung bedeutet für uns deshalb Demokratisierung hin zur Selbstverwaltung.

Das wollen wir schrittweise umsetzen. Ein Vorbild ist dabei das „Rote Wien“ der 1920er Jahre, ein anderes die sozialistischen Wohnungsbauprogramme im Berlin der Zwischenkriegszeit. Berlin war einmal Pionier eines besseren Wohnungsbaus in öffentlicher Hand. Der private Markt blieb in Berlin und Wien zwar bestehen und es gab Ausschlüsse und Zugangshürden bei den öffentlichen Wohnungsbeständen. Vieles ging nicht weit genug, die Aufbrüche wurden 1933/34 abgebrochen. Doch genau wie damals muss heute unser erstes Ziel sein, dass das private Immobilienkapital geschwächt wird.

Statt Förderungen für Private wollen wir daher Sand im Getriebe. Neue Steuern auf Immobiliengewinne und Grunderwerb, mehr Kündigungsschutz: Mieter*innenrechte müssen vor Eigentumsprivilegien stehen. Das Spekulieren mit Wohnraum soll erst unattraktiv und letztlich ganz unmöglich gemacht werden. Auch Enteignungen und Besetzungen von Leerstand sind kein Tabu – unsere Strategie will Kämpfe nicht befrieden, sondern zuspitzen. Vor allem soll die Verwertungsgrundlage des Geschäfts mit Wohnraum zerstört werden. Denn wenn Wohnraum als Investition unattraktiv wird, sinken die Preise. Hier kann es gar nicht genug Vorschriften, Regelungen, Steuern und Investitionshindernisse geben.

Wir haben dabei keine Angst vor einem Zusammenbruch der Immobilienpreise, sondern befürworten ihn. Ein Zusammenbruch der Spekulationsspirale, ein schlagartiges Sinken der Kaufpreise für Wohnungen und Häuser wird einige Immobilienfirmen und Investor*innen in die Pleite treiben. Doch nicht durch diese Pleiten werden Mieter*innen verdrängt, sondern durch den Normalbetrieb. Die Zerstörung der Preisspirale im Immobiliengeschäft ist eine Voraussetzung für Rekommunalisierung als ersten Schritt hin zur Vergesellschaftung. Denn nur mit einem Ende der Spekulationspreise kann gekauft werden – das Land Berlin, aber auch Genossenschaften und Akteur*innen wie das Mietshäusersyndikat werden nicht mehr durch Mondpreise behindert. Flankiert werden müssen die Aufkäufe durch Enteignungen insbesondere bei Zweckentfremdung, Mietwucher und spekulativem Leerstand.

Für Aufkauf und Rekommunalisierung müssen bereits jetzt Förderinstrumente wie der Berliner Wohnraumförderfonds ausgebaut werden – öffentliches Geld aus den neuen Steuern soll öffentliches Eigentum erwerben. Agenturen wie die „Bundesanstalt für Immobilienangelegenheiten“ (BImA), die bisher nur privatisieren, sollen neu aufgestellt und zu „Vergesellschaftungsagenturen“ werden. Diese Ziele sind nur durchsetzbar mit einer massiven und engagierten Mieter*innenbewegung. Denn die Interessen des Immobilienkapitals sind tief eingeschrieben in staatliche Strukturen. Wir müssen daher unsere Pläne als gesellschaftliche und außerparlamentarische Opposition auf dem Wege von Teilkämpfen umsetzen.

Die Veränderungsperspektive besteht aus weitertreibenden Reformen, die schrittweise den Handlungsspielraum des Immobilienkapitals einschränken, die Spielräume für kollektives und öffentliches Eigentum erweitern und durch Demokratisierung unsere Kampfbedingungen verbessern. Auch wenn wir dabei Forderungen an den Staat stellen, wissen wir, dass ein Mehr an Demokratie in der Geschichte immer von unten erkämpft wurde. Das wird auch heute der Fall sein. Die Vergesellschaftung von Wohnraum wird nur aus der Gesellschaft heraus möglich sein.

Auch wenn das ein harter Tanz wird, laden wir Euch ein – jetzt ist die Zeit, jetzt ist die Stunde. Aufbauend auf den Kämpfen der Vergangenheit haben wir die Chance, in Berlin und in anderen Städten ein Zeichen zu setzen und eine Wende einzuleiten.

aus der Broschüre „ Das rote Berlin – Strategien für eine sozialistische Stadt“

(Interventionistische Linke)

VERGESELLSCHAFTUNG
Vergesellschaftung ist für uns ein Ziel und ein Prozess: die kollektive (Wieder-)Aneignung von Gütern und Infrastrukturen, die im Kapitalismus in privaten Händen liegen und unter dem Zwang der Kapitalverwertung stehen. Dabei geht es nicht (nur) darum, sie in staatliches Eigentum und staatliche Verwaltung zu überführen (das wäre: Verstaatlichung), sondern sie wirklich in den Dienst und unter die Kontrolle der gesamten Gesellschaft zu stellen. Das gelingt nur durch eine Ausweitung von Ansätzen kollektiver Selbstverwaltung und durch die radikale Demokratisierung der bestehenden staatlichen Institutionen.