Sex – Arbeit – Gesetz

Bereits vor dem Inkrafttreten im Juli 2017 wurde das Prostituiertenschutzgesetz von vielen Seiten kritisiert. Nach zwei Jahren Praxis­erprobung werden nun Bilanzen gezogen: Wie läuft die Umsetzung vor Ort?

Das „Gesetz zur Regulierung des Prostitutionsgewerbes sowie zum Schutz von in der Prostitution tätigen Personen (Prostituiertenschutzgesetz - ProstSchG)“ verrät sein hehres Ziel schon im Namen: Das Gesetz soll Sexarbeiter*innen schützen, also alle Personen, die gegen Entgelt „sexuelle Dienstleistungen“ erbringen (Telefon- oder Internetsex sind aber beispielsweise ausgenommen, weil das Gegenüber nicht räumlich anwesend ist). Verpflichtend ist unter anderem nun, als Sexarbeiter*in bei den Behörden vorstellig zu werden und sich anzumelden. In Düsseldorf passiert das über das Ordnungsamt. Hierfür werden die entsprechenden persönlichen Daten erfasst. Der/die Sexarbeiter*in muss außerdem eine Bescheinigung über eine Beratung beim Gesundheitsamt vorlegen, die jährlich zu wiederholen ist. Sobald ein Ortswechsel der Tätigkeit (nicht des Wohnorts!) erfolgt, muss das erneut bei der entsprechenden Behörde angemeldet werden.

Bereits im Mai dieses Jahres befasste sich der Ausschuss für Frauen und Gleichstellung im Landtag NRW mit dem ProstSchG und legte einen Sachstandbericht vor. Schon in der Einleitung des Berichts wird kritisch angemerkt, dass erhebliche Zweifel daran bestünden, ob das Gesetz seinem Ansinnen, Prostituierten mehr Schutz durch Rechtssicherheit und bessere Arbeitsbedingungen zu bieten, jemals wird nachkommen können – das Land NRW die Umsetzung des Gesetzes aber ungeachtet dessen natürlich trotzdem vorantreibe. Die von vielen Sexarbeiter*innen befürchtete Stigmatisierung durch die Weitergabe ihrer personenbezogenen Daten durch die Meldepflicht wird von der Landesregierung anerkannt. Weil Sexarbeiter*innen sehr oft Arbeits- und Wohnort voneinander trennen, wird aber bemerkt, dass sie bei den Amtsgängen zumindest nicht Gefahr liefen, bekannten Personen zu begegnen oder zu riskieren, dass ihre Daten in ihnen bekannte Hände geraten. Dennoch verraten die tatsächlichen Anmeldezahlen in Nordrhein-Westfalen, dass die Angst vor Stigmatisierung und Ent-Anonymisierung eine reale bleibt: 2018 haben sich etwa 7.300 Personen angemeldet, obwohl die Zahl der Sexarbeiter*innen auf 42.000 geschätzt wird. Befürchtet wird, dass tausende sich ins Dunkelfeld der Sexarbeit zurückziehen und aus Angst vor Behördenzugriff auch Beratungsangebote nicht mehr wahrnehmen. War zuvor eine gesundheitliche Beratung nach dem Infektionsschutzgesetz anonym möglich, sind nun die eigenen Daten anzugeben, weil ja die oben erwähnte Bescheinigung eingeholt werden muss. Auch die Tatsache, dass die Sexarbeiter*innen auf der Arbeit die Bescheinigung – die sowohl ein Lichtbild enthält als auch die Angabe ihrer Tätigkeit – bei sich führen sollen, empfinden viele eher als Gefahr denn als Schutz.

Auch eine Herkunftsfrage

Anfang 2018 hatte „Die Linke“-Ratsfraktion nach konkreten Zahlen aus Düsseldorf gefragt, unter anderem nach der Zahl der in der Stadt tätigen Sexarbeiter*innen. Das Ordnungsamt schätzt diese auf rund 600 Personen, größtenteils Frauen, während großer Messen steige die Zahl rapide. In größeren Etablissements seien vor allem Frauen aus Südosteuropa, bei erotischen Massagen Frauen aus fernöstlichen Ländern tätig. Bis Anfang 2018 hatten sich in Düsseldorf erst 160 Personen (157 Frauen, 3 Transgender) angemeldet.

Die Prostituierten-Beratungsstelle „KOBER“ in Dortmund hat einen umfangreichen Forschungsbericht zum ProstSchG für 2018 erstellt, für den 880 Sexarbeiterinnen (es handelte sich fast ausschließlich um Frauen) befragt wurden.[1] In Bezug auf die Herkunft wurde deutlich, dass der überwiegende Teil der in NRW tätigen Sexarbeiter­innen aus Osteuropa (Rumänien und Bulgarien) und nur 11 % ursprünglich aus Deutschland kommen. In Bezug auf das ProstSchG ist die Herkunftsfrage durchaus relevant: Zum einen, so die KOBER-Studie, gäbe es mitunter große Sprach- und Verständnisschwierigkeiten, so dass die relativ komplizierten und aufwendigen Behördengänge und Anmeldeverfahren nicht vorgenommen würden. Zugleich existiere eine große Sorge vor dem Verlust der Anonymität und eine generelle Behördenskepsis. Viele Sexarbeiterinnen mit Migrationsgeschichte fürchten, dass ihre in NRW aufgenommenen Daten in ihre Heimatorte gelangen, etwa wenn die Post des Finanzamtes an ihre Familienadresse geschickt wird. Angehörige wüssten oftmals nichts von ihrer Tätigkeit als Sexarbeiterinnen in Deutschland. Auch herrsche in vielen Ländern ein repressiverer Umgang mit Prostitution, so dass die Frauen durch die „Enttarnung“ nicht nur familiär in große Schwierigkeiten gelangen können.

Umbau erforderlich

Nach dem ProstSchG muss seit 2017 außerdem eine Erlaubnis für ein Prostitutionsgewerbe eingeholt und ein Betriebskonzept vorgelegt werden. Als Gewerbe gelten hier nicht nur Laufhaus, Escort-Service und Co., sondern bereits ein Zimmer oder eine Wohnung, wenn diese gelegentlich von zwei oder mehr Personen zur Sexarbeit genutzt werden. Die Räumlichkeiten sollen ein Sicherheitssystem und separate sanitäre Anlagen aufweisen, ferner soll es sich um dezidierte „Arbeitszimmer“ handeln, d.h. die Sexarbeiter*innen sollen sie nicht zugleich als Wohn- oder Schlafzimmer nutzen.

Obwohl die Gleichsetzung der Anforderungen für ein Großbordell und einen kleinen „Betrieb“ mit zwei Personen als äußerst problematisch angesehen werden darf, werden in der KOBER-Studie auch positive Effekte des ProstSchG benannt: durch Umbaumaßnahmen hätten sich vielerorts die Arbeitsbedingungen verbessert, da die Sexarbeiter*innen nun Aufenthaltsräume oder Schließfächer nutzen könnten. Auch hätten sich die hygienischen Zustände stark gebessert. Das habe auch positive Auswirkungen auf die körperliche und seelische Gesundheit der Sexarbeiter*innen. Vereinzelt zeigten sich in Bezug auf die Prävention von Ausbeutungsstrukturen ebenfalls einige Erfolge. KOBER schätzt, dass durch die nun gesetzlich eingeführte Kondom-Pflicht sowie durch das Verbot von Gruppensex-Veranstaltungen oder Flatrate-Bordellen besonders menschenunwürdige Geschäftsmodelle eher vereitelt würden.

Bei kleineren Etablissements, etwa bei Apartmentwohnungen oder übersichtlichen Betrieben im ländlichen Raum, kam es jedoch zu präventiven Schließungen. Bei letzteren sahen sich die oft schon älteren Inhaber*innen für die Erfüllung der Auflagen und der erforderlichen Umbaumaßnahmen finanziell nicht gewappnet. Auch die selbstständig agierenden Sexarbeiter*innen fürchteten Geld-Ausfälle durch rückwirkende Einnahme-steuer-Zahlungen oder finanzielle Einbußen durch lange Wartezeiten, bis der Betrieb ordnungsgemäß umgebaut und angemeldet ist. Hier wird deutlich, dass insbesondere solche Modelle, in denen die Sexarbeiter*innen selbstbestimmt oder durch die oft familiäre Atmosphäre in kleinen Betrieben mit einem hohen Sicherheitsgefühl arbeiten konnten, von den negativen Konsequenzen des Gesetzes betroffen sind.

An der Realität vorbei

Die dramatische Schwachstelle des ProstSchG wird von den Beratungsstellen und Fachverbänden offengelegt: Das Gesetz geht an der Realität des am meisten gefährdeten Teils der Sexarbeiter*innen nicht nur vorbei, sondern verschärft ihre prekären Arbeits- und Lebensbedingungen sogar. Gemeinsam mit den anderen Aidshilfen in Nordrhein-Westfalen formulierte die Düsseldorfer Aidshilfe bereits im Mai, dass dringender Handlungsbedarf bestehe, die Folgen des ProstSchG abzumildern. Die Vor-Ort-Arbeit belege, dass der Zugang zu anonymen Beratungs- und Unterstützungsangeboten vor allem von Sexarbeiter*innen, die von Armut, Wohnungslosigkeit oder Flucht betroffen seien, nun teils verunmöglicht würde. Durch das neue Gesetz haben die Ämter eine Kontroll- und Überwachungsfunktion erhalten, die eine Zusammenarbeit mit Fachverbänden und Unterstützungseinrichtungen, die parteilich für Sexarbeiter*innen eintreten, äußerst schwierig mache. In einem Interview mit dem Queer-Magazin „Fresh“ berichtete eine Mitarbeiterin der Düsseldorfer Aidshilfe, dass nicht nur kleinere Betriebe in der Stadt schließen mussten und der Straßenstrich merklich leerer geworden sei, sondern dass tatsächlich auch deutlich weniger Frauen die Beratungsstrukturen nutzten. Es herrsche ein Misstrauen gegenüber den Ämtern, die zuvor Hand in Hand mit den unabhängigen Einrichtungen arbeiten konnten.

Fachverbände und Beratungsstellen wurden nicht in den Prozess der Gesetzesentwicklung miteinbezogen, so dass sich nun die in Teilen tragische Folge der Bürokratisierung zeigt: Diejenigen Sexarbeiter*innen, die aufgrund ihrer prekären Lebens- und Arbeitssituation, beispielsweise aufgrund von Suchterkrankungen, dringend Schutz, Vorsorge und Unterstützung brauchen, entziehen sich der Öffentlichkeit und rutschen verstärkt in illegale und Ausbeutungsstrukturen. Derzeit ist es nicht wahrscheinlich, dass das Gesetz sich den Lebensrealitäten dieser Sexarbeiter*innen annähert, szenespezifische Aspekte integriert oder beispielsweise den von den nordrhein-westfälischen Aidshilfen geforderten Beratungsstrukturen mehr Raum gewährt. Das Problem bleibt also weiterhin nicht die unzureichende „Regulierung“ von Prostitution, sondern die Stigmatisierung von Sexarbeiter*innen.

[1]  KOBER Dortmund: Veränderungen und Auswirkungen durch das ProstSchG auf die Prostitutionsszene in NRW