TERZ 10.19 – NOISE OF ART
Der Kunstpalast zeigt aktuell Gemälde von 10 Künstlern und 3 Künstlerinnen mit DDR-Vergangenheit. Aus diesem Anlass einige Anmerkungen zu Kunst, Staatskunst und Zensur in BRD und DDR.
„Man muss zum Beispiel auch wissen, dass die bekanntesten Künstler in der Bundesrepublik alle in der DDR ausgebildet wurden: Baselitz, Richter, Penck – das sind ja alles Leute von uns. Die haben alle mit mir studiert. Kenne ich alle persönlich“, trumpft Klaus Schwabe auf. Etliche Skulpturen im Öffentlichen DDR-Raum sind von ihm, die bekannteste ist das Karl-Marx-Relief „Aufbruch“ vor der Leipziger Universität. Die Künstler*innen von „Weltgeltung“ – „Das muss man ja och mal wissen!“ – kämen alle aus der DDR. „Die sind bloß eben noch vor der Mauer oder knapp danach nach dem Westen gegangen und seitdem dominieren sie.“
2012 hatten drei Schüler aus Heiligenstadt den Bildhauer für ihren Film „Ist das Kunst oder kann das weg? Quo vadis mit sozialistischer Kunst am Bau aus der DDR“ interviewt. Schwabe, einst Vorsitzender der Sektion Bildhauer im Verband Bildender Künstler der DDR, doziert vor der Kamera: „Also das ganze Schulsystem in der Bundesrepublik, das ist so ungefähr mit dem Amtsantritt von Brandt umgestülpt worden und seitdem stand das Handwerk nicht mehr vorne und seitdem gehts da rund: Konzeptkunst, Installationen, Wäscheleinen spannen, und alles, was es da so gibt – Faschingsdekorationen halt (er lacht).“
Schwafelte Schwabe schon zu DDR-Zeiten so daher oder sind es Spätfolgeschäden von 22 Jahre geistig-moralischer Wende? Schwabe ist einer der Künstler, die in der Ausstellung fehlen.
„Die Ausstellung möchte zwar den Blick auf die DDR-Kunst neu ausrichten, aber trägt selber gar nichts dazu bei“, monierte Carsten Probst auf Deutschlandfunk Kultur. Kunstpalastdiektor Krämer würde doch „wieder nur den westdeutschen Blick bedienen“ und „nur auf das Bekannte zurückzugreifen.“ Programmatisch der Titel des Beitrags: „Am eigenen Anspruch gescheitert“. Beim Gang durch den in einzelne Kojen eingeteilten Ausstellungssaal fühlte ich mich an die Kölner Kunstmesse erinnert. Das Disparateste grenzt hier aneinander. Abstraktes neben Realismus, Expressives neben kühl Konstruiertem. Mit 12 „Positionen“ eine Epoche darstellen zu wollen, ist anmaßend. Zudem ist „Kunstmarkt“ ein westliches Modell und nimmt den Unterschied nicht in den Blick: Steht im Westen das Künstlerindividuum und dessen Biografie im Vordergrund, so war es im Osten das Bild und der Bildgegenstand. Zu den im fünfjährigen Turnus stattfindenden Großen Kunstausstellungen in Dresden kamen 1980 viermal so viele Besucher*innen wie zur Kasseler documenta. Präsentiert wurden nicht ausschließlich Bilder und Skulpturen, sondern auch Karikaturen, Fotos, Kunst am Bau, Möbel, Geschirr, Pressezeichnungen, Druckgrafik – also Gestaltung in einem in der Bauhaustradition stehenden umfassenden Sinne. Arbeitsbrigaden reisten organisiert an. Denn für „Dresden“ gab es Betriebsurlaub. Mit den Werken wurden somit auch jene Teile der Bevölkerung konfrontiert, die sich im Westen gerne einen Hirschen oder einen Bergsee übers Sofa hängen. Ein Clash der Kulturen! Auf diese Situation werde ich in der nächsten TERZ näher eingehen. Im Folgenden nur einige Anmerkungen.
Im repräsentativen Alten Museum auf der Ostberliner Museumsinsel fand im Sommer 1985 die 40. Studioausstellung „Expressivität heute“ statt. Bilder von atemberaubender Frische! Die Werke von Angela Hampel sind gleichermaßen vom Expressionismus wie vom Punk inspiriert, so April A. Eisman im Katalog. Hampel mache „mit ihren kruden, schonungslosen Kassandra-Blättern nach der Christa-Wolf-Erzählung den neuen Expressionismus am sinnfälligsten“, lobte am 8. Juli 1985 eine Rezensentin in der „Neuen Zeit“(DDR). Die Gemälde seien „Evokationen von menschlichen Situationen der Angst, Einsamkeit, der Begierde und der Gewalt.“ Im Kunstpalast zu sehen sind Hampels 1985 entstandene Werke „Medea“, „Judith“, „Schlange“ und „Ein Andalusischer Hund“. Hampels Absicht sei, so April A. Eisman, mit künstlerischen Mitteln „die Tendenz patriarchalischer Gesellschaften zu untersuchen, mächtige Frauen sowohl als gewalttätige Monster als auch als schöne Objekte für den männlichen Blick darzustellen.“
Dürfen wir DDR und BRD als isolierte Systeme betrachten, oder war es nicht vielmehr wie bei kommunizierenden Röhren, dass das, was sich in einem Teil ereignete, auch Auswirkungen auf den anderen hatte? Die Öffnung hin zu expressiveren, freieren Formen im Osten – war es eine Reaktion auf die restaurativen Tendenzen im Westen? Auf Betreiben Kohls war fünf Monate vor der Ausstellungseröffnung von „Expressivität heute“ ein Gemälde in der Kanzlergalerie im Bonner Bundeskanzleramt ausgetauscht worden. Auf diesen Zensurskandal stieß ich erst jetzt bei meinen Recherchen. Der Hintergrund: Im Jahr 1976 war auf Betreiben Helmut Schmidts die Kanzlergalerie im Bundeskanzleramt eingerichtet worden. Jeder Ex-Kanzler sollte sich von einem Künstler nach Wahl in Öl verewigen lassen. Das Kanzleramt verpflichtete sich zur Übernahme sämtlicher Kosten inklusive des Künstler*innenhonorars. Erhardt und Kiesinger wählten den Münchener Prominentenmaler Günter Rittner, Brandt entschied sich für Meistermann. Prof. Dr. Stefanie Lieb vom Kunsthistorischen Institut der Universität zu Köln über diesen Künstler: „Gedemütigt und frustriert über seine Behandlung als verfemter Künstler im Nationalsozialismus und entsetzt über die Kulturpolitik der katholischen Kirche in dieser Zeit, hält sich Meistermann mit nur kleinen Aufträgen bis zum Kriegsende über Wasser.“ Nach 1945 macht er sich für die Reputation der als „entartet“ diffamierten Künstler*inenn stark. Doch das Brandtporträt Meistermanns missfiel Kohl. 1982, kurz nach seinem Einzug ins Kanzleramt, hatte Kohl bei Brandt anrufen lassen. Das Meistermann-Porträt habe „stilistisch einen so eigenen Charakter, dass es nicht in den Rahmen der anderen Porträts“ passe. Brandt gab klein bei, bestellte ein neues Porträt bei dem Düsseldorfer Maler Oswald Petersen. Februar 1985 fand dieser Austausch zumindest einige Resonanz. „Die vertauschten Köpfe“ lautete die Headline in der „Zeit“. Die Beseitigung des Kunstwerks stelle einen „Affront gegenüber Georg Meistermann und der künstlerischen Tradition dar, die durch seine Malerei repräsentiert wird“, empörte sich Hans-Peter Riese. Damit sei „die einzige Verbindung dieser ‚Galerie‘ mit der zeitgenössischen Moderne endgültig – und programmatisch – zerrissen.“
Anlässlich des 100. Geburtstag Meistermanns im Jahr 2011 richtete dessen Geburtsstadt Solingen eine Ausstellung mit seinen Werken aus. Klaus-Henning Rosen, einst Bürochef von Bundeskanzler Willy Brandt, hielt einen Vortrag über das Brandtporträt und dessen Verschwinden. Das Solinger Tageblatt schloss seinen Bericht mit dem Satz: „So kam es, dass Georg Meistermann nicht nur im Nationalsozialismus verfemt wurde, sondern mit seinen Willy-Brandt-Porträts auch in der Bundesrepublik.“
Das von Petersen gemalte Porträt, das als Ersatz für das Meistermannbild in die Galerie Einzug hielt, wirkt steif. Stilistisch ist es derart konventionell, dass es bereits zu Van Goghs und Toulouse Lautrecs Zeiten als verstaubt gegolten hätte. Es atmet den Mief der Adenauerzeit. Es ist also durchaus denkbar, dass diese restaurative Tendenzen in Bonn einen Weg hin zu freieren Tendenzen im Osten eröffneten. Heute wissen wir, dass Helmut Schmidt auf diplomatischem Wege 1984 schon mal vorgefühlt hatte, ob der Leipziger Maler Bernhard Heisig bereit wäre, für die Kanzlergalerie Schmidt zu porträtieren.
1986 saß Helmut Schmidt Bernhard Heisig in Leipzig Modell für eben jenes, für die Kanzlergalerie vorgesehene Porträt. Eins der im Rahmen dieses Auftrags entstandenen Bildnisse ist jetzt im Kunstpalast zu sehen. Es sei eine „umstrittene Entscheidung“ gewesen, Heisig für das Porträt zu gewinnen, sagte Kristina Volke, Referentin des Kurators für Kunst im Deutschen Bundestag, im vergangenen November auf „Deutschlandfunk Kultur“. Denn Heisig habe den „Ruf eines Staatskünstlers“ gehabt, sei „in der Bundesrepublik bei zahlreichen Interviews auch gerne als selbstbewusster Künstler aus der DDR“ aufgetreten. „Ein Kanzlerporträt als Politikum“ lautete der Titel des Beitrags. Schmidt habe stets „mit Kunstsymbolen Politik gemacht“, so Volke. Die Kanzlergalerie zählt sie zu einem von Schmidts drei „großen Kunstprojekten“. Merkwürdig, dass sie den skandalösen Eingriff während Kohls Kanzlerschaft nicht erwähnt. Weiß die Referentin davon nichts oder verschweigt sie es bewusst? Wir lernen: Das Werk eines, von den Nazis mit Ausstellungsverbot belegten Künstlers aus dem Bundeskanzleramt zu entfernen, ist kein Problem; einem als „selbstbewusster Künstler aus der DDR“ auftretenden Maler einen Auftrag zu geben, schon. Obwohl Claudia Jansen im aktuellen Katalog der Kanzlergalerie eine Passage widmet, finden wir darin kein Wort zu der Zensurmaßnahme. Stattdessen versucht sie sich etwas unbeholfen an einer Analogie zwischen dem Schmidtporträt und Heisigs „Brigadier II“, der es 1981 aus Anlass des X. Parteitags der SED immerhin auf die 20-Pfennig-Briefmarke schaffte: „Durch die Zigarette am Schreibtisch, der Darstellung einer Pausensituation am Arbeitsplatz also, reihte der Maler aus der DDR den Kanzler der Bundesrepublik ein in Arbeiterdarstellungen der DDR.“ Warum aber fällt ihr der entscheidende Unterschied nicht auf? Der Kanzler ist als typischer Kopfarbeiter dargestellt. Knapp oberhalb der Gürtellinie ist Schluss. Die antiken Griechen machten dies einst noch radikaler, setzten den Kopf von Sokrates einfach auf einen Marmorsockel. Das Bild des „Brigadier“ endet hingegen weit unter der Gürtellinie. Verschmitzt lächelnd streckt er uns mit der Linken seinen erhobenen Daumen entgegen, während sich die Rechte – etwas verwischt – in seiner Lendengegend befindet.
Thomas Giese
Utopie und Untergang
Kunst in der DDR
bis 5. Januar
Kunstpalast, Ehrenhof
Erwachsene 10 €, ermäßigt 8 €
Jugendl. 13-17: 2 €
Kinder, Düsselpassbes. Etc.: Eintitt frei.
Di.-So.: 11–18 Uhr, Do.: 11–21 Uhr