Utopie und Untergang (Teil II)

Fortsetzung der Notizen zur DDR-Kunst

„Wer in der DDR aufgewachsen ist, kennt sein Bauernkriegs-Panorama bei Bad Frankenhausen“, hieß es im Juli in der „SuperIllu“ anlässlich des 90. Geburtstags des 2004 verstorbenen Werner Tübke. „Das Rundgemälde war eines der größten Kunstprojekte des 20. Jahrhunderts. Allein die Leinwand ist 14 Meter hoch und 123 Meter lang, sie wurde aus Sibirien angeliefert. Elf Jahre arbeitete der Meister mit seinem Künstlerteam an dem Monumentalgemälde, das an historischer Stelle entstand: Hier auf dem Frankenhausener Schlachtberg wurde 1525 das Heer der aufständischen Bauern um Thomas Müntzer von einem Adels- und Landsknechtheer vernichtend geschlagen. 6000 Aufständische gaben ihr Leben.“ Dass dieser Artikel in der „SuperIllu“ erschien, zeigt, wie populär in der DDR Kunst war und im Osten immer noch ist. Bevor das Panoramabild im September 1989 feierlich eingeweiht wurde, hatte der Historiker Golo Mann Gelegenheit, einen Blick auf dieses Opus zu werfen: „Es ist eine Welt, die sich da auftut; Menschenwelt im ersten Drittel des 16. Jahrhunderts. Hatte der Meister Vorbilder, so waren es Maler eben jener Zeit“. Der Historiker ist schier baff: „Überhaupt versagt hier das bloße Wort. Realismus? Ja, doch, der auch. Man sieht die Qual eines aufs Rad Geflochtenen. Man sieht Henker und Gehängte. Man sieht das üppige Leben, Lust und Wollust neuen, reich gewordenen Bürgertums. Stimmig ist auch hier eine Druckerwerkstatt mit von der Partie: Wirklichkeit und Symbol der neuen Großmacht [...].“

Der Malstil ist unverkennbar von Albrecht Dürer, Lucas Cranach, Albrecht Altdorfer beeinflusst. Bruegels „Turmbau zu Babel“ taucht als Bildzitat auf. Mit dessen vielgestaltigen Wimmelbildern hat es die größte Ähnlichkeit. „Bruegels Haltung, die keine Lösungen präsentiert, sondern Fragen stellt“, findet hier ihren Ausdruck. Was Daniela Hammer-Tugendhat über Bruegel sagt, können wir voll und ganz auf Tübkes Panoramabild beziehen. Bruegels Kunst unterscheide sich wesentlich von der jenseits der Alpen, unterstreicht die Wiener Kunsthistorikerin: „In Italien, in der Renaissance ist es allemal das Individuum, was im Zentrum steht, was willensbetont und mächtig dargestellt wird und wo praktisch durch die Perspektive alles auf dieses eine Individuum fokussiert ist.“ Bruegel hingegen zeige uns „keine, auf das Subjekt ausgerichtete, durch die Perspektive geordnete Welt.“ Es sei eine „Pluralität der Ereignisse“, mit der die Betrachtenden konfrontiert würden. Anders als in dem hierarchisch geordneten christ-katholischen Weltbild (bzw. analog dazu der Parteihierarchie der DDR), ist hier keine Perspektive vorgegeben: „Dem Betrachter wird kein klarer Standpunkt zugeordnet. Mühsam müssen wir uns zurechtfinden.“

Zu Bruegels „Turmbau zu Babel“ merkt die Kunsthistorikerin an: „Der Betrachter erfährt, was die Figuren im Bild erfahren. Wenn man das Bild als Ganzes erfasst, kann man unmöglich die Details sehen.“ Beim Blick auf ein Detail verschwinde hingegen der Rest. So werde der Turm „gleichsam zum Sinnbild für das Leben, das in der lebendigen Vielfalt, Heterogenität, Kontingenz und Widersprüchlichkeit für uns niemals erfassbar ist.“ Die Ambiguität von Bruegels Bildern habe bei vielen, so glaubt Hammer-Tugendhat, „zu Irritationen geführt, zur Reflexion angeregt und somit zur Produktion von Subjektivität beigetragen.“ Dies sei 1568 „eine emanzipatorische und mutige Haltung“ gewesen, die Niederlande befanden sich „auf dem Höhepunkt der sozialen und konfessionellen Auseinandersetzungen“: 1566 der calvinistische Bildersturm und 1568 dann die Hinrichtung Egmonts und Horns zusammen mit 8.000 anderen. Dreiundvierzig Jahre vor diesem Massaker waren bei Bad Frankenhausen die 8.000 Aufständischen von dem waffentechnisch und zahlenmäßig überlegenen Fürstenheer niedergemetzelt worden.

In Bruegels Bildern finde sich stets, so die Kunsthistorikerin, „neben einer allgemeinen auch eine aktuelle hochbrisante Kritik“, versteckte Anspielungen auf die Gegenwart. Auch Tübke erzählte, dass er während der Arbeit stets Radio hörte, somit Aktuelles vom Ende des 20. Jahrhunderts automatisch mit in das Werk einflossen.

Historische Persönlichkeiten tauchen in Tübkes Panorama auf. Unter dem riesigen Regenbogen sind Thomas Müntzer, Luther, Cranach, Melanchton zu erkennen. Albrecht Dürer scheint nach jenem Ölbild gefertigt, das einst auf dem westdeutschen Hundertmarkschein in Stahl gestochen war. Der Konflikt zwischen Individuum und gesellschaftlichen Formationen findet sich in all seiner Widersprüchlichkeit real wie auch surreal ins Bild gesetzt.

Nach 1989 hatte es Überlegungen gegeben, das Panorama zu demontieren. Heute jedoch ist es mit jährlich 75.000 bis 90.000 Besucher*innen eines der am häufigsten besichtigten Kunstwerke in Deutschland. „Von Seiten der modernen Kunst weiterhin verachtet, hat sich diese Hinterlassenschaft der DDR gut etabliert“, hieß es am 22. Oktober in einem „Titel, Thesen, Temperamente“-Beitrag.

„Frühbürgerliche Revolution“ im Kunstpalast?

Das Museum Fundatie im niederländischen Zwolle präsentierte 2017 in beiden seiner Häuser die umfassende Werkschau „Werner Tübke – Master Painter between East and West“. Im Haupthaus in der City waren nahezu 100, zum Teil großformatige Ölgemälde, unter diesen auch die fast 15 m breite Vorstudie des Panoramabilds, zu sehen, in der Dependence Kasteel het Nijenhuis Aquarelle und das grafische Werk. Die „Frühbürgerliche Revolution in Deutschland“, so der Originaltitel des Panoramas, wird auf der Fundatie-Museumshomepage als „Sixtinische Kapelle des Nordens“ gefeiert.

In der Tübke gewidmeten Ausstellungskoje des Kunstpalasts hängen jedoch nur sieben Gemälde, unter diesen auch eine Vorstudie zu dem Panoramaopus. Auf der 90 x 70,5 cm großen „Weihnachtsnacht 1524“ von 1978 sehen wir einen in schwarzem Himmel schwebenden Papst mit Eselsohren – ein Motiv, das auf eine zeitgenössische Flugblattdarstellung zurückgeht. Diese Studie eines winzigen Details vermittelt jedoch in keinster Weise einen Eindruck von dem über 3.000 Personen umfassenden Panorama-Wimmelbild.

Das „Cold War Narrative“

In Teil I hatte ich die aktuelle Kunstpalast-Ausstellung mit der Kölner Kunstmesse verglichen. Meine Kritik bezieht sich jedoch nicht auf die ausgestellten Werke. Die sind durchweg – bis auf zwei Arbeiten von A. R. Penck – durchweg erstklassig und allesamt sehenswert. Jeder und jede der Präsentierten hätte eine eigene Ausstellung verdient. Die Kunsthistorikerin April Eisman, Associate Professor an der Iowa State University, Fachgebiet „East German Art“, hatte im vergangenen Jahr auf einer Tagung des „Piotr Piotrowski Center for Research on East-Central European Art“ in Posen beklagt, dass Kurator*innen in Deutschland sich nur allzu selten trauen, die Kunst der DDR aus ihren Depots zu holen. In vielen Köpfen grassiere immer noch das „Cold War narrative“. Sie wies explizit darauf hin, dass die umfassende Tübke-Werkschau von Zwolle von keinem Museum – weder in West-, noch Ostdeutschland – übernommen wurde. Dass der Kunstpalast sich diese hatte entgehen lassen, ist in der Tat nur schwer verständlich, da sich auf diese Weise gut ein Bogen zu der umfangreichen Cranach-Ausstellung, die der Kunstpalast im gleichen Jahr zeigte, hätte schlagen lassen (siehe TERZ 07/08.17 http://terz.org/2017/0708/cranach-museum-kunstpalast.html )

„Lieber vom Leben gezeichnet als von Sitte gemalt“

„Drüben“ hatten nicht allein die Polit- und Kulturfunktionäre Einfluss darauf, was als Kunst in die Ausstellungen kam. Auch die Besucher*innenkritik – sprich: „die Arbeiterklasse“, die in vielen Gemälden auf die Leinwand kam – hatte ein Wörtchen mitzureden. „Lieber vom Leben gezeichnet als von Sitte gemalt“, wurde gespottet. Vehemente Kritik provozierte auch Tübkes Bild „Brigade Schirmer“. Einige Besucher*innen der 7. Dresdner Kunstausstellung glaubten hier „Jesus mit einigen seiner Jünger auf der Baustelle über den letzten Dinge reden zu sehen.“ (Martin Damus) Doch als das monumentale Bauernkriegspanorama, bei welchem auch die Agitationspredigten Luthers und Müntzers gegen Klerus und Ablasshandel eine Rolle spielen, in Angriff genommen wurde, besannen sich die Kulturfunktionär*innen auf Tübke, gewannen ihn zunächst als Berater, übertrugen ihm schließlich auch die Entwurfsarbeit und die Direktion bei der Ausführung.

Dresdner Sezession Gruppe 1919

Die Ostkunst war weitaus vielgestaltiger als es westliche Ideolog*innen wahrhaben wollten. Die US-Kunsthistorikerin Eisman wies in ihrem Vortrag im Piotr Piotrowski Center darauf hin, dass sich Kunst in der DDR im Spannungsfeld zwischen der Sowjet-Doktrin „Sozialistischer Realismus“ und den Traditionen des Expressionismus, der Neuen Sachlichkeit und der politischen Kunst der Weimarer Republik entwickelte. Von Wilhelm Lachnit, der diese Tradition verkörperte, befinden sich drei Gemälde im Kunstpalast.

Der Sohn eines Tischlers hatte ab 1918 die Kunstgewerbeschule in Dresden besucht, trat der Gruppe „Dresdner Sezession Gruppe 1919“ bei, schrieb sich 1921 an der dortigen Hochschule der Bildenden Künste ein, wo er unter anderem Otto Dix kennenlernte. Er trat 1924 in die KPD ein, fertigte ab März 1929 für die Partei Agitationsmaterial, beteiligte sich parallel dazu an Ausstellungen in Paris, Düsseldorf und Amsterdam. Ab 1928 engagierte er sich im „Künstlerkomitee für Volksentscheid gegen Panzerkreuzerbau“, 1929 war er Mitbegründer der Dresdner Ortsgruppe der „Assoziation revolutionärer Künstler“, 1930 der Gruppe „Aktion“. Die Nazis hatten 1933 einen Teil seiner Werke als „entartet“ klassifiziert. Deren Beschlagnahme und seine Verhaftung folgten. Im Anschluss fortwährende Beobachtung durch die Gestapo. In der DDR behielt er seinen eigenen Kopf. Sein 2 m hohes Ölbild „Opfer des Faschismus“, sei „figural und kompositionell eine starke Leistung, doch befremdend wirken der expressionistische Mittel- und Hintergrund“, kritisierte die „Sächsische Volksstimme“. Hauptkritikpunkt: „Der größte Teil seiner Ölbilder verbleibt im Formalistischen.“ Nichtsdestotrotz erhielt Lachnit 1947 eine Professur an der Hochschule für Bildende Künste Dresden, die er im Formalismusstreit 1954 wieder verlor. 1957, also drei Jahre nach seiner Entlassung, wurde „Opfer des Faschismus/Der Tod von Dresden“ von den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden für die Gemäldegalerie „Neue Meister“ angekauft. Dies zeigt, dass DDR-Kulturfunktionär*innen sich zuweilen im Clinch mit ihren Kolleg*innen befanden.

Im Kunstpalast heißt es zu Lachnits Gemälde „Gliederpuppe“ von 1948: „Angesichts der ab 1948 stärker werdenden Eingriffe in die Kunst der DDR“, ließe sich das „Puppen-Sujet“ „auch als Symbol für die Fremdsteuerung deuten.“ Abgesehen davon, dass es 1948 die DDR noch nicht gab, ist es aufgrund von Lachnits Biografie viel wahrscheinlicher, dass der Künstler mit dem Bild auf die sich harmlos und schöngeistig gebenden und nach ‘45 hinter einer Maske sich verbergenden Altnazis anspielte.

Der Ost-West-Konflikt ist in einigen der im Kunstpalast präsentierten Gemälde unmittelbar Thema. Von Penck ein über einen brennenden Steg balancierendes Strichmännchen. „Während in der rechten Bildhälfte Rot und Grau dominieren, reißt links der Himmel auf: Hier warten klare Luft, Sonne, Befreiung.“(Katalogtext) Cornelia Schleime setzt mit ihrem Bild „Der Osten ist grau, der Westen hat auch etwas Farbe“ einen Gegenakzent. Knallig-bunt geht‘s in Wolfgang Mattheuers „Angekommen“ (1990) zu: Die Mauer ist weg, die quietschbunte Neonwerbung beginnt in den Osten hinüberzuwandern. In das Grau des Osthimmels ist ein Regenbogen gemalt.

DDR-Kunst im Westen – das gab‘s 30 Jahre nicht mehr. Als Einstimmung auf den Besuch sei der von Claudia Jansen im Katalog zitierte und im Internet zur Verfügung gestellte Text „Denying Difference to the Post-Socialist Other“ zu empfehlen, ebenso die Videoclips „5 Questions with April Eisman“ und ihr im Piotr Piotrowski Center gehaltener Vortrag „Ideological and Geographical Invisibility: The Western Reception of East German Art“.

Thomas Giese

Utopie und Untergang
Kunst in der DDR

bis 5. Januar 2020

Kunstpalast, Ehrenhof
Erwachsene 10 €, ermäßigt 8 €
Jugendliche (13-17 Jahr): 2 €
Kinder, Düsselpass etc.: Eintritt frei.
Di.-So.: 11–18 Uhr, Do.: 11–21 Uhr


Filmreihe zur Ausstellung Utopie und Untergang. Kunst in der DDR

Ab Fr., 08.11., Black Box, Schulstr. 4

Im Rahmen der Ausstellung „Utopie und Untergang. Kunst in der DDR“, die bis zum 05.01.2020 im Kunstpalast Düsseldorf zu sehen ist, zeigt das Filmmuseum im November eine Filmreihe, die der bildenden Kunst und ihrer Rezeption in der DDR nachspürt. Das Programm nimmt nicht die oft gezeigten DDR-Filmklassiker in den Fokus, sondern zeigt eine Auswahl von DEFA-Filmen, die das Thema der bildenden Kunst unter verschiedensten Aspekten behandeln. So will die Filmreihe keinen westlichen Blick „von außen“ auf das Kunstgeschehen in der DDR werfen, sondern konstituiert sich bewusst subjektiv „von innen“.

Zur Eröffnung der Filmreihe am 08.11. stehen Super-8-Filme auf dem Programm: Seit 1976 bis zum Ende der DDR gab es eine Reihe von Künstler*innnen, die als „filmende Maler*innen“ eine alternative Filmszene bildeten – als Opposition zum institutionalisierten DEFA-Film. Die politische Widerständigkeit dieser Filmwerke lag weniger in den klaren politischen Aussagen als in ihrer filmischen Form – Werke, die als Gegen-Realität zur DDR-Gesellschaft verstanden wurden und deren bloße Existenz politische Aussagekraft hatte.

Gezeigt werden: „Terror in Dresden“ (DDR 1978, 20 min, R/B/K: A. R. Penck und Wolfgang Opitz). A. R. Penck, der den Film gemeinsam mit Wolfgang Opitz realisierte, ist ein „Ost-West-Künstler“: Von der Dresdener Akademie abgelehnt, hielt er sich zunächst mit Gelegenheitsjobs über Wasser. Er entwickelte seinen archaischen Stil in den 1960er-Jahren im Untergrund und erhielt in der DDR Ausstellungsverbot. Ab 1965 vertrat die Kölner Galerie Michael Werner sein Werk, 1972 wurde es auf der documenta 5 in Kassel präsentiert. 1980 wurde er aus der DDR ausgebürgert. Von 1985 bis 2005 hatte Penck eine Professur an der Kunstakademie Düsseldorf.

„Das Nierenbett“ (DDR 1983, 12 min, R/K: Cornelia Schleime). Cornelia Schleime war ab Anfang der 1980er-Jahre Teil der Dresdener Kunstszene. Ihr individueller und sehr weit gefasster Kunstbegriff führte bereits 1981 zu einem Ausstellungsverbot. Im Jahr vor ihrer Ausreise 1984 nach West-Berlin realisierte sie diesen Kurzfilm. Schleime arbeitete als Autorenfilmerin, fertigte die Kostüme bzw. Masken ihrer Darsteller*innen selbst an, arbeitete spontan und ohne Drehbuch – lediglich mit einer Grundstimmung, die sie auf das Filmmaterial zu übertragen versuchte.

„Ostpunk! Too much Future“ (D 2007, 96 min, R: Carsten Fiebeler, Michael Boehlke). Dokumentarfilm über die DDR-Punkszene, die im Kern von Ende der 1970er- bis Anfang der 1980er-Jahre bestand. Der Film dokumentiert ebenfalls die Underground-Kunstszene, die teilweise eng mit dem Punk verknüpft war. So sind auch rebellische Super-8-Filme oder die Malerin Cornelia Schleime am Mikrofon mit ihrer Band Zwitschermaschine zu sehen. In ihrem Gartenatelier ruft sie punk-like „Ick bin ja nur bedingt kompatibel.“ Einführung: Steffen Krautzig (Kurator, Kunstpalast).