TERZ 12.19 – NOISE OF ART
Zu meiner Kritik an der aktuellen Kunstpalastausstellung und meinen Anmerkungen zur DDR-Kunst („Utopie und Untergang“, Teil I und II) erreichte die TERZ die Mail einer Leserin, welche die Redaktion an mich weiterleitete. In meinem Antwortschreiben erläuterte ich: „Wenn in der Ausstellung anhand der 13 Einzelbiografien immer wieder auf Repressionen und staatliche Eingriffe seitens der DDR-Oberen hingewiesen, gleichzeitig aber zu den staatlichen Eingriffen in der BRD geschwiegen wird, wird die Ausstellung zur Propagandaschau - auch wenn dies nicht die Intention des Kunstpalastteams und der an der Ausstellung Beteiligten gewesen sein mag. Bei Rezensenten und Publikum bleibt dann hängen: DDR=schlimm, BRD=Freiheit.“ Viele der Rezensionen belegen, dass die Schau tatsächlich als gegen die DDR ausgerichtet verstanden werden konnte. Zu diesem Missverständnis hat Kurator Steffen Krautzig auch selbst beigetragen. In der WDR-Lokalzeit erläuterte er z.B. zu „Die Flucht des Sisyphos“(1972) von Wolfgang Mattheuer auf diese Weise:
„Es gibt eine Äußerung von ihm selbst, wo er sagt, das könnte man als Kritik am Kapitalismus interpretieren. Aber man kann es auch genau andersherum sehen, dass es eigentlich der Arbeiter ist, der in seinen volkseigenen Betrieb morgens geht und weiß eigentlich gar nicht, was er da macht. Also Kritik an der Planwirtschaft, an der sozialistischen.“
Auf dem Bild ist ein Kahlköpfiger zu sehen, der es aufgegeben hat, den Stein wieder und wieder den Berg hinaufzuschieben. Ist es wirklich nur Zufall, dass die Beine des Davonlaufenden an eine Hakenkreuzform denken lassen? Dürfen wir das Gemälde so interpretieren, dass bereits im Davonrennen, im Sichabwenden die faschistische Ideologie im Keim vorhanden ist?
„Und was ist eigentlich mit dem Titel ‚Utopie und Untergang‘?“, fragte die Leserin in ihrer Mail. Den Titel hatte ich bewusst von der Ausstellung übernommen. „Utopie“ verstehe ich aber weiter gefasst. Zum Beispiel auch als die Utopie der Gleichstellung von Mann und Frau. Die Kunsthistorikerin April Eisman weist in ihrem Katalogbeitrag über die Malerin Angela Hampel, die sich einst in der DDR für die Gleichberechtigung stark machte, explizit auf Rückschritte in diesem Bereich hin:
„Die Gleichstellung der Geschlechter, für die Hampel kämpfte, erlitt jedoch mit der deutschen Wiederverinigung 1990 einen erheblichen Rückschlag, der noch immer nicht überwunden ist. Im Zuge dieses politischen Ereignisses verloren Frauen in Ostdeutschland in weitaus größerer Zahl ihren Arbeitsplatz als ihre männlichen Kollegen; der Zugang zu Geburtenkontrolle und Abtreibung wurde eingeschränkt; die kostenlose Kinderbetreuung wurde abgeschafft. Auch die vielen Künstlerinnen der DDR, die bis Ende der 80er Jahre rund 33 Prozent des VBK ausmachten, wurden bei großen Ausstellungen im Westen weitgehend außer Acht gelassen.“ Im Schlussatz hebt die US-Kunsthistorikerin hervor, dass der etwas höhere Anteil an Künstlerinnen in der aktuellen Kunstpalastausstellung eine erfreulich positive Tendenz darstelle.
Aber unübersehbar bleibt: Im Westen schreibt sich die Spaltung entlang der Klassengrenzen fort. Das Bildungsbürgertum bzw. diejenigen, die sich dafür halten, pilgern alle fünf Jahre weiterhin zur documenta, der Rest wird nach wie vor mit billiger, so genannter „Kaufhauskunst“ abgespeist. Ein Hirsch überm Sofa, ein Liebespaar vor Sonnenuntergang oder ein Clown an der Wand: Fast Food für die ästhetische Bedürfnisbefriedigung!
Kunst in der DDR hatte eine andere Bedeutung. Dem DDR-Künstler Werner Tübke gelang es z.B. mit seinem monumentalen Panoramabild bei Bad Frankenhausen, ein Werk zu schaffen, für das sich ein West-Historiker schon 1987 genauso begeistern konnte wie die SUPERillu-Leser*innen von heute (TERZ 11.19). Mit ca. 100.000 Besucher*innen pro Jahr ist es noch immer eines der meistbesichtigsten Kunstwerke in Deutschland und hinterlässt bei Besucher*innen einen nachhaltigeren Eindruck als sämtliche Folgen von Guido Knopps zdf-history.
Meine Anmerkungen zur DDR-Kunst haben tatsächlich einen blinden Fleck: Die Kunst der Subkultur taucht nicht auf. Dieser blinde Fleck ist jedoch der Ausstellungskonzeption geschuldet. Mit A. R. Penck und Schleime werden im Kunstpalast zwei, die in der DDR-Subkultur zuhause waren, präsentiert, die aber bereits lange vor 1989 „rübergemacht“ hatten, die enge Verzahnung von Subkultur mit jenem trotzigen „Wir bleiben hier!“ also nicht mehr miterlebten.
1990 erschien im KUNSTFORUM International der Aufsatz „Die DDR-Kunst nach Wende, Wahl und Währungsunion“. Darin fand sich die düstere Prognose, „dass die DDR-Künstler künftig ihre Nischen verlieren werden, die das sozialistische System trotz aller möglichen Repressalien und oftmals nur aus schierer Ignoranz bereithielt.“ Weiter hieß es da: „Einen Schonraum stellte es [das sozialistische System] allein deshalb dar, weil – jedenfalls innerhalb der DDR – kein Kunstmarkt existierte, der den Konkurrenzdruck zwischen den Künstlern anheizte. Diese Form der Ruhe, die eben auch für die Künstler galt, die es sich nicht im SED-staatlichen System der Förderungen und Vergünstigungen bequem gemacht hatten, dürfte fortan hinüber sein.“ Diese düstere Prognose hat sich leider bewahrheitet.
Thomas Giese
Utopie und Untergang – Kunst in der DDR
noch bis 5. Januar 2020, Kunstpalast, Ehrenhof
Erwachsene 10 EUR, ermäßigt 8 EUR
Jugendliche (13-17 Jahre): 2 EUR
Kinder, Düsselpass etc.: Eintritt frei
Di. bis So.: 11 bis 18 Uhr, Do.: 11 bis 21 Uhr