TERZ 02.20 – NOISE OF ART
Als 1840 der 25-jährige Emanuel Leutze aus den USA nach Düsseldorf kam, wurde er gleich beim nächsten Karneval mit eingespannt, am Hoppeditz-Denkmal auf dem Karlsplatz mitzupinseln. Und wie steht‘s mit dem Karnevalesk-Subversiven in seinen Bildern?
In seinem monumentalen „Washington Crossing the Delaware“, das heute im American Wing des New Yorker Metropolitan Museum hängt, hat Emanuel Leutze unmittelbar vor den aufrecht im Boot stehenden Washington einen Schwarzen gesetzt. Über dessen Identität wird stets gerätselt, und er ist eine Provokation geblieben. Als 2012 das komplette dreizehnköpfige Restaurations-Team für die Presse vor dem Werk posierte, war der ins Bild Gepinselte der einzige Schwarze auf dem Foto.
Entstanden war das monumentale Werk 1850/51 im leerstehenden Gastraum eines Hotels am heutigen Graf-Adolf-Platz. Als ich 2017 für das Jahrbuch des Forum Vormärzforschung einen Beitrag über Leutzes Amerikabilder verfasste, stieß ich auf einen im Düsseldorfer Journal- und Kreisblatt am 10. Februar 1850, also vor genau 170 Jahren, erschienenen Bericht über die Vorstellung des Entwurfs. In dem werden im Boot rudernde „junge Leute der vornehmen Klasse, deren zarte Hände solcher harten Arbeit nicht gewohnt sind“, erwähnt, „ein Krieger, dessen gemischte Kleidung den Bauer verräth, Neger in Offiziersuniform u.s.w.“ Ein Farbiger in Offiziersuniform? War mir nie aufgefallen. Der wird auch nirgendwo in der Fachliteratur erwähnt.
Tatsächlich trägt der Schwarze die gleiche Uniformjacke wie die anderen Offiziere im Boot. Die Pointe: Während die weißen Offiziersvertreter sich damit begnügen, pathetisch ins flatternde Fahnentuch zu greifen oder ihre Blicke übers Wasser gleiten bzw. in die Ferne schweifen zu lassen, ist der Farbige der einzige unter den Offizieren, der sich mit ganzer Körperkraft ins Zeug legt, damit der Kahn vorankommt.
„I want to know what the ,boys‘ will say of it?“, war Leutzes erste Frage gewesen, als er 1851 mit dem Bild in New York eintraf. Im Bulletin der American Art Union wurde dies kommentiert mit: „Why is not the opinion of the less instructed classes a good test of the higher merits of a great national picture?“ Was haben z. B. New Yorks dock worker zu dem Gemälde gesagt? Immerhin kamen 50.000 Besucher*innen, um es am Broadway zu bestaunen.
Die Düsseldorfer Kunstszene war für ihre Internationalität berühmt. „Schüler und Meister aus allen Weltgegenden seien in Düsseldorf anzutreffen“, hieß es August 1850 in einem Bericht der Leipziger Illustrierten Zeitung. Nordamerikaner, Engländer, Norweger, Franzosen, Russen und Polen. „Artists of all grades or merit meet here on terms of their most perfect and genial social equality“, schwärmte der US-Student Sanford R. Gifford 1856 in einem Brief. Und: „A true brotherhood seems to reign among them.“
Nicht nur bei Leutze, auch in Werken anderer in Düsseldorf lebender US-Maler tauchen oft Schwarze auf. Bei Richard Caton Woodville (Düsseldorfaufenthalt von 1845-1851) sitzen sie vor einem Hotel, stehen im Türrahmen oder blicken mit großen Augen auf den Sonntagsbraten im Herrschaftszimmer. Nicht anders bei Eastman Johnson.
Woher diese Solidarität mit den underdogs? Ein Blick aufs gesellschaftliche Umfeld: Bereits die Freiheitskämpfe in Polen und Griechenland hatten aus dem Rheinland solidarische Unterstützung erhalten. Und Anfang der 40er Jahre wurde mit Unterschriftskampagnen in Köln, Aachen, Trier, Bonn und Düsseldorf für die staatsbürgerliche Gleichstellung der jüdischen Bevölkerung mobilisiert. Beim 7. Rheinischen Provinziallandtag 1843 dann die Debatte über die „Aufhebung des so genannten Juden-Decrets vom 17. März 1808“. Ein Abgeordneter empörte sich gleich im Eingangsreferat darüber, dass immer wieder der angeblich „niedrige Bildungsstand der Juden“ angeführt würde, ihnen die volle Gleichberechtigung vorzuenthalten. Dieses sei aber ein Grund, „der stets bei allen Völkern und zu allen Zeiten vorgeschoben worden ist, wo es galt, die Emancipation einer unterdrückten Menschenklasse zu verhindern.“ Er habe dieses Scheinargument „mehr als einmal in vollem Ernste gegen die Emancipation der Katholiken in Irland vorbringen gehört; wer erinnert sich nicht des nämlichen Einwandes gegen die Emancipation der Griechen in der Türkei? Wer hört ihn nicht noch alltäglich vorbringen gegen die Freistellung der Farbigen in den überseeischen Ansiedlungen der Europäer?“
In den USA mobilisierte 1843 die Anti-Slavery-Society mit der Kampagne „Hundred Conventions“ für die Abschaffung der Sklaverei. Die Erwähnung der „Farbigen in den überseeischen Ansiedlungen der Europäer“ könnte sich also hierauf beziehen. Sicherlich liegt hierin aber die wache Haltung vieler in Düsseldorf lebender US-Maler gegenüber der Diskriminierung begründet.
Die Abgeordneten des 7. Rheinischen Provinziallandtag sprachen sich mit großer Mehrheit für die völlige Gleichstellung von Juden aus. Die Umsetzung des Beschlusses scheiterte jedoch am Veto des preußischen Königs. Und Woodville ging 1851 nach London, Leutze 1863 in die USA, Sanford R. Gifford 1856 nach Rom, kehrte ein Jahr später ebenfalls in die USA zurück, wo er während des Civil War im Rang eines Offiziers gegen die Armeen der Sklavenhalterstaaten kämpfte.
Thomas Giese