Rechtspopulismus in der politischen Bildung

Nach Ansicht von Lukas Boehnke und Malte Thran bekommt mensch die rechtspopulistischen Auffassungen nicht aus den Köpfen der Wutbürger*innen, wenn diese Ideen als antidemokratische „Defizitphänomene“ wahrgenommen werden.

Es bedürfe vielmehr einer politischen Bildung, die auf argumentative Ideologiekritik setze, schreiben die Sozialwissenschaftler Lukas Boehnke und Malte Thran im basalen Aufsatz des Sammelbandes „Rechtspopulismus im Fokus“ (S. 9 ff.), den sie zusammen mit Jacob Wunderwald herausgegeben haben. Als Zielgruppe hat das Trio dabei die Lehrenden, Studierenden und Praktiker*innen in der Politischen Bildung und der Sozialen Arbeit im Blick, die es mit guten Argumenten gegen die AfD zu versorgen gedenkt.

Diese sollen sich auf die krude Eigenlogik der rechtspopulistischen Ideologie einlassen, um deren immanente Widersprüchlichkeit zu kritisieren, meinen die Autor*innen. Analysekompetenz mittels argumentativer Ideologiekritik heißt die Devise. Das eröffnet die Möglichkeit, das rechtspopulistische Gedankengut zu dekonstruieren und für Mitgliederschwund bei der AfD sorgen, frohlocken Boehnke und Thran. Aus der „Defizitperspektive“ heraus sei dies nicht möglich, konstatieren die beiden, da eine solche Herangehensweise lediglich zu einer hilflosen „Moralisierung“ des Phänomens Rechtspopulismus führe. Um den vorgeschlagenen Weg beschreiten zu können, muss den Forscher*innen zufolge aber „das Verständnis der Logik des Rechtspopulismus im Allgemeinen und rechtspopulistischer Standpunkte in besonderen Politikfeldern“ (S. 25) zum Bestandteil der politischen Bildung werden. „[E]in eigenständig denkendes Individuum, das aufgrund eigener Kenntnisse, Haltungen und Interessen sich als politisches Subjekt zu betätigen vermag“ (ebenda), und zwar auch in der Auseinandersetzung mit der menschenunfreundlichen AfD, definieren die Hochschul-Lehrer als Klassenziel.

Jack Weber kritisiert in seinem Beitrag (S. 31 ff.) populäre Begründungsversuche des Erfolges der Rechtspopulist*innen, weil diese die rechtspopulistischen Interpretationen von politischen Problemen nicht in den Fokus stellen. Stattdessen bemängeln sie allerlei Defizite bei den Wähler*innen der Rechtspopulist*innen: Angst, Unsicherheit, Dummheit, Unzufriedenheit, Verführbarkeit. Die Untauglichkeit dieser Deutungsmuster zeigt der Autor auf, indem er zunächst typische Zitate aus Erklärungsansätzen darlegt, dazu Fragen stellt und dann (Gegen-)Thesen formuliert. Beispielsweise präsentiert Weber die gängige Deutung, Bürger*innen hingen rechtspopulistischen Thesen an, weil sie Angst vor Fremden hätten, und zitiert dazu einen Angstforscher: Da Ängste auch im primitiven Teil des Gehirns verarbeitet werden, der im Gegensatz zum intelligenten Teil rationalen Argumenten nicht zugänglich sei, könnten Demagog*innen „primitive Ängste wie Xenophobie leicht auslösen und für sich ausnutzen“ (S. 33). Darauf folgt dann seine (Gegen-)These: „Wenn bei allen Menschen diese physiologische Festlegung auf rechtes Gedankengut bzw. auf primitive Urängste vorhanden ist, dann ist nicht schlüssig zu erklären, warum die einen den rechten Gedanken fassen und teilen und die anderen, die über dieselben Hirnteile verfügen und auch ‚Urängste‘ in sich tragen sollen, nicht.“ (S. 35)

In Anbetracht der Untauglichkeit populärer Deutungsmuster zieht Weber das Fazit, dass man den rechtspopulistischen Wähler*innen die Urteilsfähigkeit nicht absprechen sollte. Vielmehr müsse man zur Kenntnis nehmen, dass sie den rechtspopulistischen Demagog*innen folgen, weil sie deren politische Ansichten für richtig halten. Die Konsequenz daraus sei, „dass an der argumentativen Auseinandersetzung mit diesen politischen Überzeugungen, mit Nationalismus, Rassismus und Ausländerfeindlichkeit, im Kampf gegen den Rechtsruck kein Weg vorbeiführt“. (S. 49)

Auf welche Weise die argumentative Auseinandersetzung mit rechtspopulistischen Interpretationen gesellschaftlicher Phänomene geführt werden kann, lässt sich zum Beispiel in Ina Schildbachs Beitrag (S. 73 ff.) studieren. Der Text befasst sich damit, wie AfD-Ideolog*innen systemische Armut für ihre Agitation instrumentalisieren und was politische Bildung dagegen tun könne. Dabei entfaltet die Autorin eine Kritik an der nationalistischen, aber auch an der staatsfunktionalistischen Perspektive auf Armut, die in der politischen Bildung vorherrsche. Hingewiesen sei schließlich auf den Aufsatz von Lara Möller (S. 215 ff.), der ein weiteres Highlight des Buches ist. Möller thematisiert das „Interventionspotenzial“ politischer Bildung, was auch für Praktiker*innen in der außerschulischen Bildung ertragreich ist.

Dass aber die völkisch-nationalistische AfD durch die bloße Vermittlung von ideologie-theoretischer Analysekompetenz gestoppt werden kann, mutet einigermaßen idealistisch an. Deshalb plädiert beispielsweise Klaus Dörre materialistisch dafür, dass die Ideologiekritik ergänzt werden müsse durch eine „inklusive demokratische Klassenpolitik“, in deren Zentrum die Interessenvertretung aller Lohnabhängigen steht (siehe: Rezension „Proletarisches Trauerspiel“, TERZ 10.19 ).

Franz Anger

Rechtspopulismus im Fokus. Theoretische und praktische Herausforderungen für die politische Bildung
Lukas Boehnke, Malte Thran, Jacob Wunderwald (Hrsg.)
Wiesbaden 2019
Springer VS
272 Seiten
32,99 Euro