TERZ 03.20 – RECHTER RAND
In Düsseldorf gingen am 21. Februar 2020 etwa 1.200 Menschen auf die Straße, um ein Zeichen zu setzen nach den rassistischen Morden von Hanau. Die TERZ dokumentiert den Redebeitrag von „I furiosi“.
Nach dem rassistischen Mordanschlag von Hanau am 19. Februar 2020 versammelten sich bereits am Tag darauf in dutzenden Städten Menschen zu Tausenden, gingen gemeinsam auf die Straße als klares Signal: Rassismus, rechte, rassistische, antisemitische Gewalt darf nicht länger weggeschwiegen werden. Sie soll benannt sein als das, was sie ist: mörderisch. Rassismus tötet. Den Überlebenden, Angehörigen, Betroffenen, den täglich von Rassist*innen Angegriffenen gelten die Gedanken, in Solidarität!
In Düsseldorf rief „Düsseldorf stellt sich quer“ (DSSQ) noch am 20.02. dazu auf, am Abend des nächsten Tages gemeinsam auf die Straße zu gehen: „Solidarität mit den Betroffenen rassistischer Gewalt! Stoppt den rechten Terror“. Hinter diesem Fronttransparent versammelten sich am 21.02. dann auch etwa 1.200 Menschen zum gemeinsamen Demo-Zug durch Oberbilk.
Die Resonanz auf den Aufruf von DSSQ, dem sich viele auch lokal- und landespolitisch engagierte, weithin bekannte Personen anschlossen, war groß. Über der Demonstration und den Kundgebungen lag eine Stimmung des Schulterschlusses, sich gegen Rechts engagieren, extrem rechte Haltungen ausgrenzen und ächten zu wollen, Handlungsräume für Rassismus zu schließen. Das ist wichtig und gut. Ausdrücklich.
Die Reaktionen einiger Vertreter*innen der lokalen Polit- und Zivilgesellschaftsprominenz, die sich gegenüber der hiesigen Presse kritisch zu einer Rede der Düsseldorfer IL-Gruppe „i furiosi“ äußerten, zeigen aber, dass noch lange nicht klar ist, ob wir alle vom selben sprechen, wenn wir uns gegen Rassismus, gegen Ideologien der Ungleichwertigkeit und gegen rechte Haltungen und rechte und rassistische Gewalt wenden. DGB-Funktionärin Sigrid Wolf etwa hielt es für unangemessen, dass der Redebeitrag – der sich u. a. auch mit der bewussten Wahlzusammenarbeit von FDP, CDU und AfD oder dem Mittun von SPD und „Grünen“ an der Verschärfung des Rechts auf Asyl auseinandersetzte – die an der Demo „teilnehmenden Parteien“ beschimpfe. „Heute hätte es nicht um Spaltung gehen sollen“ – sondern darum, der Opfer zu gedenken, zitiert die Rheinische Post die Sprecherin des Düsseldorfer Appells (RP v. 21.02.2020).
Richtig. Es geht darum, den Überlebenden, den Angehörigen, den Freund*innen der Ermordeten zu zeigen, dass wir sie sehen in ihrem Schmerz. Dass wir nicht darüber hinweggehen, dass ihre Kinder, Brüder, Schwestern, ihre Freund*innen ermordet wurden. Neun Menschen mit Namen und Gesichtern, Menschen mit Kindern, Liebsten, Eltern, mit einer Geschichte und einer Idee von ihrer Zukunft. Gedenken und Anteilnahme sind wichtig. Sie setzen ein Zeichen, erleichtern auch unsere Seele. Für heute. Aber wie geht es morgen weiter? Trauern wir in drei Tagen, in zwei Wochen oder in einem Jahr über einen neuen Mord? Wo stehen wir, wenn die Anteilnahme praktisch werden soll, damit ein „Nie wieder!“ endlich wirksam sein möge?
Hier liegt wohl die Tücke – weiterhin – im Externalisieren. Darin, dass wir für rassistische und rechte Gewalt auf „Einzeltäter“ oder auf „die Rechtsextremen“ zu zeigen gewohnt sind. Sie liegt in der irrigen Annahme, Rassismus und „Rechtssein“, das habe nichts mit „mir“ zu tun, habe keinen Platz in unserem beschaulichen Gemeinwesen, sei noch nie mitten unter uns gewesen. Das „Hufeisen“ der „Extremismustheorie“ mag als politischer Kampfbegriff nach wie vor seine Anhänger*innen finden. Aber es wird dadurch nicht weniger falsch, von einer Mitte zu sprechen, die niemals nicht genauso auch Teil des Problems war. Und das Problem heißt: Rassismus.
Wer die Augen davor verschließt, dass der mörderische Rassismus von Hanau, Halle, München, Kassel, Utøya ... nicht (nur) vom rechten Rand einer harmonischen Gesellschaft kommt, wird verwundert sein, wenn „es“ wieder passiert. Dann werden wir wieder Gedenken wollen und müssen. Aber dann ist es einmal mehr: zu spät. Der rassistische Normalzustand aber ist kein Extrem-Phänomen, das wie eine Katastrophe über unsere Gesellschaft hereinbricht. Wenn es sich mörderisch entfaltet, ist es kein Schock. Es ist – ja, so weit weg sind wir vom „Wehret den Anfängen“ bereits: normal – so normal, wie Rassismus mitten unter uns ist. Rassismus ‚passiert‘ jeden Tag, er wird gemacht. Es gibt Handelnde. Die können wir benennen. Wenn wir das tun, dann können wir alle etwas ändern. Vor den nächsten Toten. Bevor wieder Menschen fehlen.
»„Wir sind traurig und wir sind wütend. Traurig sind wir, weil unsere Gedanken nach der gestrigen Nacht bei den Angehörigen der Opfer des rechtsterroristischen Anschlags in Hanau sind. Unter den Toten befinden sich auch mehrere Opfer kurdischer Herkunft. […]
Wütend sind wir, weil die politischen Verantwortlichen in diesem Land sich rechten Netzwerken und Rechtsterrorismus in diesem Land nicht entschieden entgegenstellen: der NSU, der Anschlag von Halle, der Mord an Walter Lübcke und nun der Terroranschlag in Hanau sind das Ergebnis einer staatlichen Politik, welche sich auf dem rechten Auge blind stellt. Die politische Rhetorik der AfD und ihre Verharmlosung durch die Medien und Politiklandschaft bereiten den Nährboden für den rechten Terror in Deutschland.“
Das schrieb der kurdische Dachverband KON-MED am Donnerstag-Vormittag. Menschen aus den migrantischen Communities teilen nicht nur die Trauer, den Schock und den Schmerz, sondern auch die Frage danach, wie es weiter geht, wie sie sich schützen können vor den alltäglichen rassistischen Anfeindungen, tätlichen Übergriffen und neuen Anschlägen auf ihr Leben.
Die Vergangenheit, die Geschichte zeigt, wie bitter und richtig diese Frage ist: Seien es die Anschläge der frühen 1990er Jahre in Rostock, Mölln oder Solingen. Oder die Mordserie des NSU in den 2000er Jahren: Die Opfer, die Betroffenen, die Überlebenden und deren Liebsten standen nicht allein da. Aber davon nicht genug: In allen Fällen kam es sowohl während der Ermittlungen als auch in den Medien zu einer Täter-Opfer-Umkehr. „Dönermorde“, Glücksspiel, Drogenmilieu – wen wundert es, dass die Bild-Zeitung auch gestern als erstes titelte „Terror oder Bandenkrieg“?
[…] Die vielfachen Morde aus rassistischen Motiven, das Gedenken an die Toten bekamen im öffentlichen Gedächtnis der BRD keinen Platz. Über die gescheiterte Aufklärung der NSU-Morde und die beschämende Rolle des Verfassungsschutzes darin müssen wir heute nicht reden. Wir müssen auch nicht über den Täter reden. Ein Rassist und Antisemit, augenscheinlich psychotisch, legal im Besitz von Waffen […].«
»Worüber wir reden wollen, ist der gesellschaftliche Umgang mit dem Attentat. Der hessische Innenminister Peter Beuth sprach [am Morgen nach den rassistischen Morden] erst nur von einem „Terrorverdacht“, fügte dann nur zögerlich hinzu, es gäbe Hinweise auf „fremdenfeindliche Motive“. Schon dieser Begriff ist komplett daneben, zeigt er doch, wie der CDU-Mann denkt, wenn er unsere Nachbar*innen, Kioskbesitzer*innen und Kolleg*innen als „Fremde“ bezeichnet. Erst gegen Mittag, nachdem einzelne Politiker*innen von Rassismus und von einer Brandmauer gegen die AfD twitterten, wird auch Beuth gesehen haben, dass es sich um einen Fall von Rechtsterrorismus handelt. Es ist der gleiche Landesinnenminister, der trotz diverser Fälle tödlicher rechter Gewalt ein Programm gegen Linksextremismus auflegen ließ.
Erst eine Woche zuvor meldeten die Nachrichtenagenturen, dass Ermittler*innen eine rechtsterroristische Zelle ausgehoben haben. Die 12 Tatverdächtigen stammten aus mehreren Bundesländern, ein Verdächtiger ist ein Polizeibeamter aus NRW. Eine Spur hat ihren Ursprung auch in Düsseldorf.
Auch hier ist eine immer stärkere Radikalisierung und Gewaltbereitschaft der extremen Rechten festzustellen. Ausdruck findet diese Entwicklung unter anderem in der „Bruderschaft Deutschland“, die sich immer mehr überregional vernetzt und ihre Strukturen ausbaut. Und so verwundert es auch nicht, dass mindestens ein Mitglied dieser Gruppierung nun als „mitgliedschaftlich Beteiligter“ einer „rechtsterroristischen Vereinigung“ festgenommen wurde. Die Generalbundesanwaltschaft geht davon aus, dass diese Gruppe „Anschläge auf Politiker, Asylsuchende und Personen muslimischen Glaubens“ geplant habe, um „bürgerkriegsähnliche Zustände“ herbeizuführen.«
»Eine Sache springt ins Auge: Ebenso wie beim sogenannten „NSU 2.0“ und bei der extrem rechten Prepper-Gruppe Nordkreuz, die zum Terrornetzwerk Hannibal zählt, ist auch in diesem Fall mindestens ein Angehöriger der Polizei involviert. [...]
Selbst wenn die nunmehr abgedankte CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer den Anschlag verurteilt hat und eine Abgrenzung gegenüber der AfD und deren menschenfressender Ideologie fordert: Es ist ihre eigene Partei, die der AfD in Thüringen in den Hintern gekrochen ist, ihre eigene Partei, die die Werteunion in ihren Reihen hat, eine CDU, die in Teilen ganz offen mit der AfD sympathisiert. Auch SPD und Grüne prägen und bedienen einen rassistischen Diskurs um Migrationspolitik: An den Verschärfungen der Asylgesetze, die jeden Tag tödliche Folgen haben, waren und sind sie beteiligt.
Es ist zwar richtig, dass die ständige Hetze der AfD viele Tabus gebrochen hat. […] Dass die AfD das Klima schafft, in dem Menschen meinen, sich gegen einen vermeintlichen „Volkstod“ verteidigen zu müssen. Doch dieses Problem kommt keineswegs vom rechten Rand. Die Idee, dass die Demokratie von extremistischen Rändern in Mangel genommen werde, ist falsch.
Tatsache ist: Die Menschen sind es, die in die Mangel genommen werden. Menschen, denen ihr „Deutschsein“ aus irgendwelchen Gründen von Neofaschist*innen abgesprochen wird. Es sind hessische deutsche Polizeibeamt*innen, Thüringer Landtagsabgeordnete, bayrische Reichsbürger*innen, Düsseldorfer Neonazis, sächsische Innenministeriumsmitarbeiter, ein Kölner CDU-Kommunalpolitiker, die im Gleichklang handeln. Die sich gezielt verbünden, organisieren, trainieren und bewaffnen, um das Leben vom Menschen, die sie als weniger wert einstufen, zu bedrohen. Sie morden. In Kiosken, auf der Straße vor einem Imbiss. Sie […] beschießen Synagogen-Türen und stellen Sprengstoff her, um Moscheen in die Luft zu jagen. Sie hetzen Menschen durch Straßen und zünden Wohnhäuser an. AfD-Mitglieder arbeiten in Stadtverwaltungen und Behörden, Bruderschaftler bei den Stadtwerken und in Handwerksbetrieben. Kurz: Sie sind überall vertreten und sitzen nicht an irgendwelchen Rändern. Sie sind Teil der imaginären Mitte. Wie naiv – oder in voller politischer Absicht planvoll – muss man sein, um der ohnehin wissenschaftlich umstrittenen Extremismustheorie weiterhin Glauben zu schenken?«
»Lasst uns dafür kämpfen, dass die Gefahr von rechts endlich ernst genommen wird und nicht mehr verharmlost, individualisiert und als psychische Krankheit dargestellt wird, egal ob sie als vermeintlich virtueller Hass im Netz erscheint und oder auf der Straße sichtbar wird.
Wir müssen ein Denken und ein Handeln entgegensetzen, dass klar antifaschistisch ist. Wir müssen uns einsetzen und aufstehen für eine offene und plurale Gesellschaft. Eine Gesellschaft, in der Grenzen nicht zwischen Nationen, Ethnien oder Religionen, zwischen unten und oben, verlaufen, sondern zwischen Antifaschist*innen und Arschlöchern und solchen, die sie schützen und stärken.
Wir müssen die Geschichte der Migration feiern und wertschätzen. Wir müssen uns verbünden mit allen, die potentielle Opfer von rechtem Terror sind und sagen: „Bleibt, wir sind an eurer Seite.“ Wir müssen unsere Shisha-Bars und Imbiss-Buden, unsere Moscheen und Synagogen schützen und verteidigen. Wir müssen allen Menschen, die von rechter Gewalt bedroht werden, laut und offen sagen: Wenn sie Euch angreifen, wenn sie Euch schlagen, dann sind wir da und schlagen gemeinsam zurück.
Erst recht, wenn der Staat versagt, erst recht, wenn ach so demokratische Parteien den Rechten der Macht wegen in den Hintern kriechen, erst recht wenn Politik und Medien der angeblichen Mitte selbst Rassismus verbreiten, erst recht, wenn Leute in Behörden, die uns schützen sollen, selbst neofaschistische Täter*innen sind.
Wer jetzt nicht kapiert, dass es an der Zeit ist, mutig zu sein, Haltung zu beziehen, zu handeln und für einen entschlossenen, zivilgesellschaftlichen Antifaschismus und Antirassismus einzutreten, hat all die Schüsse von Halle bis Hanau nicht gehört. Oder, noch schlimmer: hat sie nicht hören wollen.
Ja, wir sind Antifaschist*innen. Macht mit und seid dabei!
Alerta antifaschista!