TERZ 06.20 – HSD-SEITE
Der Antifa-Arbeitskreis an der HSD informiert
Leider muss unsere für den 30. Juni 2020 geplante Veranstaltung in unserer Reihe INPUT ausfallen. Geplant war ein Vortrag zur extremen Rechten in Kroatien. Da unser Referent aber in London lebt und seine Reise vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie mit nicht zumutbaren Auflagen verbunden wäre, haben wir die Veranstaltung abgesagt. Stattdessen hier der Versuch einer Annäherung an das Thema.
Die Messe, die Erzbischof Vinko Puljić am 16. Mai 2020 in der katholischen Kathedrale der bosnischen Hauptstadt Sarajevo abhielt, trieb Tausende auf die Straßen. Puljić hatte sich bereit erklärt, eine Ersatzveranstaltung für das jährliche Gedenken im österreichischen Bleiburg durchzuführen; dort erinnern jedes Frühjahr kroatische Nationalisten an NS-Kollaborateure von der faschistischen Ustaša, die in der Nähe des Orts von jugoslawischen Partisanen für ihre Kollaborationsverbrechen hingerichtet worden waren. Das Gedenken, an dem immer wieder auch nicht kroatische Aktivisten der extremen Rechten teilnehmen, war dieses Jahr wegen der Covid-19-Pandemie untersagt worden; Puljić zelebrierte jetzt im Namen der Bischofskonferenzen Bosniens sowie Kroatiens eine Gedenkmesse und sprach sich dabei dafür aus, „alle Opfer des Zweiten Weltkriegs“ in gleichem Maße zu „respektieren“. NS-Kollaborateure respektieren? Das kam in Sarajevo, wo während des Zweiten Weltkriegs mehr als 10.000 Personen dem Ustaša-Terror zum Opfer gefallen waren, nicht gut an. Puljić waltete in der Kathedrale unter Polizeischutz seines Amtes.
Die katholische Amtskirche als Trägerin des Gedenkens an NS-Kollaborateure, als Organisatorin für Veranstaltungen der extremen Rechten – das ist in Kroatien nichts Ungewöhnliches. Bereits die historische Ustaša, die eng mit NS-Deutschland kollaborierte und dafür nach der Zerschlagung Jugoslawiens durch Berlin 1941 mit ihrem eigenen Staat, dem „Unabhängigen Staat Kroatien“, belohnt wurde, war recht eng mit dem kroatischen Katholizismus verbandelt. Die extreme Rechte ist in Kroatien auch sonst bestens vernetzt. Das liegt nicht zuletzt daran, dass sie auch bei der zweiten Zerschlagung Jugoslawiens in den 1990er Jahren eine herausragende Rolle spielte. Franjo Tudjman, Gründungspräsident des neuen Kroatien, stützte sich in den damaligen Kriegen unter anderem auf das rechte kroatische Exil vor allem in der BRD, in dem emigrierte Ustaša-Faschisten eine prägende Position eingenommen hatten, darüber hinaus aber auch auf einheimische Milizionäre, die im Kampf gegen Serbien ihrerseits zu Ustaša-Vorbildern griffen. Einer von ihnen war Marko Perković, der, um die kroatischen Milizen anzufeuern, zum Musiker wurde und mit seinen Songs, die regelmäßig kroatische Faschisten verherrlichen, rasch populär wurde. Das ist er noch heute: Zu Konzerten seiner Band Thompson kommen Zehntausende.
Unter Tudjman hat in Kroatien bereits in den 1990er Jahren eine offizielle Umwertung der Geschichte begonnen, die positive Bezüge zur Ustaša herstellt. Sie hat – so hat es der Journalist Gregor Mayer einmal beschrieben – „Eingang in die Schulbücher“ gefunden und ist heute „im Bewusstsein von weiten Teilen der Öffentlichkeit in Kroatien stark verankert“. Schon äußerlich erkennbar wird dies an der Anwendung der Grußparole „Za dom – spremni!“, „Für die Heimat - bereit!“, die im heutigen Kroatien wieder verbreitet ist. Kroatische Fußballspieler fielen damit im Sommer 2018 während der Fußball-WM auf; Davor Šuker, der Präsident des kroatischen Fußballverbandes, hatte sich sogar am Grab von Ustaša-Führer Ante Pavelić fotografieren lassen. „Leuchtender Stern über Metković, grüß uns den Ante Pavelić“: So lautet ein beliebter Liedvers, den Perković/Thompson singt. Selbst mächtige Institutionen treiben den Revisionismus voran. So findet das Ustaša-Gedenken in Bleiburg seit 2003 unter dem offiziellen Patronat der kroatischen Bischofskonferenz statt, und mittlerweile hat noch zusätzlich das kroatische Parlament den „Ehrenschutz“ für die Veranstaltung übernommen. Anfang 2016 machte Schlagzeilen, dass Zlatko Hasanbegović zum Kulturminister Kroatiens ernannt wurde. Hasanbegović war in den 1990er Jahren Mitglied der faschistischen Partei HČSP /Kroatische Reine Rechtspartei gewesen; er war bemüht, die bosnisch-muslimische Waffen-SS-Division Handschar positiv zu bewerten. Allein Ärger aus dem Ausland kostete ihn schließlich das Amt.
Die Umwertung der Geschichte geht mit einem Erstarken des Rassismus einher, der sich in Kroatien stark gegen Serb*innen richtet. Ein Beispiel: Im Jahr 2014 überfielen kroatische Nationalisten ein Café in Vukovar, einer Grenzstadt zu Serbien, das von Angehörigen der serbischen Minderheit betrieben und frequentiert wurde. Die Besitzer wurden schwer verletzt. Rechte Umtriebe sind mittlerweile so virulent, dass im Mai 2018 die Antirassismus-Kommission des Europarats ungewöhnlich deutliche Worte fand. In der kroatischen Öffentlichkeit nehme „rassistische und intolerante Hassrede“ massiv zu, hieß es in einem Bericht der Kommission; „Hauptziele“ bei den Attacken seien „Serben, LGBT und Roma“. Physische Angriffe auf Minderheiten würden von der Justiz meist nur als geringfügige Vergehen eingestuft. „Besonders unter jungen Leuten“ nehme der Nationalismus zu. Der Bericht bestätigt: Die extreme Rechte hat in Kroatien Konjunktur, und zwar nicht nur in subkulturellen Milieus, auch in einflussreichen Institutionen und in Staatsorganen.
Lesetipp
Jörg Kronauer: „Grüß uns den Ante Pavelić!“ In: LOTTA #76, Herbst 2019. https://lotta-magazin.de/ausgabe/76/gr-uns-den-ante-paveli