29.09.2018 – Amad Ahmad – Unvergessen

Am 22. September 2020 will der Parlamentarische Untersuchungsausschuss III – der „PUA Kleve“ – nach der Sommerpause in 23. Sitzung mit der Befragung von Zeug*innen fortfahren. Nach wie vor ist es seine Aufgabe, für Aufklärung darüber zu sorgen, warum Amad Ahmad im Sommer 2018 für Monate in der Justizvollzugsanstalt Kleve seiner Freiheit beraubt wurde – und warum er im September 2018 in Haft starb.

Zwei Monate vorher, im Juli 2018, wurde Amad Ahmad in Polzeigewahrsam genommen. Die Beamt*innen hielten ihn zunächst fest, weil die Tochter eines Verkehrspolizisten ihren Vater angerufen und ihm berichtet hatte, sie und drei ihrer Freundinnen würden an einem Badesee belästigt. Eine der drei jungen Frauen, die Amad Ahmad an diesem Sommertag am See getroffen hatte, sagte später im PUA aus: Sie hätten sich zuerst unterhalten, dann aber zu streiten begonnen. Darum hätten sie ihm Angst machen, ihm drohen wollen damit, die Polizei zu rufen – gefolgt von dem Anruf auf dem Diensttelefon des Polizisten H.

Der Vater schickte seine Kollegen zum Badesee. Bei seiner Aussage im PUA zeigte er sich – wenig überzeugend – merkwürdig unbeeindruckt davon, dass es seine eigene Tochter war, die vorgeblich Opfer einer Belästigung geworden sei. So wurde Amad Ahmad am 6. Juli 2018 von Streifenbeamten auf das Polizeirevier in Geldern gebracht. Von diesem Moment an sollte er nie wieder frei sein.

Noch am Abend wurde er in der Justizvollzugsanstalt Geldern, vier Tage später in der JVA Kleve inhaftiert. Nun allerdings vorgeblich unter der Annahme, dass gegen ihn ein Haftbefehl wegen Diebstahlsdelikten vorläge. Knapp zweieinhalb Monate verblieb er unrechtmäßig in Haft. Am 17. September 2018 brannte sein Haftraum. Die Brandfolgen überlebte Amad Ahmad nicht.

Nicht verwechselt

Als die Polizei- und Justizbeamt*innen in Geldern Amad Ahmad am 6. Juli 2018 seiner Freiheit beraubten, inhaftierten sie ihn, obwohl der Haftbefehl ausdrücklich auf den Namen eines Anderen ausgestellt war. Sie brachten ihn hinter Gitter, obwohl der Syrer Amad Ahmad nicht, wie der Gesuchte, aus Mali kam. Sie sperrten ihn ein, obwohl keinerlei hinreichende Anhaltspunkte dafür vorlagen, dass Amad Ahmad und der in Hamburg per Haftbefehl Gesuchte ein und dieselbe Person sein könnten. Nur der Eintrag in einer polizeilichen Datenbank will sie glauben gemacht haben, dass sie – ohne jede weitere Überprüfung – Amad Ahmad einsperren konnten. Denn in dessen Personendatensatz im NRW-Polizeidaten-Tool „ViVA“ soll der Name des in Hamburg gesuchten Mannes aufgetaucht sein. Plötzlich. Als Teil eines in sich widersprüchlichen Datensatzes.

Bis heute ist unklar, warum und auf wessen Anweisung eine Sachbearbeiterin der Polizei in der aktenführenden Polizeidirektion im Kreis Siegen-Wittgenstein den Datensatz von Amad Ahmad – nur wenige Tage zuvor – im Datensystem ViVA verändert hatte. Sie soll dafür gesorgt haben, dass plötzlich zwei verschiedene Personen in einem Datensatz vereint schienen. Zwei Menschen, deren Geburtsorte Tausende von Kilometern entfernt liegen, deren Namen nicht im Ansatz ähnlich klingen. Zwei Menschen, die unterschiedlich aussehen – festgehalten im Bild durch erkennungsdienstliche Behandlungen und Asylverfahrensakten. Alles vorliegend bei den Behörden. In der ViVA-Datenbank, die alle notwendigen Informationen vorgehalten hat. Fotos, Personenbeschreibungen, Geburtsorte.

Wer Augen im Kopf hat, kann sehen, dass es keine tragische Verwechslung gewesen sein kann. Die Zeug*innenbefragungen vor dem PUA Kleve haben dies gleich mehrfach bestätigt. Dennoch hält sich die Erzählung, Amad Ahmad sei verwechselt worden, seine Haft ein tragischer Fehler, hartnäckig. In den Äußerungen der verantwortlichen Politiker*innen, in den Aussagen der Behördenmitarbeitenden wie in den Texten und Berichten der Medien.

Etliche Beamt*innen der Polizei und Justiz jedoch haben vor dem Untersuchungsausschuss im Düsseldorfer Landtag – vielleicht unabsichtlich – deutlich werden lassen, dass von einer „Verwechslung“ keine Rede sein kann. Gaben sie dort doch an, sie hätten die Datenbank-Einträge am Computer oder nach Aktenlage nicht gründlich durchgesehen, die doppelten Eintragungen zu den massiv abweichenden Personenbeschreibungen nicht wahrgenommen und die im ViVA-System hinterlegten Foto-Daten nicht einmal aufgerufen. Die Widersprüchlichkeiten seien ihnen nicht aufgefallen.

Eine Handvoll Polizist*innen der Kreispolizeibehörde Kleve wiederum, deren Handeln nach dem Tod von Amad Ahmad von Dienstaufsicht und Staatsanwaltschaft untersucht wurden (allerdings erst nach kritischen Medienberichten und auf Druck von Angehörigen und Freund*innen von Amad Ahmad), schweigen.

Die „Technik“ war’s?

Das Landesinnenministerium gibt sich heute größte Mühe, die „Schuld“ auf eine allzu nutzer*innen-unfreundliche Technik abzuschieben. Sie lässt kaum eine Gelegenheit aus, das Argumentationsschema vorzubereiten, mit dem spätestens im Abschlussbericht des PUA Kleve zu rechnen sein wird: Die Nutzer*innen der ViVA-Datenbank seien unzureichend geschult gewesen, die Datenabfrage-Fenster überkomplex, die Prozessabläufe regelmäßiger Systemkontrollen nicht optimal. Nichts also, was sich nicht beheben ließe.

Es steht zu befürchten, dass das Landesinnenministerium unter Herbert Reul (CDU) mit dieser Erklärung durchkommen wird. Insbesondere, da kaum jemand dagegen opponieren wird, dass sich der oberste Polizeidienstherr schützend vor „seine“ Polizist*innen stellt.

Was einzelne Polizeibeamt*innen entgegen dieser „These“ im PUA Kleve öffentlich ausgesagt haben, widerspricht hingegen der Schutzbehauptung ihres Dienstherren allerdings komplett: Schon damals sei im polizeilichen Alltag klar angekommen, dass es sich bei ViVA um ein IT-Tool zur Verfahrens- und Personendatenhaltung und -abfrage handelt, das von denjenigen, die es nutzen, ausdrücklich abverlangt, den eigenen Kopf einzuschalten und die Suchergebnisse zu prüfen. Denn im Suchmodus spuckt ViVA schließlich auch eine unterschiedlich große Anzahl an Ergebnissen aus, die lediglich Überschneidungen mit den gesuchten Daten aufweisen, je mehr, um so unspezifischer die Such-Namen etwa sind. Die Vielzahl an Treffern, die nach einer simplen Sucheingabe der Nachnamen „Müller“, „Meier“ oder „Schmidt“ im Ergebnisfenster auftauchen, müssen quasi händisch auf ihre Evidenz für den vorliegenden Fall hin untersucht – und verworfen werden dort, wo sie nicht zur Realität passen. Schreibfehler und -varianten von Namen inbegriffen.

Rassistische Strukturen

Doch Amad Ahmad hatte nicht das Glück, unter dem Namen „Meier“ gesucht zu werden. Auch sein Nachname ist alles andere als selten, mit zahlreichen Schreibvarianten – gerade in der Umschrift von arabischen in lateinische Buchstaben. Doch was für die polizeiliche Überprüfung von „Meier“, „Meyer“, „Mayer“ und „Maier“ gegolten hätte – Gründlichkeit, Sorgfalt und die zwingend 100-prozentige Sicherheit, nicht etwa einer Namensgleich- oder ähnlichkeit aufzusitzen – zählte für die Beamt*innen in Geldern offenkundig bei Amad Ahmad nicht. Sie machten sich nicht die Mühe, den Haftbefehl, der auf eine Person mit einem völlig anders lautenden Namen ausgestellt war, mit den Personalien des Menschen abzugleichen, der vor ihnen saß. Damit gingen sie das Wagnis ein, sich der Freiheitsberaubung schuldig zu machen.

Warum?

Begegneten die Polizeibeamt*innen in Geldern Amad Ahmad im Sommer 2018 etwa in vorurteilsvoller Haltung, vielleicht in persönlichem, vielleicht in strukturellem Rassismus?

Ob es eine Rolle gespielt hat, dass sie, dem Hinweis einer Ordnungsamtsmitarbeiterin folgend, Amad Ahmad zum Zeitpunkt seiner unrechtmäßigen Verhaftung bereits auf dem Kieker hatten? Denn bereits Monate zuvor hatte die Mitarbeiterin der Ordnungsbehörde der Kriminalpolizei mit einem proaktiv verfassten Bericht gemeldet, dass der „Asylant“, wie sie Amad Ahmad in diskriminierender Sprache nannte, unter Beobachtung zu stellen sei, sobald er sich in der Stadt bewege. Auch, so verlautbarten einzelne Polizeibeamt*innen im PUA wiederholt, habe es dieses Phantombild gegeben, das bei der Fahndung nach dem Täter einer Vergewaltigung habe helfen sollen. Es sei ihnen, da sie Amad Ahmad am 6. Juli am Badesee festhielten, bekannt gewesen, raunte es zwischen den Zeilen ihrer Zeug*innen-Aussagen im PUA.

Diese Vergewaltigung, so wusste die Polizei kurz nach der Inhaftierung von Amad Ahmad, hatte es jedoch nie gegeben. Sowohl die Tat als auch die Täterbeschreibung: frei erfunden. Kaum eine*r der Politiker*innen im PUA Kleve jedoch hat bislang danach gefragt, ob diese falsche Verdächtigung nicht auch eine Rolle gespielt haben könnte für die Verhaftung von Amad Ahmad. Dafür, dass man mit ihm durchaus wohlwissend den Falschen inhaftiert hatte – ihn jedoch in Haft beließ, weil das Eingeständnis, nach rassistischen Motiven einen Menschen seiner Freiheit beraubt zu haben, den strukturell rassistischen Apparat zu deutlich beleuchtet hätte?

Gleichgültig

Viel Hoffnung, Aufklärung über strukturellen Rassismus, über Details der Entscheidungen der Polizei- und Justizbehörden oder auch nur der zeitlichen Abläufe der rechtswidrigen Freiheitsberaubung mit Todesfolge zu erhalten, hat wohl niemand. „Cop Culture“, das bedeutet auch, dass Kolleg*innen nicht gegen Kolleg*innen aussagen. Besonders dann nicht, wenn allen klar ist, dass mehr als „Fehler“ oder „Ungenauigkeiten“ passiert sind. Zugleich ist es immer dann zunehmend unwahrscheinlich, dass sich Menschen für ihr Handeln verantwortlich zeigen, wenn dazu das Eingeständnis gehören muss, nicht nur nicht eingeschritten zu sein, sondern selbst aktiv mitgewirkt zu haben. Daran, dass ein Mensch seiner Freiheit beraubt, eingesperrt, isoliert und – vielleicht – in den Tod getrieben worden ist. Es dürfte eine Last sein zu wissen, dass Amad Ahmad heute aller Wahrscheinlichkeit nach noch leben würde, wenn nur eine einzige direkt oder indirekt verantwortliche Person sich dagegen entschieden hätte, ihn fahrlässig, absichtsvoll, aus struktureller Achtlosigkeit für das Leben migrantisierter Menschen oder aus rassistischen Motiven wegzusperren – ohne Prüfung, ohne Korrektur.

Ein absoluter Tiefpunkt in der Geschichte der Aufklärungsbemühungen im „Fall Amad A.“, wie es in den Medien so oft unpersönlich heißt, ist mit der Atmosphäre dieser Kaltherzigkeit verknüpft: Mit großen Erwartungen verfolgten Angehörige, Freund*innen und Medienvertreter*innen, kritische Beobachter*innen von NSU-Watch NRW und der Initiative Amad Ahmad am 9. Juni 2020 die Zeuginnen-Aussage der Ersten Staatsanwältin Silke S. Nur wenige Tage zuvor hatte ein Magazinbericht von Westpol (24.05.2020) öffentlich gemacht, dass die Staatsanwältin aus Braunschweig am 27. Juli 2018 Kontakt mit der Polizei in Geldern aufgenommen hatte. Auch ihr lag eine Akte des in Hamburg per Haftbefehl gesuchten Maliers vor. Sie suchte ihn ebenfalls. Denn als Staatsanwältin wollte sie einen Strafbefehl gegen ihn vollstrecken, zum Vorwurf, in einem Warenhaus Bekleidung gestohlen zu haben. Doch der Malier sei nicht aufzufinden gewesen, der Strafbefehl kam als unzustellbar zu ihr zurück. Mit der Nachricht aus NRW, dass er in Kleve Anfang Juli von der dortigen Polizei in Haft genommen worden sei, schien ihr „Fall“ gelöst. Dennoch telefonierte sie den Beamt*innen in NRW hinterher. Denn mit Blick auf die Vollstreckungsmeldung aus Kleve war einem ihrer Mitarbeiter aufgefallen, dass ein in Mali geborener Mensch kaum so helle Haut haben könne wie der Mann, dessen Foto die Vollstreckungsakte zeigte.

Am 27. Juli sprach Silke S. darum am Telefon mit einem Beamten der Kreispolizeibehörde in Kleve. Im Verlauf dieses Gespräches wird auf beiden Seiten der Telefonverbindung klar gewesen sein, dass nicht der Gesuchte, sondern ein in der Sache vollkommen Unbeteiligter seit über zwei Wochen in Haft saß. Doch: In der Leitung hatte sie mit Kriminalhauptkommissar Frank G. ausgerechnet jenen Polizisten, der Amad Ahmad bereits kannte. Der wie seine Kolleg*innen über die Meldung der Ordnungsamtsmitarbeiterin in Kenntnis darüber war, dass Amad Ahmad unter Beobachtung zu stellen sei. Ausgerechnet Frank G. also, der noch vor dessen Inhaftnahme gegen Amad Ahmad ermittelt hatte – wiederum unter dem Verdacht, eine Person belästigt zu haben, zugleich unter der diffusen Annahme, er könne etwas mit der Suche nach dem Täter der im Mai angezeigten Vergewaltigung zu tun haben. Während G. mit der Staatsanwältin in Braunschweig telefonierte, saß Amad Ahmad bereits seit zwanzig Tagen in Haft. Seit über zwei Wochen war darüber hinaus bekannt, dass die Person, die die Vergewaltigung zur Anzeige gebracht hatte, sich die Tat ausgedacht hatte.

Der Polizeibeamte Frank G. wurde am 26.11.2019 im PUA als Zeuge gehört. Hier hatte er das Telefonat mit der Staatsanwältin aus Braunschweig mit keinem Wort erwähnt. Als die Ausschussmitglieder der SPD ihn mit der Frage konfrontierten, warum er am 27. Juli 2018 (dem Tag des Telefonats, wie wir heute wissen) mehrfach zuerst den Namen Amad Ahmad und wiederholt dann auch den des Maliers in die bundesweite Polizeidatenbank INPOL eingegeben habe, verwies Frank G. auf Gedächtnislücken, wusste keine plausible Antwort zu präsentieren. Niemand hakte nach. G. wurde freundlich als Zeuge entlassen, mit Dank für sein Erscheinen vor dem Ausschuss.

Seit wir von dem Telefonat der Staatsanwältin Silke S. mit dem Polizisten G. wissen, ist klar: G. hat gelogen. Er wusste spätestens am 27. Juli 2018 davon, dass Amad Ahmad ohne Rechtsgrundlage inhaftiert war. Doch er unternahm nichts. Dem Ausschuss verschwieg er alles. Die Staatsanwaltschaft Kleve hat inzwischen die Ermittlungen zum Straftatbestand der Freiheitsberaubung gegen diesen einzelnen Beamten aufgenommen. Seine Kolleg*innen hingegen hat die Staatsanwaltschaft Kleve von allen Vorwürfen bereits seit November 2019 befreit. Es seien keine strafrechtlich relevanten Fehler erkennbar.

Und Staatsanwältin S.? Sie notierte nach dem Gespräch mit G.: Die Person Amad Ahmad sei nicht identisch mit der von ihr gesuchten Person. Dann jedoch tat sie: nichts. Im PUA gab sie an, dass für sie das Telefonat ausschließlich darum unbefriedigend gewesen sei, weil sie hernach immer noch nicht wusste, wohin sie den Strafbefehl an den Malier schicken solle. Ihr „Fall“ war also wieder offen, machte weiterhin Arbeit. Selbstverständlich machte S. sich also nicht die Mühe, die offenkundig falsche Inhaftierung von Amad Ahmad gegenüber den Behörden in NRW zu kommunizieren. Warum auch? Auf Nachfrage äußerte S. im PUA, dass sie es bereits als Affront empfinde, für diese Sache einen ganzen Arbeitstag zu verlieren, um für ihre Zeuginnen-Aussage nach Düsseldorf zu fahren. Sogar in ihrer Gleichgültigkeit ist Silke S. effizient. Kälter kann Deutschland nicht sein.

Aufklärung, jetzt!

Es braucht nicht viel Phantasie, um ahnen zu können, dass es für eine Aufklärung zur Freiheitsberaubung und zum Tod von Amad Ahmad keinen politischen Willen gibt. Im PUA – und nicht nur dort – ist zu beobachten, dass die verantwortlichen Ministerien in NRW, unter Justizminister Peter Biesenbach (CDU) und unter Innenminister Herbert Reul, alles dafür tun werden, die Zusammenhänge bis zur Unkenntlichkeit zu verwischen.

Im Bericht des im März 2019 erstmals als Ansprechpartner für interne Polizeibelange installierten Polizeibeauftragten des Landes NRW, der am 20. August 2020 im Innenausschuss im Landtag präsentiert wurde, lesen wir staunend: Es habe bei ihm etliche Beschwerden von Polizeibeamt*innen gegeben über die Handhabbarkeit des Datenbanksystems ViVA. Unter den Polizist*innen habe bei Einführung der Datenbank „eine Stimmung diffuser Unsicherheit und Unverständnis (sic!)“ vorgeherrscht, heißt es dort.

Herbert Reul wird diesen Bericht gut verwerten können für seine Argumentation, dass eine Panne in der Bedienung der damals noch neuen Datenbank Ursache für die Inhaftierung von Amad Ahmad gewesen sei. Tragisch. Eine Verwechslung. Etwas, das nicht wieder passieren dürfe. Etwas, dass sich durch Verbesserungen im Datenbank-Abfragemodus in Zukunft verhindern lasse. Für die Technik allerdings, sei niemand zur Verantwortung zu ziehen. So wird es kommen.

Vielleicht wird der Polizeibeamte Frank G. strafrechtlich belangt. Dann ist er ein Bauernopfer. Wenn er klug ist, wird er sich zeitnah dagegen wehren. Dann muss er reinen Tisch machen mit seinen eigenen Motiven. Dann muss er auch gegen seine Kolleg*innen aussagen. Auch wenn „Polizei“ grundsätzlich als Akteur und Gehilfe der autoritären Zurichtung des Staates nicht reformierbar ist, wäre es an dieser Stelle wünschenswert, wenn es eine unabhängige Beschwerdestelle für Polizeibeamt*innen gäbe. Ein Werkzeug, dass Cop Culture aufzubrechen hilft. Frank G. hätte es dann leichter.

Doch auch auf die (Wieder-)Entdeckung des Gewissens können wir nicht zählen. Weder bei einem einzelnen Polizeibeamten noch bei seinen Dienstvorgesetzten. Herbert Reul dürfte ein gutes Beispiel dafür sein, dass ein Gewissen der Arbeit eines Innenministers nachgerade abträglich ist. Die begründeten Vorwürfe gegen ihn häufen sich. Ob als Erfüllungsgehilfe bei der Räumung des Hambacher Waldes für RWE oder als Fürsprecher für kollateralen Rassismus im Kampf gegen sogenannte Clankriminalität. Er wird sie alle elastisch abgleiten lassen. Er fühlt sich im Recht.

Darum sind Initiativen wie die des „Forum gegen Polizeigewalt und Repression“ so wichtig. Dessen Aufruf folgten am 8. August 120 Menschen. Sie kamen nach Leichlingen, zum Wohnort von Herbert Reul. Die Polizei verhinderte eine Kundgebung vor dessen Wohnhaus, stutzte die angekündigte Demo auf eine Standkundgebung zurück. Doch die Stimmen gegen Polizeigewalt, zur Aufdeckung von racial profiling und zur Aufklärung der Geschichte von Amad Ahmad sind laut und deutlich. Sie verknüpfen sich mit denen, die über Fälle von Tod in Polizeigewahrsam berichten, kommen zusammen mit den Forderungen, Polizei und Justiz endlich für ihren strukturellen Rassismus zur Rechenschaft zu ziehen. Mit „Black Lives Matter“ verbinden sie sich in einer Lautstärke, die kaum noch wieder zu dimmen sein wird.

Vom Staat und seinem Aufklärungsbemühen ist nichts zu erwarten. Mit Blick auf den PUA Kleve wissen wir, dass vor allem die Opposition im parlamentarischen Normalbetrieb das Instrument der Untersuchungsausschüsse zu nutzen versucht, um die Regierung zumindest in Erklärungsnöte zu bringen, bestenfalls ihr falsches Handeln zu kritisieren oder sie in ihrer Verantwortung zu adressieren. So ist ein Untersuchungsausschuss wie der PUA Kleve für die Oppositionsparteien SPD und Bündnis 90/Die Grünen natürlich in erster Linie nützlich. Um die Sache sollte es den Politiker*innen trotzdem gehen. Darum ist die Ausschussbeobachtung auch so wichtig. Es gilt, Druck aufzubauen, damit die Opposition die richtigen Fragen stellt. Öffentlich und auf Basis ihrer Aktenkenntnis. Zugleich braucht es eine kritische Öffentlichkeit, die den Ausschussmitgliedern vor allem der CDU dabei zusieht, wie sie ihrem Innenminister auch dann noch den Rücken stärken, wenn sie dabei ihre Seele verkaufen müssen. Eine Öffentlichkeit, die am Ende festhält: Sie hatten nie eine.

Wir erinnern mit Artikeln, Öffentlichkeit, Recherchen, Kundgebungen und direkten Aktionen zugleich jeden Tag an die Menschen, um die es geht: Amad Ahmad starb am 29. September 2018. Unvergessen!

Fanny Schneider

Die nächsten Termine im PUA Kleve sind:
22.09.2020, 27.10.2020, 17.11.2020 und 08.12.2020, jeweils um 14 Uhr im Landtag von Nordrhein-Westfalen. Der Zugang ist für Besucher*innen frei, die Sitzungen sind in der Regel öffentlich.

Für aktuelle Informationen folgt NSU-Watch NRW auf Twitter: https://twitter.com/nsuwatch_nrw
und der Initiative Amad Ahmad auf ihrer Facebook-Seite unter https://facebook.com/initiativeamada oder unter https://initiativeamad.blackblogs.org