Kaufhaus-Sterben

Schöpferische Zerstörung

Krise als Chance: Die Signa-Unternehmensgruppe nutzt Corona, um bei Karstadt und Kaufhof schonungslos durchzusanieren. Auch Häuser in Düsseldorf stehen vor der Schließung.

„Ab dem 1.11. arbeitslos!!! warum ??“ steht handgeschrieben auf der Säule am Eingang der Kaufhof-Filiale Am Wehrhahn neben anderen Zetteln mit Botschaften wie „Wir wollen bleiben!!!!“ oder „Wir wollen weiterhin für unsere Kunden da sein!!!!“ Zur Tonhallenstraße hin haben die Beschäftigten Bilder von sich ins Schaufenster gestellt und „Verfallsdatum 31.10.20 – bald können Sie uns nicht mehr fragen“ auf die Scheibe geklebt. Gegenüber bei Karstadt, wo jetzt ein Riesenbanner mit der Aufschrift „Wir schließen diese Filiale – alles muss raus – alles reduziert“ zur letzten Schnäppchen-Jagd animieren will, standen derweil lange Zeit zwei Schaufenster-Puppen mit Schildern um den Hals vor der Tür. „Ich bin Karstadt-Mitarbeiter und werde ab dem 1.11.2020 arbeitslos“ war auf dem einen zu lesen, während das andere die Kund*innen zur Beteiligung an der Unterschriften-Aktion zum Erhalt der Standorte aufforderte.

Anfang April 2020 hatte die Signa-Gruppe des Öster­reichers René Benko, der die „Galeria Karstadt Kaufhof“ gehört, ein Schutzschirm-Verfahren für eine „Plan-Insolvenz in Eigenverwaltung“ beantragt. Mitte Juni kündigte das Management dann das Aus für 62 der insgesamt 172 Filialen an. „Für sie besteht keine wirtschaftliche Fortführungsperspektive“, hieß es. Rote Zahlen brauchten die Häuser gar nicht zu schreiben, um auf die Abschuss-Liste zu geraten. Es reichte schon, wenn sie es nicht schafften, fünf Prozent Gewinn vor Steuern zu erwirtschaften. 6.000 Arbeitsplätze sollten dieser Rendite-Vorgabe zum Opfer fallen. Damit nicht genug, stellt die Signa auch noch 20 der 30 „Karstadt Sport“-Filialen und fünf der sieben Logistik-Zentren zur Disposition.

Schuld war natürlich nur Corona. An dieser Version gibt es aber ernste Zweifel. Benko hatte die Kaufhof-Häuser 2018 schon als Sanierungsfall von der Hudson’s Bay Company übernommen und zu seinen Karstadt-Häusern gesellt, die er 2014 erwarb. Durch die Fusion wollte die Signa Synergie-Effekte in Höhe von 380 Millionen Euro verbuchen. Zu diesem Behufe strich sie bereits 2019 Tausende Jobs. Zudem vereinbarte das Unternehmen im Dezember des Jahres mit Ver.di einen „Sanierungstarifvertrag“, der den Beschäftigten kräftige Entgelt-Einbußen abverlangte. Erst die Pandemie bot Benko jedoch die Gelegenheit, so richtig durchzusanieren. „Angesichts der Lage hätte uns nichts Besseres passieren können“, zitiert „Business Insider“ einen Manager. Die „Plan-Insolvenz in Eigenverwaltung“ erlaubt es nämlich unter anderem, aus laufenden Tarif- und Mietverträgen auszusteigen und sich Abfindungszahlungen im fünf- bis sechsstelligen Bereich pro Belegschaftsangehörigem zu ersparen.

Mit 467 Millionen Euro weniger Kosten bis zum Jahr 2022/23 rechnet der Konzern durch das, was Ökonom*innen „schöpferische Zerstörung“ nennen und die nicht wenige von ihnen gerade zu Corona-Zeiten als angezeigt erachten – Krise als Chance. Einen nicht unerheblichen Teil der Summe haben nach den Vorstellungen Benkos neben den Angestellten die Vermieter*innen zu erbringen. Dabei nimmt er sich selber, dem auch nicht wenige der Warenhaus-Grundstücke gehören, aber aus, was den Handlungsspielraum des Insolvenz-Generalbevollmächtigten Arndt Gleiwitz stark einschränkt. „Die bis zu 60 Millionen Euro, um die er die Mieten reduzieren will, muss er woanders suchen, nicht bei Benko“, konstatiert das „Manager Magazin“. Von den Lieferanten verlangt die Signa ebenfalls Zugeständnisse. Nicht einmal der Staat ist vor Ansprüchen gefeit. Benko & Co. fordern „Entschädigungen für den Lockdown“. Und dann wären da noch die Städte, die durch die Schließungen eine Verödung ihrer Zentren befürchten. Von ihnen wünscht sich der Österreicher mehr Entgegenkommen bei seinen Bauvorhaben.

Bisher liefen die Verhandlungen voll im Sinne der Signa-Gruppe. Sie erklärte sich gnädigerweise bereit, „nur“ noch 47 statt der ursprünglich avisierten 62 Filialen dichtzumachen und bekam dafür erkleckliche Gegenleistungen. So senkten viele Grundstückseigner die Mieten. In Berlin gab Benko vier Warenhäusern – teilweise bloß auf drei Jahre befristete – Bestandsgarantien und erhielt im Gegenzug für zuvor äußerst umstrittene Hochhaus-Projekte grünes Licht. In Düsseldorf musste das Unternehmen noch nicht einmal von seinen Schließungsabsichten lassen, um ein günstigeres Klima für seine hochfliegenden Architektur-Vorhaben schaffen zu können. Oberbürgermeister Geisel bot Wohlwollen bei der Prüfung der Pläne für den Wehrhahn und das Carschhaus schon gegen vage Arbeitsplatz-Zusagen an.

Am Wehrhahn möchte die Signa an Stelle des Kaufhof-Gebäudes einen Wolkenkratzer errichten, frei nach dem Motto „Je höher, desto Miete“. Eigentlich sprengt so ein Monumentalbau dort das Gefüge und verstellt auch die Sichtachse zur Marien-Kirche. In Berlin passen die Vorstellungen Benkos ebenso wenig in die Landschaft. Aber der Immobilien-Mogul kennt da ein probates Mittel. Er zaubert einfach Namen bekannter Baumeister aus dem Hut, die Leuchtturm-Objekte verheißen. Im Wehrhahn-Fall ist von Rem Koolhaas und Bjarke Ingels die Rede. „Der bewährte Kniff, unanfechtbare Architekten als Tabu-Brecher zu beauftragen“ – so nennt das die „FAZ“.

Solchen Bauten gilt das Hauptinteresse Benkos. „Diesem Konzern geht es überhaupt nicht um die Warenhäuser, sondern nur um die Flächen“, sagt etwa Katalin Gennberg, die für die Partei „Die Linke“ im Berliner Abgeordnetenhaus sitzt. Allenfalls ein paar Premium-Häuser an prestige-trächtigen Standorten wie etwa das Berliner KaDeWe erhalten ein wenig mehr Aufmerksamkeit, und zu einem solchen gedenkt die Signa auch das Carschhaus am Tor zur Altstadt zu machen.

Die zahlreichen Vorbesitzer*innen von Karstadt und Kaufhof hatten sich da nicht kreativer gezeigt und ebenfalls keine Konzepte entwickelt, um den Niedergang der Branche zu stoppen. Dabei ist dieser trotz Internet & Co. nicht gottgegeben, wie der kurze Höhenflug von Kaufhof Anfang der 2000er Jahre zeigte. Heute noch hält der Betriebsrat Andreas Marggraf große Stücke auf den bei Kaufhof eingeleiteten Digitalisierungsprozess, den Benko allerdings stoppte. „Vom papierlosen Kassensystem mit Tablets ging es zurück zu veralteten Computern und wieder viel Papier. Manchmal hat man das Gefühl, dass da System dahinter steckt“, sagte er der „Rheinischen Post“. Bei der Ausdünnung der Personaldecke, welche die Signa betrieb, liegt dieser Verdacht ebenfalls nahe, denn womit sollte ein Warenhaus in Zeiten des boomenden Online-Handels punkten, wenn nicht mit der Beratungskompetenz?

Im Gegensatz zu solch destruktiven Entscheidungen entwickeln die Beschäftigten schon Ideen, die das Zeug hätten, den aktuellen Herausforderungen zu begegnen. Marggrafs Kollege Wolfgang Grabowski schlägt in dem RP-Interview etwa vor, mehr auf Events zu setzen, um die Menschen von den Bildschirmen wegzulocken. Und Rainer Kruchem plädiert dafür, nicht in allen Häusern das Standardprogramm anzubieten, sondern die Angebote besser lokalen Gegebenheiten anzupassen. Kaufhof-Betriebsrat Andreas Scholten unterstützt dieses Ansinnen und verbindet es damit, den Beschäftigten wieder mehr Verantwortung zu übertragen. „Früher konnten wir noch einen Teil selbst einkaufen. Da hatten wir beispielsweise nach Bedarf Schützenuniformen oder weiße Jeans für die Ärzte in der Umgebung. Und das lief gut“, erinnert er sich in dem Gespräch mit der Rheinischen Post. Aber mit so einem Kleinklein gibt sich die Chef-Etage nicht ab. „Es fehlt die Liebe zum Detail“, wirft Andreas Marggraf den Verantwortlichen vor.

Diese fiebern dagegen schon dem 1. September entgegen. Da nämlich präsentiert das Unternehmen seinen Gläubiger*innen den Insolvenz-Plan. Viel haben die Vermieter*innen, Lieferant*innen und Geldgeber*innen allerdings nicht zu erwarten. Von den ausstehenden Forderungen in Höhe von 2,2 Milliarden Euro will Benko nur einen Bruchteil – 100 Millionen Euro – begleichen. Eine Insolvenz-Quote von 4,55 Prozent, mehr ist nicht zu holen. „Das hat auch damit zu tun, dass Eigentümer René Benko sorgfältig darauf geachtet hat, dass alle von Karstadt und Kaufhof genutzten Immobilien, die seiner Signa-Holding gehören, in separaten Gesellschaften gehalten werden“, weiß das „Handelsblatt“.

Unterdessen läuft in der Schadowstraße und am Wehrhahn bereits der Räumungsausverkauf in vollen Zügen. Die Signa hat mit der Durchführung einen externen Dienstleister beauftragt, der auf solche Jobs spezialisiert ist. Die US-Firma Gordon Brothers hat sogar ein mathematisches Modell entwickelt, das den Rabatt-Countdown berechnet und angeblich die Gewähr dafür bietet, zwar alles rauszuhauen, aber nicht zu jedem Preis. Kapitalismus bis zum bitteren Ende und sogar darüber hinaus: Selbst für eine eventuelle Wiederauferstehung der Filialen haben die Brüder Vorkehrungen getroffen.

Jan