Kriminalisierung als PR-Maschine

Innenminister Herbert Reul (CDU) hat ein eindeutiges Bild von sich selbst: Klare Kante. Das ist, was er in Sachen Ego-Propaganda zu seiner CDU-Vorsitz-Anwärterschaft zeigen möchte. Irgendwie muss er schließlich die Beliebtheitsskala manipulieren. Das Thema „Recht und Ordnung“ scheint da einen wortstarken Zustimmer*innenkreis zu erreichen. Wenn es dann noch zugleich den Bonus „Rassismus“ im Gepäck hat, fliegen dem Kanzlerkandidaten in spe die Herzen vormaliger Konkurrenzwähler*innen aus der AfD-Ecke nur so zu. Und die vieler anderer, die ihre Schäfchen am liebsten deutsch, weiß und überlegen im sicheren Trockenen sehen möchten. Darum wagt Innenminister Reul im Lagebild zu seiner Kampagne gegen sogenannte „kriminelle Clans“ am 17.08.2020 auch den Sprung ins unverhohlen Rechtspopulistische: „Ich bin mir bewusst, dass die Gefahr besteht, ausländerfeindliche Ressentiments zu bedienen und ganze Familien in Sippenhaft zu nehmen. Das stimmt, das ist das Problem. Aber die Chancen sind größer als die Risiken.“

Vor Ort

Auch in der Kommunalpolitik spielte das Thema bereits öfter eine Rolle – immer verbunden mit dem zweifelhaften Kalkül, Inhalte aus dem Bereich der Sicherheits- und Ordnungspolitik nur „aus Versehen“ mit rassistischen Zuschreibungen zu garnieren. So etwa bei den Razzien der Düsseldorfer Polizei in Oberbilk. Derlei schafft schließlich ausreichend Legitimation für sinnlose Repressionen, hilft, Solidaritäten im Kiez zu spalten.

Anfang August ergänzten die „Bauherren“ der Düsseldorfer Ordnungs- und Sicherheitsarchitektur ihr Portfolio um einen weiteren Aspekt: Der Kampf gegen die Drogenkriminalität am Worringer Platz. In beispiellos effekthascherischer Manier umstellten Polizei, Bundespolizei und Kräfte des Ordnungs- und Sicherheitsservice der Stadt Düsseldorf am Mittwoch, den 5.8.2020 den Platz – zuvor vorbereitet durch zivile Einsatzkräfte. Ab 14.20 Uhr kesselten sie die Warte- und Sitzbereiche regelrecht ein. Damit überraschten die Ordnungsbehörden die Menschen, die sich dort aufhielten, viele von ihnen mit dem Lebensmittelpunkt Worringer Platz bzw. Straße. Menschen, die Drogen konsumieren, Trinker*innen, Menschen, die sich aus anderen Gründen dort aufhalten, ohne auf eine Straßenbahn oder den Bus zu warten. Sie wurden einzeln auf Betäubungsmittel kontrolliert, ausgiebig und in in teils entblößender Weise.

Nicht wie Zaungäste, sondern mittendrin wohnten Bürgermeister Thomas Geisel und Norbert Wesseler, Polizeipräsident von Düsseldorf, (beide SPD) der Maßnahme bei. Im Mittelpunkt auch der Aufmerksamkeit der anwesenden Medienvertreter*innen. Sie werden wohl herbeizitiert, mindestens vorab informiert worden sein. So bekamen Bürgermeister und Polizeipräsident ihre wahlkampftauglichen Bilder: Das Duo sorgt für Sicherheit, wie von den Bürger*innen gewünscht, heißt es in den Medien. So wirkt die polizeiliche Maßnahme, mit Verlaub, wie bestellt. Die Repression gegen drogengebrauchende Menschen: ein PR-Termin. Praktischerweise ausgerechnet jetzt: Denn Geisel will Bürgermeister bleiben, auch nach der Kommunalwahl am 13.9. Wesseler will – im vierten Versuch – Bürgermeister werden, glücklicherweise weit weg, im Münsterland.

Perspektiven statt Propaganda

Jenseits dessen aber müssen wir dringend auch über die sachlichen Effekte solcher Maßnahmen sprechen. Die Polizeiführung gab später an, sie habe durch die Durchsuchungen die „großen Fische“ in der Drogenhandel-Szene aufscheuchen wollen. Ohne Frage allerdings trifft derlei die Falschen – so auch Michael Harbaum, Geschäftsführer der Düsseldorfer Drogenhilfe, gegenüber der Rheinischen Post. Statt sinnvoll präventiv sind solche Aktionen vor allem Unruhe-Situationen für Suchtkranke, die oft unter dem Druck stehen, Geld für Drogen und Alkohol auftreiben zu müssen. Zugleich sucht sich niemand freiwillig einen öffentlichen Ort aus, einen Präsentierteller quasi, um dort zu konsumieren. Vielmehr ist der Worringer Platz heute einer der wenigen Orte, an denen drogengebrauchende Menschen sich überhaupt noch aufhalten können. Dringend braucht es mehr Anlaufstellen und Konsumräume. Räumlichkeiten, wie die der Düsseldorfer Drogenhilfe, sind zu vereinzelt, die Wege dorthin sind zu weit. Der Bedarf an Beratung und an Orten für einen „geregelten“ Konsum ist größer, als die aktuellen Möglichkeiten von Drogenhilfe-Einrichtungen in der Stadt.