Mit Mut und List in unversöhnlicher Erinnerung

In ihren „unversöhnlichen Erinnerungen“ lesen wir mit der jetzt veröffentlichten Lebensgeschichte der Antifaschistin Katharina Jacob davon, wie ein politischer Mensch in den Krisenjahren der Weimarer Republik aufwächst, sich später dem Widerstand anschließt und am Ende die Torturen der NS-Verfolgungspolitik überlebt. Ihre Geschichte spricht zugleich davon, dass Überwindungen und Ermächtigungen auch den patriarchalen Strukturen galten, denen Frauen im Widerstand in ihren zuvor eingeschriebenen Rollen als Töchter, Ehefrauen und Mütter entgegentraten. Eine Buch-Empfehlung zur Lektüre einer widerständigen Autobiographie, die länger zum Nachdenken anregt, als das kurze Aufblitzen der Jahrestage dauert.

Es wird Herbst und wieder eilt ein „Erinnerungsjahr“ seinem Abschluss entgegen. 75 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges musste der Reigen aus Veranstaltungen, Fach-Konferenzen, Ausstellungen und anderen öffentlichen Zusammentreffen von Menschen, die sich im Gedächtnistheater um Erinnerungsbruchstücke und Überreste der Geschichte des Nationalsozialismus und des Holocaust bemühen, allerdings ungewollt kleiner ausfallen, als erwartet. So manch‘ bemüht verantwortungsbewusste Politiker*innen-Rede zur historischen Bedeutung des NS musste ungesprochen bleiben. Bundespräsidenten und nationale Oberhäupter schüttelten sich 2020 nirgends symbolisch die Hand zur Versöhnung. SARS-CoV-2 machte Staatsakte unmöglich. Wie auch antifaschistische Interventionen zur Erinnerung an die Niederlage des Faschismus im Frühjahr 1945 abgesagt werden mussten oder – wie etwa im Podcast-Projekt der Initiative für einen Gedenkort ehemaliges KZ Uckermark – ins Digitale umzogen, zum Nachhören und Weitersagen.

Bei allen, bald vermutlich einschneidenden sozialen Verwerfungen und existenziellen Nöten, die das Virus mit sich bringt, sorgte Corona in den vergangenen Monaten bisweilen aber auch dafür, dass der kontemplative, persönliche Rückzug ins #stayathome oder auf die einsame Parkbank durchaus einmal ohne drückendes Gewissen ausgedehnt werden konnte: zu langen Stunden der Lektüre guter Bücher.

Eines davon stellt Gastautor Henning Fischer vor. Erinnernd daran, dass wir nicht aus den Augen lassen sollten, an wen zu den großen, bisweilen staatstragend inszenierten Gedenkanlässen denn eigentlich nicht erinnert werde. Die Geschichte widerständiger Menschen etwa, die sich dem Nazifaschismus in den Weg stellten, so lange sie konnten, ist zwar durchaus nicht unerzählt, wird aber seltener gehört und wahrgenommen. Dabei ist sie auch für die Frage „Was geschah damals eigentlich hier, vor meiner eigenen Haustür?“ wertvoll. Vor allem dann, wenn es darum geht zu sehen, ob sich Geschichte wiederhole: „Wie würde ich heute handeln, wenn ich wüsste, dass morgen noch mehr Nazis auf der Straße stehen?“.

So tippt die Lebensgeschichte von Katharina Jacob, aufgewachsen im nahen Köln, Zeitzeugin der politischen Zuspitzungen und rechten Formierung auch im Rheinland der 1920er Jahre, beim Lesen wohl das ein oder andere Mal die Selbstprüfung an, ob individuelle Größe, Mut und die Kraft solidarischer Zusammenhänge uns heute, in vielleicht ähnlichen Entwicklungsmomenten, ebenso eigen wären. Oder was können wir tun, um sie zu wecken, wenn wir sie brauchen, mehr als gestern?


„Widerstand war mir nicht in die Wiege gelegt“

Arbeiter*innenjugend und Ermächtigung

Katharina Jacob wurde 1907 im Kölner Arbeiter*innenmilieu geboren, war im Widerstand gegen das NS-Regime aktiv, überlebte das Frauen-KZ Ravensbrück und starb 1989 in Hamburg. Nun liegt ein Buch vor, das sie in den Jahren vor ihrem Tod selbst verfasste. Der Erinnerungsbericht über ihr Leben bis zur Befreiung während des Todesmarsches Ende April 1945 wurde von ihrer Tochter Ilse Jacob herausgegeben und kommentiert. Damit ist eine historisch wertvolle und politisch inspirierende Veröffentlichung entstanden, die viel mehr erzählt als ‚nur‘ die Geschichte einer Frau im antifaschistischen Widerstand.

In klaren Worten und mit sehr genauem Blick erinnert sich Katharina Jacob zunächst daran, wie sie in proletarischen Vierteln von Köln aufwuchs, sich politisierte und schließlich mit der kommunistischen Bewegung in Kontakt kam. Dieser Teil des Buchs begeistert nicht nur, weil Jacob mit vielen Details die sozialen Bedingungen, die Kultur und die Politik einer Arbeiter*innenjugend in den 1910er und 1920er Jahren im Rheinland plastisch beschreibt. Er fesselt auch, weil Jacob immer wieder sehr persönlich von ihrer schrittweisen Befreiung aus der systematischen Abwertung und Benachteiligung als Frau berichtet. Dazu gehörte auch, die angelernte weibliche Selbstabwertung und Schamgefühle als Proletarierin abzustreifen. Wie zum Beweis ihres Erfolgs in dieser Sache finden sich im Buch verteilt immer wieder zum Nachdenken anregende Einschübe, etwa zur Aneignung bürgerlicher Kultur oder zum Eigensinn proletarischer Lebensweisen.

Jacob, die 1926 dem Kommunistischen Jugendverband (KJVD) und kurz darauf der KPD beitrat und 1927 nach Hamburg zog, beschreibt auch die Jahre bis 1933 mit nüchternen Schilderungen, in denen stets Witz, Güte, Mut und Überzeugung lauern und die mit ausdrucksstarken Fotografien bebildert sind. Sie zeichnet mit großer Genauigkeit nach, wie sie, nachdem 1931 ihre erste Tochter zur Welt gekommen war, im Widerstand gegen das NS-Regime aktiv war, Flugblätter erstellte und mit großem Risiko persönlich verteilte, Geld und Unterschlupf organisierte. Ab Juli 1933 mehrfach verhaftet, schildert sie die Gefahren der Denunziation in ‚Freiheit‘ ebenso wie die Solidarität in Haft. Ab 1941 war sie aktives Mitglied der Jacob-Bästlein-Abshagen-Widerstandsgruppe in Hamburg – ab dem November 1942 dann auch als Mutter der zweiten Tochter Ilse.

Unversöhnliche Erinnerungen

Der letzte Abschnitt des Buchs stellt ebenso intensiv und detailreich die Erlebnisse Jacobs im Frauen-KZ Ravensbrück dar, in das sie nach ihrer Verhaftung im Juli 1944 im November des Jahres überführt wurde. Dort wurde sie von kommunistischen Häftlingen wie Erika Buchmann, der späteren Chronistin des Lagers, unterstützt. Sie überlebte schließlich den Todesmarsch, den sie Ende April 1945 in Ravensbrück antreten musste.

Das Buch endet, und das ist wichtig, mit einem Nachwort, in dem Ilse Jacob auch von der ‚zweiten Hälfte‘ des politischen Lebens ihrer Mutter ab 1945 berichtet: ihr Wirken als Lehrerin, ihre Aktivitäten in KPD und DKP und als antifaschistische Zeitzeugin. „Es gibt“, beschied Katharina Jacob 1989 einem anderen als dem eigenen Buchprojekt, das ihren Lebensbericht neben den von Wehrmachtssoldaten stellen wollte, „unversöhnliche Erinnerungen“. Höchst erfreulich, dass diese nun als eigenständiges Buch vorliegen.

Wer Katharina Jacobs Haftzeit im Konzentrationslager in vertiefender Lektüre nachvollziehen möchte, findet Material und Wissen über Geschichte und Nachgeschichte deutscher politischer Häftlinge im Frauen-KZ Ravensbrück im umfangreichen Ausstellungskatalog „Frauen im Widerstand“. Der Band dokumentiert und erweitert die biographische Spurensuche der Ausstellung, die 2019 in der Gedenkstätte Ravensbrück gezeigt wurde, und heute ausgeliehen werden kann.

Empfohlen sei allen, die sich diesem Thema widmen möchten, auch der Blick über den nationalen Tellerrand: Mit 75 Biographien europäischer Frauen im Widerstand gegen Faschismus und Krieg erinnern die Autor*innen des von Florence Hervé herausgegebenen Buches „Mit Mut und List“ an die Geschichte widerständiger Frauen aus 20 verschiedenen Ländern. Sie eint – damals: ihr antifaschistischer Widerstand und ihr „Mut für den Einsatz gegen Neofaschismus, Rechtspopulismus, Fremdenhass, Sexismus und Krieg“. Heute: dass ihre Geschichte unerzählt bliebe, wenn wir nicht mit Kraft und Erinnerungsarbeit dem Vergessen die Stirn bieten würden.

Zum Glück gibt es Bücher wie diese.

Henning Fischer

Kinder des Widerstands (Hrsg.): Katharina Jacob: „Widerstand war mir nicht in die Wiege gelegt“, Verlag Galerie der abseitigen Künste, Hamburg 2020, 248 Seiten, 21,90 EUR.

Florence Hervé (Hg.): Mit Mut und List. Europäische Frauen im Widerstand gegen Faschismus und Krieg, PapyRossa Verlag, Köln 2020, 294 Seiten, 17,90 EUR.

Henning Fischer (Hg.): Frauen im Widerstand. Deutsche politische Häftlinge im Frauen-KZ Ravensbrück: Geschichte und Nachgeschichte, Metropol, Berlin 2020, 212 Seiten, 22 EUR.

Podcast anlässlich des 75. Jahrestages der Befreiung des Jugend-KZ und späteren Vernichtungsortes Uckermark: http://gedenkort-kz-uckermark.de/info/aktuelles.htm