Haltung alleine reicht nicht!

Goldene Zitronen-Mitbegründer Ted Gaier kommt am 8. Oktober in die Forum Freies Theater-Kammerspiele nach Düsseldorf. Wir vom FFT haben mit ihm über Punk, Politik und die Notwendigkeit der Selbstreflexion gesprochen.

FFT Sie, der Musiker, Regisseur, Komponist, Schauspieler und Autor Ted Gaier, werden am 8. Oktober in den Kammerspielen des FFT Düsseldorf zusammen mit Clara Drechsler aus Ihrem Buch „Argumentepanzer“ vorlesen und auch Musik auflegen, richtig?
Ted Gaier Habe ich so angeboten, ja. Teil der Lesung besteht auf jeden Fall darin, mit Sound- und Songbeispielen zu arbeiten. Also nicht nur eigenen Songs, sondern auch anderen Referenzen, Künstler*innen die ich verehre und die mich beeinflusst haben.

FFT Bleiben wir zunächst bei Musik. „Für immer Punk“: wie funktioniert das für Sie dreißig Jahr später?
Ted Gaier Lustigerweise bekommt dieser Song umso mehr einen Mythos, umso weiter seine Veröffentlichung zurückliegt. Diese Verklärung, dass es etwas statementhaftes sein soll, dass man für die Idee des Punks als Lebensmotto im statischen Sinne kämpft – das war einfach überhaupt nicht so gemeint! Als wir diesen Song gemacht haben, war es das Absurdeste was man sich vorstellen konnte. Das, was den Punk als neue Jugendbewegung Ende der 70er Jahren ausgezeichnet hat, war die Tatsache, dass man eben nicht, wie alle anderen vorher – Rocker, Hippies oder so – das für immer haben wollte. Insofern war das ein interner Gag und es war für uns sehr absurd, dass man es ernst nehmen konnte.
Teilweise geht es in meinem Buch „Argumentepanzer“ auch um ein paar Sachen, die meine Sozialisation erklären und wie wir damals Punk verstanden haben. Für mich war Punk eher etwas im Sinne von Malcolm McLaren: eine variable Sache, in der man sich provokanter Zeichen bedient, bis die sich abgenutzt haben. Das war z.B. in dem Fall von den Sex Pistols die Tatsache, dass Sid Vicious für eine kurze Zeit das Hakenkreuz benutzt hat. Völlig aus dem Kontext genommen und mit einem überhaupt nicht nazimäßigen Outfit kombiniert, war es natürlich Ende der 70er Jahre in Großbritannien eine totale Provokation. Aber es war auch eine Waffe, ein Spiegel, den man den Erwachsenen, den Linken, den Spießern oder den Faschos vorgehalten hat. Es war sozusagen eine Variable. Und diese hat man dann genutzt, bis die abgenutzt waren. In meinem Fall war es, als meine Sparkassen-Beamtin, so 1983, dann auch eine rote Strähne im Haar hatte. Da dachte ich mir: „Jetzt kann ich es auch mal bleiben lassen“. Weil das dann das Ziel nicht mehr erreicht. Unberechenbar zu sein, war eine ganz wichtige Sache für den Punk. Sozialarbeiter*innen und Soziolog*innen waren damals bemüht es irgendwie als „Jugendliche, die verzweifelt sind“ zu interpretieren. Dem hat man sich total entzogen. Und auch sowas wie Pogo tanzen oder die Koketterie mit Aggression war weder für eine linke noch für eine rechte, oder eine bürgerliche Öffentlichkeit lesbar. Und das war eigentlich ganz schön, ein toller Moment in meinem Leben: dass man zu einer Jugendkultur gehörte, die eine Trägerin von Geheimwissen war.
Und die Leute, die den Song 1987 beim Plattenrelease gehört haben – wir haben es danach eigentlich nie mehr live gespielt – wussten, wie es gemeint ist. Aber dass dann eine ernsthafte Identifikation mit dem Song sich plötzlich über die Jahre entwickelt hat, das war uns total fremd. Deshalb spielen wir das auch nie.

FFT Würden Sie sagen, dass Ärger und negative Ener­gien sich produktiver auswirken können als das „Wohlfühl-Gefühl“?
Ted Gaier Ja, deswegen fremdele ich so mit dem bürgerlichen Roman oder überhaupt mit dem bürgerlichen Habitus von Kunstproduktion. Dazu braucht es das Privileg, in gesättigten Verhältnissen zu sein und die Probleme der Anderen aus der Distanz betrachten und darüber dann feinsinnige Abhandlungen machen zu können. Das würde jetzt zu weit in die Debatte hineinführen, aber (…) das war ja kein Zufall, dass diese Leute, die sich Ende der 70er entschieden haben, Punks zu werden, eine große Unzufriedenheit geteilt haben. Diese hat sich dann auf eine tolle und vielfältige Art in der Musik und Kunst geäußert und viel interessantere Statements gehabt, als die gut bürgerlichen Hippie-Künstler*innen, die sich selbst in ihrem philanthropischen Weltbild gefallen haben. Es gibt ja auch die schöne Songpassage von Johnny Rotten „anger is an energy“.

FFT Sie sind nicht nur als Mitbegründer der „Goldenen Zitronen“ bekannt, sondern haben auch Kolumnen für „Die Zeit“, die Schweizer „Wochenzeitung“, die „SPEX“ u.ä. geschrieben. Jetzt haben Sie Teile Ihrer zuvor veröffentlichten Texte und Songs im „Argumentepanzer“ zu einer Art Compilation zusammengefasst. Was bewegte Sie dazu, gerade jetzt dieses Buch zu schreiben und zu veröffentlichen?
Ted Gaier Texter war ich ja schon immer, noch bevor wir überhaupt die „Zitronen“ gegründet haben. Und Ende der Neunziger gab es verschiedene Sachen, die mich interessiert haben. Das Nachdenken in Schriftform war eins davon. Über diverse Themen oder auch eigene Beobachtungen, von denen ich meinte, dass sie in der Öffentlichkeit nicht präsent sind. Das Buch hat sich also sozusagen selber geschrieben (lacht). Es umfasst fast alle Artikel, die ich in dem Zeitraum von 1999 bis 2019 im journalistischen Sinne geschrieben habe. Jörg Sundermeier vom Verbrecher-Verlag hat dann irgendwann gesagt: „Sollen wir das nicht mal rausbringen?“ Und ich dachte mir „Ja, geil. Ich habe davor noch nie ein Buch geschrieben, dann machen wir es doch.“ (…) Als Gegengewichte sind da noch Songs angehängt, speziell aus den Zehnerjahren, wo dann auch andere Themen-Akzente gesetzt sind, die z.B. mit dem europäischen Border-System zu tun haben oder mit Privilegien im Allgemeinen.
Ich wüsste auch gar nicht z.B. wie ich ein richtiges Buch schreiben sollte, wenn mir nicht jemand einen Wahnsinnsvorschuss gibt. Es zieht so viel Energie bei mir ab, da müsste ich für ein Jahr in Klausur gehen, und wer bezahlt mir dann meinen Lebensunterhalt?

FFT Den Freiraum muss man sich also leisten können?
Ted Gaier Allerdings.

FFT Bei der Vorstellung von „Argumentepanzer“ auf der Seite des Verbrecher-Verlages bin ich auf einen Satz gestoßen, der stutzig macht: Ted Gaier zeigt Haltung, „gerade dadurch, dass er sich nicht hart macht.“ Was heißt das?
Ted Gaier Dass Promotexte immer mit Vorsicht zu genießen sind (lacht). Kommt davon, dass man die nie selber schreibt. (…) Ich finde: Haltung allein reicht nicht! Neben einer Haltung, die sowas wie eine Konfrontation klar macht – z.B. dass man kein Fußbreit Faschist*innen und Rechte toleriert und da klare Kante zeigt – ist die andere Sache, die mich interessiert: in welcher ästhetischen Form kommt es daher und mit welchen Zeichen operiert man? (…) Auch bei Bewegungen, mit denen ich solidarisch bin, fällt mir oft auf, dass es blinde Flecken gibt, die man nicht verschweigen darf. Es gibt da einen Artikel über die Anti-IWF-Demonstration in Prag (September 2000), bei der ich auch selbst Teil der Demo war. Und ich muss zugeben, dass mir da manche Sachen richtig peinlich waren: u.a. in welchem Tonfall da bestimmte Gewissheiten rausposaunt werden. Wenn man z.B. Bullen grundsätzlich das Menschsein aberkennt und es eigentlich okay findet, wenn die dann im Hagel von Molotov-Cocktails stehen, sind es Fragen, die Leute in der Konfrontation mit sich selber gerne ausblenden. Es liegt aber immer an einem selbst, sich stets zu analysieren und zu hinterfragen, mit welchen Mitteln unsere Kämpfe geführt werden, um nicht in eigenen Selbstgewissheiten zu verharren. Dafür muss immer Platz sein, finde ich.

FFT

Programmhinweis:

Ted Gaier
Argumentepanzer 
Lecture-Performance
Do., 08.10., um 20:00 Uhr, FFT Kammerspiele, Jahnstr. 3, http://fft-duesseldorf.de